Wertheste Freunde!
Seit Wochen schon hatte ich auf einen Brief von Euch gehofft. Mittwoch Abends wurde die Hoffnung endlich erfüllt. Vielen und besten Dank für so freundliche Zeilen. Mein langes Stillschweigen aber habt Ihr Euch falsch erklärt: es kam nicht von fortdauerndem Wohlsein her, sondern von der Aesthetik1, deren Herausgabe jeden freien Augenblick des Wohlseins und Unwohlseins in Anspruch nahm. Dieser gute Grund glaubte ich würde eine Dispensation um so mehr verschaffen, als ich meine sämmtlichen Freunde in diesen Monaten in den Fall brachte, mir wegen gänzlich stockender Korrespondenz zu grollen. Seitdem der erste Theil, der bis zur classischen Kunstform geht, vom Stapel gelaufen ist, schreibe ich nun aber seit vierzehn Tagen fast nichts als Briefe, obschon mir meine Sommervorlesungen über Aesthetik dies Mal viel Zeit rauben, da ich zu bessern und zu completiren vielfach bemüht bin. Im Ganzen aber bin ich nach einer so anhaltenden Arbeit immer lahm, und selbst die Briefe wollen nicht recht vorwärts. Ich halte mit meinem bischen Geist und Kraft nicht haus; eine Zeitlang verschwende ich, und muß dann wieder darben. Neugierig bin ich, wie Dir, bester Carl, die Redaktionsweise der Vorlesungen gefallen wird. Du hast ein Urtheil, denn Du hast den Vater gehört, und wirst sagen können, ob ich den Vortrag, um ein Buch daraus zu machen, nicht zu sehr verannehmlicht habe. Weht Dir nicht außer dem allgemeinen Geist, auch der besondere von Deines Vaters näheren Eigenthümlichkeiten (die ganz partikulären mußten verschwinden) entgegen, so ist nach meinem Sinn der Weg, den ich eingeschlagen habe falsch und ich muß mich beim zweiten Bande2 strenger halten. Ich sammle in diesem Sinne absichtlich die Urtheile. Denn ich selbst habe keins. So wunderbar verschmelzt sich bei solcher Arbeit das Eigene und Fremde, daß wenn sie fertig ist, eine Sondrung ganz ohnmöglich wird. Dadurch hoffe ich eben, soll das Ganze Leben und Bewegung haben und wie aus einem Guß erscheinen. Sprecht aber nur offen darauf los, denn bei solchen Dingen gilt es ganz allein der Sache und gar nicht das Subjekt.
Was das eigene Buch3 angeht, so könnte mich Euer beiderseitiges freundliches denkendes Urtheil gewisser maßen irreführen. Ihr seht ganz und gar und nur mein Individuum. Das habe ich nicht gewollt. Auch hier kam es mir ganz auf die Sache, die Kunstwerke, Epochen und Zeiten an, und was von Biographischem dazwischengestreut ist, sollte nur ein wenn auch lose verbindender Faden sein. Es mag zwar (man kann das abgedroschene Bild gar nicht los werden) damit wie in Ottiliens Tagebuche4 gehen und es mag ein Segensfaden sein, der sich durchzieht, aber dann, glaubt‘ ich, wär’s doch immer nur der einer innigsten Liebe zur Kunst, ein Kuß und eine Liebe geschöpft aus dem innersten Begriff der Sache, und nur so zum eigensten Fleisch und Blut verwandelt. Denn beobachte ich mich recht, so urtheile, schreibe ich jetzt gar nicht mehr nach Begriffen, Grundsätzen und so fort, sondern die aesthetischen Begriffe sind mir zu Auge und Ohr, zu Herz, Geist, Gemüth geworden und dadurch kommt erst volles Leben in die Kunstanschauung. Es hat mit jenem Buche eine eigene Bewandtniß. Aus einer Art Verzweiflung ist es entstanden. Wissenschaft und Kunst hatten die Zeitverhältnisse mir aus den Augen gerückt; nun sah ich ein, daß ich auf diesem Wege mich zu Grunde richten würde, da mein einziges Talent Kunst und Wissenschaft ist, und so zwang ich mich gewaltsam in diese Schilderungen hinein, die als subjektiver Versuch das Alte Verlorne wiederzuerobern, die subjektive Haltung erhalten haben mögen. Wenn Ihr aber meint, mich selbst damit zu kennen, irrt Ihr. Nur die Kunstseite meines Innern hat sich theilweise aufgethan. Unendlich viel Andres, ein Schatz schmerzensreicher