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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Göttingen, 17. April 1836

Liebster Erich.

Ihr Brief1 traf Einen Tag später als ich in Göttingen ein, und ich wüßte nicht vieles was mir zum Willkomm so willkommen gewesen wäre wie Er. Ich dachte lange darauf an Sie zu schreiben, denn ich war Ihnen die letzte Antwort schuldig, allein wie sollte ich dazu kommen?

Bei meiner ersten kurzen Anwesenheit in Göttingen fand ich keine Zeit, an Hessemers2 nach Frankfurt eine knappe Nachricht gelangen zu lassen über mein Befinden, denn ich war noch halb unwohl von Frankfurt weggereist und hatte diese Nachricht zu geben feierlichst versprechen müssen. In den Kreisen bei Dahlmann, Grimm, Rehberg war allerdings meine Aufnahme sehr herzlich, aber auch nur bei ihnen; ich muß dieß sagen, nachdem ich nun etwa 50 oder mehr Angehörige der Universität kennen gelernt habe, obwohl mir noch einige, wie namentlich Lücke, fehlen. Der erste Besuch kann übrigens nicht entscheiden, doch könnte ich wohl wahrsagen, daß ich außer denen die ich bereits aus Schiften oder sonst früher gefunden hatte nichts finden werde, was mich erquickte. Böse bin darüber nicht, sondern ich bin zufrieden, daß ich wenige Wackere gefunden habe, unter denen sich Dahlmanns3 durchaus als die alten lieben Freunde erweisen und Grimms als biedere Männer, mit denen häuslich besser zu verkehren ist als literarisch. Ich glaube unter ihnen künftig als ein Mitspielender stehen zu können. In Hannover schien es mir als ob ich guten Fuß gefaßt hätte; an Arnswaldt habe ich wohl einen Gönner aus Überzeugung. 4 Warum aber rede ich Ihnen von diesem Quark zuerst? Ich wollte Ihnen ja sagen, warum ich Ihnen nicht geschrieben hätte und davon waren weit günstigere und schönere Ursachen schuld. Ich war 4 Wochen im Hamburg und 8 Tage in Osnabrück. Ich habe mir eine schönere Zeit gelebt. Ich habe meine liebe Victorie nun in Glück und Zufriedenheit gesehen, die ich bisher nur in Kummer und Last gesehen hatte. Ich habe Ursache mich ihrer raschen Entwicklung zu freuen, und in einer mir stets merkwürdigeren Mischung in ihr so viele unverwüstliche gute Natur bei erwachendem Bildungstriebe, so vielen schlichten Sinn bei einer edleren Bestrebung, so viel Unschuld dauernd und ungestört mich ihrer erfreuen, denn ein weiter Kreis von lieben Verwandten umgab uns wetteifernd uns bald an sich anzuziehen, und bald noch freundlicher uns zu entfernen und uns allein zu überlassen. Ich habe in diesem Kreise volles Vertrauen und Achtung gefunden und sie erkannten schnell und leicht, daß es sich unter uns um keine der ordinairsten Verbindung handelte. Diese Menschen sind ausgezeichnet in der That. So viele Einfalt der Sitten in solch einer Stadt hätte ich in keiner Weise gesucht. Es war daher auch kein Wunder, daß wir beide uns hier sogleich heimisch fanden, wie dann schon Victorie durch ihre liebenswürdige Natur Alle eingenommen hatte, noch ehe unsere Sache recht zur Sprache gekommen war. Daß der gute Vormund in Heidelberg nun, wie Sie es erwarteten, sehr schlecht wegkommt, war die natürliche Folge seines intriguanten und kleinlich schlechten Verfahrens, mit dem er unser Verhältniß zu untergraben suchte, und das ich erst nun ganz und in allem Umfang kennen lernte. Er hat nun allen Credit verloren bei diesen würdigen Onkeln, in deren Achtung zu stehen einen Werth hat. Die Tante in Hamburg ist eine kränkliche, aber treffliche stille Frau, die mich, dünkt mir, etwas an das Portrait Ihrer Mutter mahnte. Der Onkel in Osnabrück übertrifft übrigens nach meinem Urtheile Alle; eine herrliche, klare Natur, ein öffentlicher Charakter der das unbegränzte Vertrauen seiner Vaterstadt hat. Alle wünschen nun unsere baldige Verbindung aus vielfachen Gründen, am meisten aus Wohlwollen für Victorie, deren Glück auch ihnen nicht in den gewöhnlichen Jugendspielen gelegen scheint, so werden wir uns schon nächsten Herbst angehören. Ich biete Ihnen dann mein Haus zu Ihrer ersten Erholung nach dem Examen an und Sie dürfen mir das nicht abschlagen. Sie werden die alte Herzlichkeit in mir, und in meinem kleinen Liebling eine Würze unseres Verkehrs, und wenn nicht Alles fehl schlägt, im Keller eine gute Flasche Rheinwein finden.5

