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Georg Wilhelm Friedrich Hegel an Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, Karl Hegel und Immanuel Hegel, Berlin, 29. Juli 1826

Meine lieben,
Frau und Kinder!

Heute endlich! (damit es nicht ohne Reprimandiren1 abgehe) – erhalte ich eure Brieffe von 23 und 25ten; – ich war im Begriff Besorgnisse zu haben, denn seit Montag2 – aus Jena – hat ich keine Nachricht von Euch. – Der Mutter Brieff ist zwar aus Berlin datiert; ich habe mich aber nicht täuschen lassen und aus dem Inhalte schon aber auch aus der Jungen Brieffe3 wohl gemerkt, daß er eigentlich aus Nürnberg geschrieben ist. Ich habe dabey nur meine eigene Betrachtungen angestellt, daß ihr Berlin so fest im Sinn liegt, daß ihr, selbst in Nürnberg, nur Berlin in die Feder kommen muß.

Nun herzlich willkommen in Nürnberg! ich theile eure Freude, die ihr im Kreise dieser lieben Freunde genießt. Zunächst nach der Nachricht von eurer glücklichen Ankunft, trotz des Mangels an Pässen – war ich auf die weitere Reisebeschreibung neugierig, und sie ist – von Carl habe ich noch das weitere Detail zu erhalten4 – sehr befriedigend ausgefallen! Doch keinen Bescheid habt ihr aus Jena gegeben, ob ihr Asverus daselbst gesehen, und wenn nicht, warum nicht! auf allen Fall habt ihr sie wenigstens wissen lassen müssen, daß ihr da seyd. – Nun weiter der Reiseroute nach! – einen Umweg habt ihr freylich, wie ich sehe, gemacht; der Kutscher kannte somit den Weg nicht genug; dafür seyd ihr durch Schwarzburg (– der Bach wie ihn Immanuel heißt, ist der Fluß Schwarza, und führt Goldstaub) gekommen – ein recht hübscher, merkwürdiger Punkt; – unser Ausfluchtsort für Romantik und Empfindsamkeit – von Jena aus; hättet ihr das Einschreibebuch dort durchgeblättert, so hättet ihr auch meinen Nahmen darin wahrscheinlich mit einer Sentenz oder Declamation gefunden. Nicht wahr! Dieß Thüringerwaldgebürg hat schöne Scenen. Immanue hat recht gut davon geschrieben. Nicht weit von Schwarzburg ist Paulinzella oder vielmehr die  Ruinen davon (ein vormaliges Kloster), in einer Art von Bauwerk, die spätrömisch oder byzantinisch, noch vorgothisch ist – Seht euch die Nürnberger Hauptkirchen, Sebalder, Lorenzer vornemlich auch die katholische auf dem Markt, recht an (auch Herrn von  Schwarz Haus soll von dieser Manier, soweit ein Wohnhaus diese Formen gebrauchen kann, haben) diß sind gotische, wie man es nennt, – oder wahrhafte deutsche Bauarten (der Schönbrunnen ist auch von dieser Art). Die kleine Kapelle auf dem Schloß, besonders die untere hat Säulen, die nicht gothisch, sondern in der Art der Paulinzeller sind. Sonst habe ich gesehen, daß ihr aufmerk- sam auf der Reise gewesen und fleissig, das Merkwürdige zu sehen. – Habt ihr nicht zwischen Gleussen und Bamberg – im Ilsthale – das ehemalige Kloster Banz auf einem Berge – jetzt dem Herzog von Zweybrücken gehörig – gesehen? Die vielen Krucifixe am Weg und um Bamberg müssen erst nach meiner Zeit hingekommen seyn. Damals waren sie weggeschafft worden. – Kommt ihr aber wieder nach Bamberg, so seht euch wohl um, z. B. auf dem Michelsberg; es ist sehr schön in und um Bamberg (auch wächst Süßholz (daraus der Lakrizensaft) daselbst); ich habe ein anderthalb Jahr da gelebt.5

In Nürnberg seht euch, ihr Jungen, besonders wohl um nach den Kirchen, Gemählden, Glasmahlereyen und dergleichen; es ist da recht viel eigenthümliches zu lernen und zu sehen, was man sonst nicht zu sehen bekommt, und referirt mir davon; es muß keine Abhaltung seyn, die Beschreibungen zu machen, weil ich es kenne.

Nun also seyd ihr glücklich in Nürnberg! Auch der Bettelpost habt ihr euch bedient! wohl, helf was helfen mag.

Aber wie mache ich es, um meine Grüsse an alle die lieben Verwandten herzurechnen und aufzugeben! ich kann mir nicht helfen, als alle in Eine Masse von Grüssen zusammenzufassen – insbesondere um noch ein paar Zeilen und Augenblicke – (denn nach 3 Uhr muß ich mit Herrn von Hülsen, meinem lieben Hausfreunde in die Reimersche Kunstausstellung zum Besten der Griechen6) zu gewinnen, von hier und mir etwas zu schreiben –  

Ich kann allerdings etwas mehr arbeiten, seit ihr fort seyd – doch so arg wird es nicht; – Abends habe ich Gans oder sonst einen Freund bei mir – heute Abend Whist mit Rösel, Zelter und Bloch – oder wenigemahl Theater; Wolfs sind mit warmem Applaus  – ich habe sie gesprochen – wieder in Hermann und Dorothea (Madame Stich) wieder aufgetreten (als Wirth und Wirthin). Aber es hilft eben nicht viel, denn Mde. Stich reist übermorgen ab – die Königin ist aus dem Spiel – also auch keine Besuche mehr bey ihr – Heute hat der Kaiserliche Russische Hofrath Herr von Blum Abschied von mir genommen, heute Abend reist er (– mit Grauns Passion7 für Thibaut) – Köster hat sich seitdem nicht sehen lassen!? es piquirt ihn doch wohl was! Du weißt schon was! Schlesingers habe ich besucht. – Frau von Hartwig hat sich heute bey mir nach dir erkundigen lassen; ich konnte sie aber nicht viel wissen lassen. – Die Stunde von 11 – 12 Uhr bey Herrn Daumer ist etwas unbequem! ist sie nicht ein kleiner Haken?!8 ein stärkerer wäre freylich der Besuch der lateinischen Claß-Stunden. Herrn Professor Daumer herzlichen Gruß. Nun noch beste freundlichste Grüsse von eurem

Hegel