Erfahrungen, welche mich alle Schwächen, Irrthümer, Krankheiten die ganze Blasiertheit, Eitelkeit, die fürchterliche substanzlose Höhe der Subjektivivtät und Qual der Selbstverachung und absolutesten Ironie jammervoll durchleben ließen, sind still und stumm zurückgeblieben. In diesem Sinne hab‘ ich meine Zeit weiter durchgearbeitet, und nichts in ihr wundert und befremdet mich. Das wäre nun ein großer Vortheil, wenn nur nicht das beste Mark der Gesundheit darüber wäre zum Kuckuk gegangen. Aber so gehts in der Welt, man kann nicht gewinnen ohne Einsatz, und das Leben im vollen Sinne des Worts kommt Einem immer theuer zu stehn. Solch ein Geständniß mach‘ ich Euch nur, damit, wenn Ihr je im Falle sein solltet, bei innrer Ungewißheit und Bedrängniß eines Rathes und Trostes zu bedürfen, Ihr einen Ort wenn auch der Hülfe nicht, doch der Theilnahme und Erfahrung wißt, wo Ihr zu andren Reichthümern der Schmerzen auch die eigenen hinthun und niederlegen könnt. So viel Beiden, nun Jedem Besonders.
Beilage I. an Carl.5
Was mich, bester Carl, für Dich am meisten freut, ist daß Du aus dem Schwanken, Grübeln, aus diesem Unterleibskränkeln des Geistes und des Leibes Dich glücklich zu einem festen Blick auf die Dinge und Halt in Dir Selber herauszuarbeiten im besten Zuge bist. In diesem Sinne scheint mir, wie Du ihn schilderst, Dein Umgang für Dich höchst erfolgreich. Die jüngeren Freunde ergänzen den alten Daub, und selbst der praktische, feine, klare, behagliche, subjektiv sachliche, witzige, bequem und anmuthig reizende und stachelnde Köster paßt vortrefflich hinein. Er muß ein vortrefflicher Gefährte eines entfausteten Gemüths sein, da er von Hause aus vom Mephisto6 wohl nur die liebenswürdige Glanzseite und sich entfaltet und ausgebildet hat. Je weniger Du Dich aber von der Philosophie loszulösen Lust zu haben scheinst, desto wohlthuender wirst Du die Gesellschaft jenes Freundes finden, den Du schilderst wie seine Schriften ihn auszeichnen. Mit solchen zu verkehren, die ohne Philosophie sich durch die Dinge selber, den philosophischen Resultaten nähern, ist immer das Erfreulichste. Das stete Ende der Philosophie von jedem zu hören, mit dem man spricht, ermüdet mich zb7 im nächsten Kreise höchlich. Gott sei Dank bringt jetzt die Unsterblichkeit einige Differenzen und Lebendigkeiten herein, obschon es noch ein Streiten ist, wo jeder nur asserirt8.
Auch mit der Entsagung hast Du Recht, ich nehme sie in Goetheschem Sinn. Nur die in sich selbst wieder befriedigende Entsagung, welche die Vernunft der Sache, der subjektiven Unvernunft wiedersteht, dem Eigendünkel und Königsherrschaft des Ichs und seiner Willkür sich entgegenstellt, die Entsagung, welche die Totalität besonderer Bedingungen, über welche sich hinauszuheben dem Individuum die Macht und Stärke fehlt, oft freilich mit scheinbarer Härte fordert, nur diese Entsagung hat ein Recht. Und da hat man vor allem darauf zu sehen, daß sich nicht irgend ein untergeordneter Lebenswunsch, welcher der Sache nach nicht das Höchste und Letzte selbst dieses Individuums bewirkt, zur Alleinherrschaft emporschwinge und den ganzen Gesichtspunkt dadurch verrücke, daß er dies eigentlich Höchste als untergeordnet, das Untergeordnete als das Höchste vorspiegelt. Wird solch ein Wunsch erfüllt, dann befriedigt selbst die Erfüllung nicht mehr, und meist wenn es zu spät ist, fordern dann die zurückgesetzten, verschobenen Zwecke und Bedürfnisse ihr Recht und ein höheres, ja das eigentliche Unglück bricht dann erst recht herein. – „Fatal“ ist das Wort der Entsagung, theils wie die Polizei, die im Kleinen unsre oft harmlose Willkühr zum allgemeinen Frommen beschränken und beseitigen muß, theils aber wie das Fatum, dem uns aber die freie Vernunft der eigenen Vorsehung uns zu beugen gebietet.
