Meinen herzlichen Dank für Ihre geneigten Zusendungen. Ich habe nur die Bitte daß Sie das nun kommende nach Darmstadt unter meiner bloßen Adresse schicken wollen. Donnerstag den 29ten October 1835 werde ich wieder nach Heidelberg kommen; sollte etwas in den letzten Tagen anlangen so behalten Sie es an sich. Ihre verschiedenen Zusendungen haben mit nichts gebracht was Sie interessiren konnte als einen Brief von Beseler. Er schreibt heiter und vergnügt, steht besonders mit de Wette wie es scheint sehr gut, der nur unglücklicherweise eine böse Frau hat, was dann das Familiäre ihn vor Bekanntschaft hindern wird, und was ich sehr bedaure. Beseler rühmt de Wettes Eingehen auf unsere Sachen bei größerer Mäßigung, und das würde für Beseler so heilsam sein wenn er mit einem reiferen Manne dieser Art und Umgang hätte, der ihm wie Dahlmann imponirte. Bei unser einem fühlt er sich zu übermüthig und hat immerhin noch Noth zu lernen und zu regeln. Sie3 heißt er mich hoch in Ehren halten und freut sich daß ich Sie habe, versichert Sie seiner ganzen Liebe und verspricht Ihnen nächstens einen Briefe. Er wünscht auch vom jungen Erich […]4 zu hören, ich glaube wenn Sie ihm Ihre Nachrichten von ihm mittheilen so werde ihn das Entgegenkommen recht freuen. Auch mir hätten Sie von Ihrem Bruder ein mehreres erzählen dürfen, ich bin doch begierig wie es ihm zusagt in Berlin, obwohl ich immer dachte, er werde sich viel leichter finden und sei auch von Natur mehr preußisch als Sie. Ich wünsche herzlich daß wir den Winter5 recht heimlich mit einander verbringen; Gott gebe nur daß ich dazu allen Muth und alle Heiterkeit mitbringe. Ich habe noch keine Nachrichten aus Osnabrück und hange und bange. Das fühle ich ganz deutlich, daß mein Winter ein sehr sanft behaglicher oder ein schwer unglücklicher sein wird6, mediam non datur7 – Den Muth8 läßt Beseler grüßen und auch ich. Sehen Sie daß Sie den Tisch eingerichtet haben bis ich komme. Für die Abende hab ich bereits ½ lb Thee angeschafft.9 Hab ich Sie von Dahlmanns gegrüßt? Ich sollte das thun.
Von hier aus Frankfurt reise ich morgen ab. Ich hatte stille schöne | Tage und manchen Trost für manchen gehabten Kummer. Vielleicht können Sie Einlage10 anschlagen lassen; schicken Sie sie nur zu Ritter11; allein nur dann, wenn Sie die Localnummern auszufüllen im Stande sind. Dieß aber wird davon abhängen, ob Sie auf meinem 4 eckten Schreibtisch12 oben in den Gefächern, unter Briefen und Papieren eine Rechnung finden, auf deren Kehrseite ich mir die Locale bemerkt habe, wo Sie sie dann abschreiben können. Finden Sie es nicht so lassen Sie es. Im Voraus dankbar für all Ihre freundlichen Gefälligkeiten bin ich in alter Freundschaft Ihr
Gervinus.
