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Karl Hegel an Johannes Schulze, Heidelberg, 11. Mai 1834

Hochverehrtester und geliebter Herr Geheimer Rath!

Nur im Vertrauen auf Ihre uns schon so oft bewährte, wahrhaft väterliche Fürsorge, und, weil ich vor Allem Ihnen immer mehr durch Dankbarkeit verpflichtet seyn möchte, wage ich es mich mit einer Bitte an Sie zu wenden, die nichts Geringeres auf sich hat, als mir die hier gewisser Maßen verschlossene Bahn meiner Studien zu eröffnen. Ueberraschend war es auch freilich für mich, hier auf eine so unerwartete Schwierigkeit zu stoßen, da Prorector und Senat, vor welche meine Sache gebracht worden, nach vorhandenen Gesetzen bestimmten, ich dürfte nicht ohne Immatriculation zu den Vorlesungen zugelassen werden; ferner gestatte es auch ihre Ehre nicht, (wenn ich mich zur Immatriculation hätte bereit finden lassen!), mich als Preußen wider das Verbot von Preußischen Gouvernement, anzunehmen. –

Sie erinnern sich gewiß noch, verehrtester Herr Geheimer Rath, der Rede des Herrn Minister zu meiner Mutter, daß, wenn ich mich hier nicht immatriculiren ließe, ich ohne Weiteres Vorlesungen hören dürfte. Es muß also seyn, daß die hiesigen Gesetze über Zulässigkeit zu den Vorlesungen verschieden von denen an Preußischen Universitäten sind.

Was ist da zu thun? fragte ich. Glücklicher Weise ist so eben hier der Fall vorgekommen, der Ihnen gewiß nicht fremd geblieben, daß ein Neffe des hiesigen Professor Nägele, aus Duisburg, nachdem ihm vom Preußischen Ministerium die gebetene Erlaubniß hier studieren zu dürfen, verweigert worden, dieselbe sehr leicht vom König selbst erhalten hat. – Darauf verweist man mich und räth mir ein Gleiches zu thun; der König sehe es nicht ungern, wenn man sich direkt an ihn wende. – Inzwischen erlaubt man mir in den Vorlesungen zu hospitiren und erwartet von mir das nöthige Weitere.

Bei solchem Anliegen, Herr Geheimer Rat, glaube ich nicht nur, mit zu diesem Schritt, zuerst Ihre Zustimmung und Beifall gewinnen zu müssen, sondern auch, was die Eingabe an den König betrifft, in Betracht der Weitläufigkeit und Umständlichkeit, welche meine Entfernung von Berlin veranlassen dürfte, in Betracht der erforderlichen Delicatesse und Geziemlichkeit bei der Abfassung, welcher ich nicht gewachsen bin, endlich im gerechten Vertrauen auf Ihre Güte, unterstützt durch die Bitte meiner Mutter, wage ich es sie Ihnen anheim zu stellen, sey es, daß Sie selbst die unterschätzbare Gefälligkeit hätten sich mit derselben zu befassen, oder es irgend einem Ihnen dienstbaren Ministerialbeamten überließen. –

Der Inhalt wäre also kurz der: daß nach Vollendung meines dreijährigen philosophischen und theologischen Studiums zu Berlin, die Freunde meines Vaters und mein Vormund, Professor Marheineke meinem Wunsche zu meiner weiteren Ausbildung noch die Vorlesungen des Herrn Kirchenrath Daub in Heidelberg zu hören, beirathend zugestimmt hätten; da überdies ein Kreis von alten Freunden meines Vaters mich in Heidelberg freundlich aufnehmen und eine Sicherheit mehr hinsichtlich meines Betragens geben würden.

Ob ich erwähnen dürfe, daß ich schon in Heidelberg bin in der Zuversicht auf jenen Anspruch des Herrn Minister – ob nicht solche Anführung etwas Mißliebiges für den Herrn Minister habe – das ist der delicate Punkt, worüber Sie eher als irgend ein Andrer zu entscheiden vermögen. Andrerseits möchte es mir günstige seyn, beizubringen (denn der König würde es gerne hören) wie das Preußische Verbot von der Heidelberger Universität auch ihrerseits respektirt wird. –

Ich bin von Ihrem Wohlwollen versichert, verehrtester Herr Geheimer-Rath, daß Sie mir irgendwie aus der Noth helfen werden, auch ohne zu erinnern, daß, was Sie mir hierin thun, auch meiner Mutter gethan ist.

In der Meinung, daß Sie gern auch etwas von unsern freundlichen Erfahrnissen hören mögen, füge ich noch Folgendes hinzu:

Unsre Mutter haben wir in Wetzlar verlassen, wo sie bei ihrer Schwester, Frau von Meyer, eine der schönsten Punkte in der Wetzlarer Gegend, am Ende der Stadt (die Bahn aufwärts) bewohnt. Drei Tage waren wir im schönen Wetzlar noch mit ihr beisammen, da auch das Wetter, das bis dahin nur mit Schneegestöber und trüben Wolken begleitet hatte, zum allerheitersten Sonnenschein gewendet und den herrlich aufkeimenden Frühling reichlich genießen ließ. – Ich habe seitdem die allerbesten Nachrichten von der Mutter, sie schreibt, daß sie sich mit Philosophie beschäftige, denn sie kann es nicht lassen, Proselyten zu machen. –

Mein Bruder ist glücklich in München angekommen. Nähere Nachrichten erwarte ich noch von ihm. – Daub’s, Nägele’s, Köster’s (Schwiegermutter und Schwager von Professor Schlesinger) haben mich auch auf’s herzlichste und freundlichste aufgenommen. Bei Daub habe ich erst einige Vorlesungen gehört! (Prolegomena zur Moral) und kann über den Inhalt derselben noch nichts Allgemeines sagen. Wohl aber hat mich seine Art und Weise, seine ganze Persönlichkeit mich sehr in Anspruch genommen. Er lebt so mit ganzer Seele in der Wissenschaft und kargt nicht mir ihr: Daher Alles, was er sagt, nicht nur den Geist belehrt, sondern auch das Gemüth packt und fesselt. Er muß sich freilich beklagen über das dürre Holz und die spröde Landpfarrermaterie, die anfeuchten und befruchten soll.

Die Professoren sprechen mit vieler Achtung und Anerkennung von der Preußischen Regierung, nur wirft man denen, von welchen das Verbot wider die hiesige Universität ausgegangen ist, eine große Unkenntniß der Dinge vor: unter Professoren und Studenten habe eine ruhige, antidemagogische Gesinnung geherrscht (ich habe hier noch keinen über Politik sprechen hören), unter den Preußischen Studenten ein ächter Patriotismus, den sie im Ausland um so lauter werden ließen; endlich habe die Preußische Regierung erfahren müssen, wie an ihren eigenen Universitäten die Theilnahme an politischen Verbindungen größer war als hier. –

Mit der Bitte mich Ihrer Frau Gemahlin und Herrn Professor Marheineke zu empfehlen, vertraut sich Ihrem ferneren Wohlwollen

in inniger Dankbarkeit und Liebe

Karl Hegel.