Auch daß Alterthum und Geschichte Dich jetzt ausschließlich beschäftigen9 wüßt‘ ich in nichts zu tadeln. Für die politische Gegenwart hast Du gewiß wie ich und andere kein praktisches Talent. Man sieht ihr zu, sucht sie einzusehn, und läßt ihr ruhig ihren sicheren Weg. An der Kunst der Gegenwart ist wenig Freude zu erleben. Man nimmt Notiz davon und legt sie geschichtlich ad Acta. Die Gegenwart aber der Philosophie fordert Dein specielles Interesse, obschon mir jetzt das schönste Geschäft scheint eben mit der Philosophie selbst, deren Prinzip sich fürs Nächste in Nichts ändern wird, Alterthum und Geschichte zu überschaun. Aber nicht der Philosophie wegen, wie auch jener geschichtlichen Gestalten um ihrer besonderen Eigenthümlichkeit selber willen. Ueber das bloße Verwandeln geschichtlicher Erscheinungen und allgemeiner Kategorien bin ich hinaus; jene Begriffe wollen in ihrem Fleisch und Blut und vollem Dasein ergriffen und genossen sein. Sie hätten sonst die Mühe sich nicht zu machen brauchen, zu dieser vollen Besonderheit sich herauszuarbeiten.
Nur einige Novitaeten, welche für Dich vielleicht von Interesse sind. – Der Mann aus Baireuth10 ist seit vielen Wochen hier. Meiner Erwartung und Hoffnung entspricht er nicht. Zwar fehlt ihm die Kenntniß und Einsicht nicht; und weiterstrebende Produktivität wollte ich ihm auch noch erlassen. Aber die Energie des Geistes mangelt; er hat etwas nüchtern Stilles, Blödes, hypochondrisch Gelähmtes in seinem ganzen Erscheinen, Lehren und Thun. Etwas schulmeisterlich Propaedeutisches und Breites. Ein sehr guter und besserer Henning, aber ohne dessen Lebhaftigkeit; kein Mittelpunkt, kein Erster unter Gleichen; sondern spießbürgerlich in der großen Stadt, in den neuen Tagen nicht zu Hause; nicht viel bewegt und dabei ruhig, sondern ruhig von Hause aus; etwas schmächtig kümmerlichen Ansehens, das man ihm auch nach Innen hin auf den Geist überträgt. Es hat in ihm nie gegohren, gesprudelt. Wir wollen das Beste hoffen; nehmlich ein einsichtiges, ruhiges Belehren in Privatis, ohne je aufzurütteln, aufzuwecken und irgend durch einen Funken ein schlummerndes Feuer anzufachen. – Pater Cosimo11 könnte jetzt umgetauft werden, da er den Rogier van der Weyde jetzt unter den Händen hat12; das rothe Gewand des Johannes ist schon prächtig heraus; das ganze Bild wird sehr gewinnen; besonders das blaue Gewand der Maria, und so das Uebrige auch. Schlesinger hat die Leda fertig; ein unendlich mühsames Werk.13 Das Resultat ist glänzend, nur fürcht‘ ich ist er zuletzt auf jenen schlimmen Punkt gekommen, wo man durch langes Hineinarbeiten das Eigene und Fremde nicht mehr unterscheiden kann, und nun, um sich zu genügen, um es nun zu machen, wie man es selber machen würde, hätte man das Ganze bis dahin, selber und allein gemacht, eher zu viel als zu wenig thut. Koester wird mich verstehn, doch nicht verrathen, wenn ich gestehe, der Hauch des Ursprünglichen ist mir mehr fort, und theilweise in einen feinen Schleier der Ausrunzlung und Strichlung eingehüllt, als es vielleicht nothwendig wäre. Doch soll er mich nicht verraten. Schlesinger ist über diesen Punkt allzu verletzlich, und ich möchte ihm keine üble Stunde bereiten. – Marheineke und Gabler kommen vielleicht im Herbst durch Heidelberg. Adio. Wie immer