P. S. Ich sehe eben daß ich die Collegienanzeige doch lassen / muß; ich weiß nicht an welchen Tagen ich lesen kann.
1Ort und Datum befinden sich am Briefende, linksbündig; es folgt nur noch das PS darunter zentriert. 2Mit einem Stern als Markierung (wohl von Bleistift, während die Abschrift mit lilafarbener Tinte angefertigt wurde) versehen. 3Den Adressaten. 4Fragmentarische Stelle. 5Winter 1835/36. 6Dies bezieht sich auf die heimliche Verlobung Georg Gottfried Gervinus (1805-1871) mit der damals noch sehr jungen Waise Victorie Schelver (1820-1893), deren Hauslehrer er gewesen war; als ihr Vormund das herausfand, wurde sie zu ihren Verwandten nach Osnabrück geschickt. Karl Hegel (1813-1901) war damals „nächster Vertrauter“ seines Freundes Gervinus in dieser Angelegenheit. Vgl. dazu auch Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch, S. 133, Hegel, Leben und Erinnerungen, S. 33, sowie Gervinus, Leben, S. 300-332, und Baar, Victorie Gervinus, S. 73 ff.7Diese lateinische Wendung wurde mit Bleistift eingetragen, statt mit Tinte; am rechten Rand dieser Zeile befindet sich ein Fragezeichen, ebenfalls mit Bleistift geschrieben, was darauf hin deutet, dass sich die Verfasserin dieser Kopie bezüglich der hier transkribierten Stelle nicht sicher war. 8Eventuell gemeinsamer Bekannter des Juristen Georg Beseler (1809-1888) und Georg Gottfried Gervinus’ wie vielleicht der hessische Richter und Politiker Friedrich Wilhelm Muth (1873-1851); ggf. auch chiffrierter Sprachgebrauch oder Anspielung auf etwas, wie z. B. die sich verändernden Lebensumstände der beiden zu dieser Zeit, was sinnvoll erscheinen würde, wenn es „Der Muth […]“ hieße, was ggf. durch einen Übertragungsfehler durchaus möglich wäre. 9Karl Hegel (1813-1901) und Georg Gottfried Gervinus wohnten in Heidelberg zusammen in dem Schweickhardtschen Haus und hatten in der Heidelberger Studienzeit Karl Hegels gemeinsam mit Beseler einen innigen Freundschaftsbund geschlossen. Beseler war zu dieser Zeit bereits als Professor nach Basel berufen worden, Gervinus folgte im kommenden Winter einem Ruf nach Göttingen; vgl. dazu Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch, S. 133, sowie Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, S. 26 ff.10Nicht mit abgeschrieben. 11Vielleicht ist hier das „Haus zum Ritter“ gemeint, welches 1592 in Heidelberg erbaut wurde und als ältestes erhaltenes Wohnhaus sich noch heute in der Heidelberger Altstadt befindet; im Laufe seiner Geschichte diente es auch als Gasthaus. 12Gemeint ist wohl ein viereckiger Schreibtisch.
Gervinus (Gervin), Georg Gottfried jun.Georg Gottfried Gervinus11853891818051871Gervinus, Georg Gottfried jun. (1805–1871), deutscher Historiker, Literaturhistoriker und Politiker, Sohn von Georg Gottfried Gervinus sen. (1765–1837) und seiner Ehefrau Anna Maria Magdalena Gervinus, geb. Schwarz (1772–1837). Er war Ehemann von Victorie Gervinus, geb. Schelver (1820–1893), 1835/1836 Professor der Geschichte und Literatur an der Universität Heidelberg, 1836/1837 an der Universität Göttingen (einer der „Göttinger Sieben“), 1844 Honorarprofessor an der Universität Heidelberg, 1848 Mitglied der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Frankfurt (Main)50.1106444,8.6820917Ehemalige Reichsstadt am Main, oftmaliger Wahl- und Krönungsort der Könige des Heiligen Römischen Reiches sowie Freie Stadt innerhalb des Deutschen Bundes, dessen Bundestag sich dort versammelte. Die Frankfurter Paulskirche war von Mai 1848 bis Mai 1849 der Tagungsort der Frankfurter Nationalversammlung, die die Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849 erarbeitete. Seit dem Mittelalter war es eine bedeutende Messestadt und ein Finanzplatz mit Wertpapierbörse für den Handel mit Staatsanleihen und Aktien.
UB Heidelberg
.
UB Heidelberg1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Hegel
, Karl: Leben und Erinnerungen. Mit einem Portrait in Heliogravüre, Leipzig 1900.
Hegel
, Leben und Erinnerungen
1900
Gervinus
, Georg Gottfried: Leben. Von ihm selbst (1860), Leipzig 1893.
Gervinus
, Leben
1893
Baar
, Regina: Victorie Gervinus – Leben und Wirken der Ehefrau und Witwe, in: Georg Gottfried Gervinus. 1805–1871. Gelehrter, Politiker, Publizist. (= Archiv und Museum der Stadt Heidelberg. Schriften 9) Heidelberg, Ubstadt-Weiher, Basel 2005, S. 73–84.
Baar
, Victorie Gervinus
2005
Kreis
, Marion: Karl Hegel. Geschichtswissenschaftliche Bedeutung und wissenschaftsgeschichtlicher Standort (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 84), Göttingen, Bristol, CT, USA 2012.
Kreis
, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung
2012
De Wette, Wilhelm Martin Leberecht11863197717801849De Wette, Wilhelm Martin Leberecht (1880–1849), war ein evangelischer Theologe, der seit 1822 in Basel (Schweiz) wirkte; er war dreimal verheiratet, zuletzt seit 1833 mit Sophie Streckeisen, verwitwete May.
