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Susanna Maria Tucher, geb. Haller, an Karl Hegel, Nürnberg, 14. Juni 1825

Mein lieber guter Carl.

Ich habe noch kein Versprechen mit mehr Vergnügen gelöst, als dies die längst verheißene Uhr meinem lieben Carl zum zwölften Geburtstag1 zu schicken. Ich erinnere mich gar wohl daran wie viele Freude Deinen lieben Onkeln die erste Uhr gemacht hat und bin es gewiß daß auch Du sie mit Vergnügen tragen wirst. Auch ist sie wohl bei Dir gut angebracht, denn die Pünktlichkeit mit der Du, wie ich mich gar wohl erinnere, Deine kleinen Geschäfte betreibst, machen eine Uhr gar nicht überflüßig, und Pünktlichkeit gehört selbst zur Behandlung der Uhr, – indem man sie immer wie Dir Dein lieber Vater sagen wird zu derselben Stunde aufziehen soll. – Die Geschichte dießer Uhr mus ich Dir aber auch erzählen, denn sie hat manche merkwürdige Ereigniße erlebt, die in der neuen Geschichte aufgezeichnet sind. Im August 1791 hielten mehrere Monarchen in Pillnitz eine Versammlung und beratheten sich über die gegen die französische Revolution zu ergreiffenden Masregeln. Bei dießer Gelegenheit hatte Dein verstorbener Grosonkel von Tucher, damals Lieutenant bei der Sächsischen Garde die Wache bei dem König Friedrich Wilhelm den 1sten2 und erhielt von ihm dieße Uhr. Sie war den Grosonkel daher sehr lieb, und er behielt sie bis Dein guter Onkel Karl in bayrischen Diensten Anno 1812 bei dem Feldzug gegen die Rußen durch Dresden marchirte und dort von seinem Onkel die Uhr zum Geschenk erhielt. Er hatte sie bei sich als ihm eine Kanonenkugel am 22. August deßelben Jahres bei Polotzk das Leben raubte. Gar zu gerne hätten wir dieße Uhr gehabt, weil wir wußten wie viele Freude sie ihm gemacht hatte; allein bis dießer Wunsch nach Polotzk kam war die Uhr schon mit seinen übrigen Effecten verkauft geweßen. Um so größer war meine Freude, da sie beim Durchmarsch des übriggebliebenen kleinen Rests des Regiments, ein Furier der sie gekauft hatte, noch bei sich trug, und mir sie, für eine freilich den Werth übersteigende Summe überlies. Daß sie dießelbe Uhr ist, welche mein guter Karl trug, davon kanst Du Dich überzeugen, da auf den Rand sein Name ganz fein gekrizelt freilich nun beinahe kaum mehr sichtbar zu finden ist. – Ich hoffte sehr die liebe Uhr selbst Dir übergeben zu können wenn es die Verhältniße Deinen lieben Eltern erlaubt hätten, eine Reiße mit Dir und Deinen lieben Bruder hieher zu machen. So mußte ich Dir nun schriftlich sagen, wie lieb mir die Uhr ist, und wie lieb ich Dich mein lieber Karl habe, weil ich Dir eine mir so werthe Sache, als Eigenthum übergebe. – –

Die liebe Friz mit ihren 2 Kindern ist bei mir, das macht mir viele Freude, die Kleinen sind recht kräftige, gesunde, aber auch liebe freundliche Kinder. Die liebe Tante grüßt Dich und Emanuel recht von Herzen, auch Deine beiden Tanten Sophie, Luise und ihr Bräutigam, versichern Euch ihre Liebe.

P. S. Ich verbleibe Deine Dich herzlich liebende Grosmutter von Tucher

Der Glasdeckel der Uhr mus auf beiden Seiten zugedrückt werden.3