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Georg Beseler an Karl Hegel, Basel, 5. Juni 1836

Liebster Hegel!

Sie haben mir eine große Freude gemacht durch Ihren letzten Brief1. Theils weil jeder Zug von Ihrer Hand mir unsere freundschaftlichen Beziehungen wieder auffrischt, von denen ich um keinen Preiß wieder ablaßen möchte; theils auch, weil ich daraus sehe, daß Sie wohl sind und im mütterlichen Gewahrsam2 sich wohl fühlen. Was Sie mir von der sinnigen Betriebsamkeit Ihrer verehrten Mutter für Arme und Verlaßene erzählen, hat mich sehr gerührt, und ich freue mich, daß ich nach der Erinnerung von dem Ihnen geschickten Bilde die ersten und doch milden Züge derselben vergleichend an ihre Bestrebungen halten kann. Es würde mir keine geringere Freude machen, Sie, lieber Freund, einmal wieder zu sehen, und nach gewohnter Weiser unbefangen und frei mit Ihnen zu besprechen, was unsere Seelen erhellt und unser Herz bewegt. Es wird doch nicht sobald wieder eine solche Trilogie zusammen gebracht werden, wie wir sie mit Gervinus in Heidelberg gebildet haben3, und wenn ich auch hier manchen werthen Freund und tüchtigen Mann gefunden habe, so fehlt doch das leise und tiefer greifende Spiel der Seelen, welches nur durch den offensten Austausch von Gedanken und Ansichten, verbunden mit dem gleichen Teile zusammen, und fest an dem, was nur in der Nähe vereinte; Streben wir nach dem Höchsten, aber nicht bloß, um in vornehmer Wißenschaftlichkeit zu schwelgen, sondern um das Leben mit seiner Last und Liebe männlich zu tragen und menschlich zu vergeistigen. – Sie werden manche Anregung und manche Freude in Ihrer Königsstadt4 haben: ich fürchte aber, daß Sie noch mehr von der Unnatur und Verschrobenheit vieler Persönlichkeiten und Verhältniße zu leiden haben. Es schießt so manches Byzantinische5 in Berlin auf. Was soll man z. B. von Ihrem Johannes Schulze denken, wenn er die Verdienste des preußischen Unterrichtsministers6 nach der Zahl der allgemeinen Verordnungen, die von ihm in Jahresfrist erlaßen wird, berechnet? und schließlich für die Wirksamkeit des Staatsmanns Demuth fordert? in einer Zeit und einer Nation, wo nur die concentrirte Kraft einer großen Persönlichkeit, die wie ein Magnet alle eisenhaltigen Stoffe ihrer Umgebung um sich versammelt, schaffen und wirken kann? Und so geht es in den meisten Dingen. Freilich wird es beßer werden, und bald beßer werden, wenn man so tüchtig die Axt an die Mängel legt, wie der brave Lorinser es gethan hat, deßen Schriften7 (ich kenne sie aber nicht ganz, werde noch berichten) Waßer auf meine Mühlen ist, wie Sie sich denken können. Aber die Zeit des Übergangs wird eine schwere und eine gefährliche seyn, namentlich für junge Männer, die noch nicht den festen Halt der äußerlichen und inneren Stellung weghaben. Für Sie bin ich nicht bange, lieber Hegel; Sie haben Schlossers Lehre und Ihre Alten8. Wer sich die zu Führern erwählt hat, und in solchen Verhältnißen, wie die ! gegenwärtigen, fällt und liegen bleibt, nicht bloß strauchelt, der verdient nicht, daß er steht. Es wird Ihnen aber doch die Aufgabe immer näher treten, sich eine bestimmte Berufsbeschäftigung zu wählen, und ich erwarte von Ihrer Freundschaft, daß Sie mir Alles, was Ihnen in dieser Beziehung geschieht, mittheilen, wie ich dann stets jede Nachricht von Ihrem Seyn und Wesen mit der größten Theilnahme aufnehmen werde. Sie werden nun auch etwas von mir hören wollen, lieber Freund, und ich kann Ihnen dann von dieser unbedeutenden Persönlichkeit