Streckeisen, Sophie, verw. May, verh. De WetteStreckeisen, Sophie, verw. May, war seit 1833 mit dem evangelischen Theologen Wilhelm Martin Leberecht De Wette (1780–1849) in Basel verheiratet.
Dahlmann, Friedrich ChristophFriedrich Christoph Dahlmann11852336817851860Dahlmann, Friedrich Christoph (1785–1860), Politiker und Historiker, war von 1842 bis 1860 ordentlicher Professor für Deutsche Geschichte und Staatswissenschaften an der Universität Bonn, 1848/49 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, 1850 Mitglied des Staatenhauses für das Königreich Preußen im Erfurter Unionsparlament.
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Muth, Friedrich Wilhelm119871279117831851Muth, Friedrich Wilhelm (1783–1851), war ein hessischer Gutsbesitzer, Richter, Abgeordneter und Politiker.
Darmstadt49.872775,8.651177Etwa 30 Kilometer südlich von Frankfurt am Main gelegene Haupt- und Residenzstadt des Großherzogtums Hessen.
Heidelberg49.4093582,8.694724Alte Universitätsstadt am Neckar, seit 1803 zum Großherzog Baden gehörend und mit Eisenbahnanschluß seit 1840. Circa 90 Kilometer südlich von Frankfurt am Main gelegen, war die Stadt mit ihrer malerischen Schloßruine einer der Hauptorte der Romantik.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Osnabrück52.2719595,8.047635Auf das Frühmittelalter zurückgehende Stadt bei dem dortigen Bischofssitz entstanden, in Mittelalter und Früher Neuzeit Hansestadt im nördlichen Westfalen gelegen.
Erich, auch: Erec/Erek/ErikSpitz- bzw. Kosename für Karl Hegel (1813-1901) von seinem Jugendfreund Georg Gottfried Gervinus (1805-1871) verwendet.
Addreße, Adresse, AdreßeHier gebraucht im Sinne einer politischen Meinungsäußerung bzw. Willenskundgebung, die von einzelnen Personen oder Gruppen an ein Staatsoberhaupt oder die jeweilige Regierung gerichtet ist, zumeist in schriftlicher Form; auch gebraucht im Sinne von: „Glückwunschadresse“ als besonderes, zumeist gedrucktes aufwändiges Glückwunschschreiben mehrerer Personen an eine bestimmte Person oder Institution; auch: Postadresse, Anschrift.
preußischZu Preußen gehörend, auf Preußen bezogen, sich auf Preußen beziehend.
heimlichheimelig.
Gott, auch: HerrHier bezogen auf die biblische Schöpfungsgeschichte im Christentum als höchstes gedachtes und verehrtes überirdisches Wesen.
hange und bangeMehrwortausdruck im Sinne von: angstvoll erwartend, überaus in Sorge sein, große Angst haben etc., abgeleitet von „Hangen und Bangen“ für: angstvolle Erwartung, große Sorge etc., hier: gebraucht wie: „angst und bange“ (= aus dem Althochdeutschen/Mittelhochdeutschen, wobei beide Begriffe stehen für: ängstlich stehen, eigentlich von eng bzw. beengt).
mediam non daturLateinisch für: „die Mitte ist nicht gegeben“, in etwa auch in Anspielung auf „aurea mediocritas“, die ‚goldene Mitte’, als bevorzugten Mittelweg, den es in einer verfahrenen Situation allerdings nicht zu geben scheint bzw. nicht gibt.
TheeTee.
EinlageBriefeinlage in einem anderen Brief, auch Kuvert; Briefsendung die eingelegt wird, auch Einlage in einen Brief- oder Postkasten, Postfach; gelegentlich auch Synonym für Einschreiben (Einwurf); Spareinlage als Geldanlage zu Sparzwecken.
LocalnummerStandortnummmer, Katalognummer, Platznummer, auch: Wohnungsnummer innerhalb eines Wohn- oder Gasthauses.
GefächerFächer und/oder Schubladen eines Schrankes, Regals oder Schreibtisches.
KehrseiteRückseite.
Local, LocaleAufenthalts- und Versammlungsraum (z. B. in einem Archiv, einer Bibliothek etc.); Lokal; auch Gasthof, Hotel, Unterkunft; Platz, Ort, Wohnort, Wohnung, Standort.
CollegienanzeigeBekanntmachung einer Vorlesung, Vorlesungsankündigung.
Colleg, Collegium, CollegienAkademische Vorlesung(en) bzw. Vorlesung(en) an einer Universität oder Hochschule.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis