ich bin ohne meine Schuld Ihnen die Antwort auf Ihre beiden letzten Briefe2 schuldig geblieben; ich war so beschäftigt, daß ich an keine Correspondenz denken konnte. Jetzt bin ich aber wieder Herr meiner Zeit. – Zuerst danke ich Ihnen für Ihre Dauer, nicht im Wechsel, sondern in der Treue, und daß Sie meiner noch ferner gedenken wollen. Seyn Sie versichert, daß Sie und das ganze Bild unseres Heidelberger Zusammenlebens3 mir stets freundlich vor der Seele stehen. Wir sollten uns doch oft und regelmäßig schreiben, etwa alle vierzehn Tage, was uns eben die Seele bewegt, oder im Bereich unserer Augen sich ereignete. An Stoff zum freundlichen Geschwätz wird es nicht fehlen.
Den ersten Gudrunsgesang4 habe ich mit vieler Erbauung gelesen, obgleich bis jetzt nur flüchtig. So wie ich ihn mir mehr zu eigen gemacht habe, sende ich Ihnen das Manuscript zurück. Gervinus scheint mir im ganzen die epische Muße in schönen Fleiß gesetzt und ohne Ziererei eine große Einfachheit bewahrt zu haben. Doch, wie gesagt, ich bin noch nicht Herr des Gesanges; später mehr darüber. Schreiben Sie mir auch Ihr Urtheil; ich danke Ihnen für die Zusendung. – Gerade mit Ihrem vorletzten Briefe erhielt ich auch einen von Gervinus, worin er mir den Tod seines Bruders meldete. Er schien ganz gebrochen; ich wollte, daß ich ihn stützen könnte. Hoffentlich wird das blaue Auge seiner Victorie und der neue Beruf in Göttingen5 seinen Schmerz bald lindern. Was hat er denn noch für Malheur in Heidelberg mit der Victoriesache6 gehabt?
Ich theile ganz ihren Zorn über das tückische und verläumderische Universitätsgesindel, und ärgere mich jetzt, daß die Redaction der Allgemeinen Zeitung7 meinen Aufsatz nicht so abgedruckt hat, wie ich eingesandt, sondern eine ganze sehr malitiöse Stelle gestrichen hat, und außerdem den Schluß, welcher eigentlich so lautete: „Dem Heidelberger Correspondenten wünschen wir aber, nicht weniger aufrichtig, daß er beschämt in sich gehe, und sich beßere; daß aber vorläufig zur Unterstützung seiner Schwachheit kein aufstrebendes Talent in Heidelberg Anerkennung und Förderung finde; denn diese Auszeichnung, sagt Göthe, konnten sie ihm nie verzeihen.“8 – Jedoch, laß sie! Sie entwischen ihrem Henker doch nicht.
Wenn ich all die Erbärmlichkeiten sehe, womit man sich auf deutschen Universitäten das Leben verbitterte, und jede Würde der Persönlichkeit und die Wißenschaften mit Füßen tritt, so freue ich mich erdenklich, daß ich hier unter guten und natürlichen Menschen die Tage meiner Vorbereitung verleben kann. Ich hoffe mich hier so zu rüsten, daß ich später dem wüsten Gesindel und der ganzen deutschen Juristerei, die am meisten an der Noth des Vaterlandes Schuld ist, festen Schrittes entgegentreten kann. – Über meine Rede urtheilen Sie wohl zu günstig; sie konnte nur ganz fragmentarisch bleiben, und ich sehe wenigstens meine Erwartungen übertroffen, wenn sie einigen Eindruck machen kann. Aber was will der alte Thibaut? Von dem hätte ich ein solches Betragen am wenigsten erwartet. Und was will er? Wirft er mir etwa vor, daß ich ihm seine Gedanken gestohlen habe? Aber meine ganze Ansicht beruht ja auf der Nationalität unseres Rechtes, wovon er weder eine Kunde noch einen Begriff hat! Oder will er etwas anderes? Ich hoffe, er wird noch manche unerwartete Acquisition machen, wenn er fortfährt, auf meine Gedanken zu fahnden.
Was mich in der letzten Zeit so beschäftigt hat, war ein Vortrag9 für die hiesige juristische Gesellschaft, wovon ich Ihnen werde geschrieben haben.10. Es sind darin einige sehr kenntnißreiche und geistvolle Männer, und abgesehen davon, daß ich durch das Presidium in ihr meine hiesige Stellung viel angenehmer gemacht sehe, lerne ich auch wirklich etwas dabei. Über- haupt ist es für die größere Veranschaulichung sehr gut, wenn man eine Zeit lang in einem republikanisch bewegten Gemeinwesen sich aufhält, und so ist mir hier der tägliche Verkehr eine lebendige Schule. –
Ich habe mir in jenem Vortrage klar zu machen gesucht, was denn eigentlich Rechtswißenschaftstheorie und Praxis sey und wolle. Ich habe die Rechtswissenschaft unter das Princip der Gerechtigkeit gestellt, und ihr zum Inhalt das ganze Recht angewiesen, wie es in der Menschheit zur Geltung gekommen ist. So ist sie die Wissenschaft des Gerechten, des geläuterten Rechts. Ihr Resultat ist nothwendig und darum unwandelbar. Die Theorie dient aber nur einem besonderen Recht und hängt daher von Zeit und Raum ab. Darnach habe ich sie betrachtet 1. bei den ursprünglichen ersten Verhältnißen der Nationen, wo sie die Praxis zusammenfällt. 2. Bei organisch entwickelten Nationen, wo sie die Praxis setzt, aber nicht von ihr organisch verschieden ist, und auch die Bürger nicht von ihr ausschließt. 3. Bei verschobenen und verschrobenen Zuständen, wo sie das Volk vom Gericht ausschließt, und das Recht autokratisch beherrscht (das späte Rom, Deutschland.) – Ich fand vielen Beifall, namentlich auch mit dem Versuch, Ethik und Recht auf daßselbe Grundprincip zurückzuführen.
Meine Hauptbeschäftigung ist der zweite Theil meiner Erbverträge11, durch welche ich mir den Namen eines guten Juristen begründen möchte, denn das ist nöthig, um mit Erfolg die Jurisprudenz anzugreifen. Ich denke ihn in diesem Jahre vollendet zu sehen. Und dann immer weiter voran, voran im Dienste der Nation. – Daß Sie, lieber Hegel, fest an den Alten12 halten freut mich innig. – Ich möchte sagen, Sie haben den beßeren Theil erwählt; denn während ich das wenige, was ich habe, daran setzen muß, um Herr der Materie zu bleiben, so vermehren Sie mit jeder Arbeit den Vorrath Ihres gestrigen Reichthums. Ich denke mir aber, auch Sie werden es später sich zur Pflicht machen, das gewonnene Pfund für die Nation und die Menschheit wuchern zu laßen. Es ist meine feste Absicht, mich wieder und bald an die Brüste des Alten zu legen.13 Grüßen Sie Schloßer, und danken Sie ihm für seinen Brief, der mir große Freude gemacht hat.
Was macht Ihr Bruder? Antworten Sie bald.
P. S. Erkundigen Sie sich gefälligst bei dem Antiquare, ob Sie Lehmanns Chronik von Speier haben, und zu welchem Preiß? Briefseite 3
Bleiben Sie Ostern noch in Heidelberg, oder gehen Sie nach Berlin? Und welche Nachrichten von dort? Briefseite 2