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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Frankfurt am Main, 16. Februar 1836

Lieber Hegel.

Ich antworte Ihnen gern bald auf Ihren Brief1, der mich wirklich zu sehr gefreut, mir zu sehr geschmeichelt hat, als daß ich Ihnen, dieß nicht ausdrücken möchte. Namentlich aber bewegt mich ein Irrthum dazu, in dem Sie stecken, aber aus dem Sie sich nur kaum herausarbeiteten, ein Irrthum, der Ihnen den ganzen Spaß verderben mußte, den Sie an Gudrun hatten. Wie kamen Sie auf den Gedanken daß dieß der erste Gesang sein sollte? Es ist der 15te und allerdings, wie Sie selbst vermutheten, der Gipfel des Gedichts. Gladbach vergaß dieß darüber zu bemerken. Ich hab mir die schönste Stelle heraus, um meine Kräfte an einer solchen Stelle zu versuchen, die mich Ungeübten ermunterte, nicht schreckte. Ich werde überhaupt das Ganze so außer der Reihe behandeln, um die rhapsodische Entstehung gleichsam in der Umbildung nachzuahmen. Dieß gewährt den großen Vortheil, daß ich dann in jedem einzelnen Gesange mich aufgefordert fühle2, viele Bezüge klar und bestimmt anzugeben, um den Gesang möglichst für sich zu einem verständlichen Ganzen zu machen, das nur an allen Ecken und Enden nach Ergänzungen und Aufschlüssen strebt. Dieß ist mir scheints mit diesem Probengesang sehr gut gelungen, da Sie ihn sogar für den Anfang halten konnten, und da Sie nach einer Menge solcher Aufschlüsse begehren, während Sie doch auf der anderen Seite beinahe in Stand gesetzt sind, die ganze vorgefallene Geschichte daraus zu ahnen. Sie erfahren darin, daß Gudrun von den Normannen geraubt ist mit Gewalt, daß ihr Vater dabei geblieben, ihre Mutter sich nach ihr sehnt, Bruder und Geliebter zur Rache erzogen worden während sie Gefangenschaft3 duldet; Sie erfahren einen Theil und die Art ihrer Leiden, die Verkündigung und nahe Erfüllung ihrer Erlösung und lernen die Art dieser letzten kennen, und die Hauptpersonen sehen Sie vor sich oder in dem Hintergrunde. Sie sehen, da haben Sie das ganze Gedicht in nuce, das heißt eine ächte Rhapsodie, wie fast jeder Gesang in der Odyssee, der nicht episodische Erzählung perge ist. – – Wirklich war mir so Ihre Ausstellung fast noch mehr Lob, als was Sie billigten und Sie selbst werden das hinterher finden. Daß Sie das Gedicht Ihrer Freundin vorlasen, gefällt mir sehr wohl; auf die Empfindungen der Frauen dabei bin ich weit gespannter, und offen gesagt, halte ich weit mehr als auf die der Männer, weil diese sich leicht von zu viel accessorischem hinreißen lassen. Auf Beseler bin ich sehr begierig. Das einzige was mir noch unklar ist, ist daß Sie das erstemal kälter blieben dabei; ich begreife es ganz gut, besinne mich aber hin und her, ob es wohl eine gute oder schlechte Eigenschaft des Gedichtes ist, und kann nicht recht darüber hell werden. Ich zweifle daß irgend ein griechisches Drama oder Epos ja das erstemal bedeutend aufgreift. – Gladbach wird Ihnen nächstens, Exemplar Göthischen Briefwechsel zuschicken. Den Probegesang Gudrun dürfen Sie sich nicht wundern bald gedruckt zu sehen; ich lasse ihn Ihnen vielleicht aus Leipzig nach Berlin schicken. Aber halten Sie ja strenges Geheimniß.

Ihr Ministerium4 hat mir neulich auf Empfang meines 2ten Bandes sehr höflich geschrieben und meine Grobheit beschämt, da ich nichts zu dem eingesandten Exemplar geschrieben hatte.5

Fürchten Sie nicht, daß die Entfernung und Trennung mich auch wesentlich von Ihnen trennen wird; ich knüpfe nicht leicht Verbindungen, die geknüpften löse ich aber auch schwer. Sie haben doch dafür auch Bürgschaft in meinem ganzen Treiben. Wenn es uns wirklich um ein nützliches Eingreifen in die wesentlichen Dinge zu thun ist, so brauchen wir Bundesgenossen die gemeinsam mit uns agiren und Sie wissen mit welcher Angst und oft mit welchem Verzagen ich mich nach solchen umgesehen habe. Wo ich nun einen Einstimmigen je finde, da klammere ich mich so gern an, und um so lieber je seltener mir diese Freude wird. Ich wünsche sehr daß Sie in Ihren Mittheilungen an mich fortfahren möchten, zu viel werden Sie mir darin nicht thun.

Was den Artikel in der O. P.Z.6 angeht, so will ich Ihnen sagen, daß er von meinen Freunden allhier Professor Hessemer, glaub ich, Amts[…]7 Stein8, von jenem redigiert und von diesem eingesandt an die Redaction ist. Der letzere ist nicht recht geständig, doch kann ichs beschwören. Das mögen Sie sagen wenn Sie wollen, öffentlich nennen kann ich natürlich Niemanden. Machen Sie aber doch jederman merklich als ausdrückliche Versicherung von mir, daß noch Ein kleinster Streich die Art aus Heidelberg mich bewegen würde, einen fertigten Aufsatz der die ganze innere elende Lage von H.9 aufdeckt, in die Allgemeine Zeitung rücken zu lassen. In Hannover wußte man von Anfang daß ich Verfasser der Historischen Briefe bin. Es ist also hier gar nichts für mich zu besorgen. Aus Heeren mach ich mir nichts.

Danke für Besorgung an Beseler. Ich erwarte nun täglich Nachrichten von ihm, da ich neulich eine lange Briefschuld abgetragen habe. Er hat leider seinen besten Freund in Basel, Senator Burckhardt10 verloren.

Ich bin hier in Frankfurt bei Hessemer, wo ich wohl noch 8 Tage bleibe; leider bleiben muß, weil ich noch nicht kapitelfest11 genug bin, um bei dem Unbestand des Wetters mich auf das Dampfschiff zu wagen, das ich nun zu benutzen denke. Wollen Sie mir noch einmal hierher schreiben, so wird’s mich freuen. Bemerken Sie mir dann, wenn Sie nach Berlin abreisen. Im andern Falle geb ich Ihnen ein mal von meiner Reise aus Nachricht und später aus G.12 nach B.13 Vergessen Sie nie Ihre Angehörigen schön zu grüßen; und in Heidelberg den Schlosser.

Die Gelder habe ich natürlich mit erhalten. Danke schön. Sie hätten aber einiges zur Beschreibung etwaiger Nachzügler an sich behalten sollen; doch schicken Sie sie so am besten gleich von der Post aus nach Darmstadt.

Hab ich Ihnen dann auch für den Rosenkranz gedankt! ! Sonst hole ichs freundlichst nach und will ihn in Ehren halten.

Herzlichst Ihr
Gervin.