Sie schreiben mir von meinem Götheschen Schriftchen6. Ich habe unterdessen viel darüber gehört und zu meinem Erstaunen erfahren, welch eine gute Arbeit ich da gemacht hätte. Sie wissen, in welcher Stimmung, bei welcher Gemüthslage, in welcher laxen Weise das Ganze entstanden ist, gut genug für eine Recension, zu schlecht für ein eignes Buch. Und dieser Wisch wird mir mehr Namen machen als meine drei Geschichtsbände: so ist jetzt das Publicum. Schlossers strengere Ansicht war mir gar nicht unerwartet, obwohl ich deren Einzelheiten nicht begreife. Mit dem jungen Deutschland bindet die Schrift ehr friedlich an, und gewiß ist eine Broschüre gegen dieses ein besseres Mittel als ein Buch; meine französischen Ausdrücke sind blos von Göthe, oder von wem die Rede ist, wörtlich entlehnt; für die Frauen war es nicht berechnet, obwohl sie darüber herfallen wie die Wölfe. Ich hatte in Hannover namentlich und auch hier ganz köstlichen Stoff mich todt zu lachen über die Art und Weise, wie sich die Frauen über einzelne Stellen in der Beurtheilung Bettinens, die ihr ganzes Geschlecht treffen, beschweren. An der Einen Stelle von der Sphäre des weiblichen Geistes stoßen alle an wie an einen unbemerkten Eckpfosten; und doch, wenn man sie um ihre ehrliche Meinung fragt, so können sie nicht entgegen sein. Daß man die Wahrheit aber sage, das finden sie unerträglich.

Es war mir lieb zu hören daß Sie Schlossern noch fortwährend nähr kamen. Einen Menschen von so viel Kern, von solchem Charakter, und ich füge gerne immer hinzu, mit so viel innerem Glück, das mir stets die Bürgschaft für jede gute Bestrebung ist, ich sage einen solchen Menschen kennen gelernt und in sich aufgenommen zu haben, ist ein anhaltender Gewinn für das ganze Leben. Sie haben seinem sonst schrofferen Wesen auch wohl das abgelernt, daß man sich in die Dinge fügen muß; es ist mir lieb daß Sie den Sinn für beides haben, in Ihrem Berlin kein Andrer scheinen zu wollen als Sie sind und doch nicht mit Allen es verderben zu wollen. Sparen Sie immerhin den Eclat bis auf die Zeiten größerer äußerlicher Selbstständigkeit; man braucht darum seinem Gewissen und der Wahrheit durch nichts zu vergeben. Ich habe Ihre neue Entscheidung für die Geschichte als nichts Befremdendes empfangen. Nur verschmähen Sie nicht innige Beschäftigung mit einem Vorgeschriebenen. Ich hatte mir immer gedacht, sie müßten eine Zeitlang Jugendlicher werden und diese beste Schule zur Selbstkenntniß und Menschenkenntniß durchmachen, und dann Lehrer von Jugendlehrern; dann hätten Sie Zeit und Muße genug, die Historie, die Sie ohnehin nie aus den Augen zu verlieren brauchten, allein zu pflegen. Es ist freilich arg, Metrik und Archäologie und all diesen Quark verdauen zu sollen fürs Examen, doch wäre auch das nicht unüberwindlich und es einmal versucht zu haben ist immer auch ein Gewinn. Dieß ist übrigens ein bloßer Rath, der auch vielleicht Ihrer Natur ohne Schaden widerstreben darf. Sie haben vielleicht zu vieles pflichtmäßig gelernt, daß man Ihnen nun wohl die Freude gönnen darf, einmal nach Lust und Liebe zu lernen. Mir ist auch bei all Ihren Wechseln7 keineswegs angst; ich habe dergleichen vielleicht noch öfter und gewiß viel schroffer, und auf eine viel heftigere, kampfkostende Weise durchgemacht. Bis wir auf unsere einfache Natur und die Wege zurückkommen auf die sie uns weist, das ist wohl nicht ohne Kampf und Wechsel zu erreichen. Und ich sehe Sie viel ruhiger durchmachen, was mir viel saurer ward. So lange Sie auch im Alterthum sind, haben Sie viel bessere Wegweiser für diese Pfade zur Hand, als Ihnen das einsichtigste Lebende sein könnte. Bei diesem Einen rathe ich Ihnen noch auszudauern, so lange Sie noch Schriftsteller vom ersten Range vor sich haben. Bleiben Sie bei der Geschichte, so sie dann Ihr erster weiterer Blick aufs Vaterland richte, und an dieses schließen Sie sich recht an. Eilen Sie auch nicht mit dem Produciren. Das geistige und leibliche Zeugen oder Heirathen wird man mit Recht normal auf 2 Jahre vor und nach 30 setzen. –

Sobald ich von meiner hiesigen Lage was zu sagen weiß erfahren Sie’s. Grüßen Sie Ihre Mutter, die ich schon aus Gründen welche ich Ihnen nicht sagen kann hoch rechne, herzlich von mir und Ihren Bruder . Dahlmanns erwiedern Ihre Grüße schönstens und freundlichst, und denken Ihrer mit Vergnügen. Schreiben Sie mir bald und viel wieder.

Ihr
Gervin.