eigentlich nur lauter Gutes melden. Sie wißen, ich habe mich nun einmal mit Leib und Seele dem Vaterlande9 verschrieben, und also wird zuerst die Rede davon seyn müßen, wie ich mich in den Beziehungen gestellt finde, welche auf meine Ausbildung für späteres Wirken gehen. Da bin ich nun eigentlich unter günstigen Verhältnißen: meine Zeit ist von Berufsgeschäften nicht so in Anspruch genommen, daß ich nicht zu freieren Arbeiten gehörige Muße hätte, und das natürliche und lebendige Treiben in diesem kleinen Gemeinwesen, an dem ich einen bescheidenen, aber doch nicht unintereßanten Antheil nehme, giebt für manche Zustände, welche der akademische Jurist gewöhnlich nur aus Büchern kennen lernt, ein sehr belehrendes Excempel. Überhaupt bildet ein großartiger Handelsverkehr, der vor unseren Augen sich vorbeizieht, und die rasche und verrohte Geschäftsmanier tüchtiger Kaufleute, mit welchen wir in Berührung kommen, auf eine merkwürdige Weise den Tact und den Sinn fürs practische Geschäftsleben, deßen Nichtachtung sich auch bei der allgemeinsten und idealsten Auffaßung einer nicht ganz abstracten Wißenschaft nur zu nachhaltig rächt, wie leider unsere deutschen Zustände darthun. – Übrigens habe ich Alles, was ich nach der mir gebotenen Stellung hier erwarten darf, vor Allem die Achtung und das Vertrauen der thüchtigen Männer, woran hier kein Mangel ist. So bin ich erst neulich auf eine sehr ehrenvolle Weise ausgezeichnet worden, indem man mich zum ordentlichen Profeßor ernannt hat, noch kein Jahr post urbem conditam10, nach meiner Berufung, und – was mir das Liebste ist, meine Collegen haben mir nur die freundlichste Theilnahme geschenkt, von Neid etc. keine Spur. Auch fängt man an, mich bei der Erlaßung von neuen Gesetzen und dergleichen unter der Hand zu Rath zu ziehen, bespricht interessante Rechtsfälle mit mir, – kurz giebt mir Gelegenheit, daß ich an manche Idee den Maaßstab der Wirklichkeit anlege, und das nenne ich die beste Schule. Ich möchte wohl ein paar Tage in Heidelberg bleiben. Wie benehme ich mich gegen den alten Thibaut? ignorire ich ihn, oder fordere ich, natürlich mit offener Freimütigkeit, eine Erklärung von ihm? Ich verdanke ihm Manches, und so möchte ich ihn nicht härter anfaßen, als nöthig. Da Sie sein Betragen gegen mich kennen, so könnten Sie mich vielleicht mit ein paar Worten au fait setzen. Die Baseler Verhältniße sind übrigens in einer günstigen Lage, weil man hier wohlhabend, einig und sich über seine Stellung ziemlich klar ist. Sonst bietet die Schweiz in politischer Beziehung einen traurigen Anblick dar: Parteiungen der wildesten Art, eine unglaubliche Confusion der Begriffe und Mangel an Rechtsgefühl und Treue. Namentlich in Bern, dem mächtigsten Kanton, erscheinen diese Zustände in der grellsten Art. Mir kommt die Schweiz zuweilen wie eine reife Frucht vor, welche nur darauf wartet, daß schüttelt werde, um in Deutschlands Schoß zu fallen. Aber denken Sie Sich, wahrscheinlich hat das vertriebene junge Deutschland sich mit einem neuen Plane umgetragen, ins Vaterland einzufallen, und, so scheint es, einen Versuch zur Revolution zu machen. Ich habe aber doch auch noch kein Schweizer Blatt gelesen, was eine solche Mißgeburt dieser verbrannten Gehirne auch nur annähernd gebilligt hätte. – Näheres weiß man noch nicht; in Zürich sind jedenfalls bedeutende Verhaftungen vorgenommen.

Wir haben hier im Juli und August 4 Wochen Sommerferien, und die werde ich in Göttingen zubringen, hauptsächlich um an der Bibliothek so den zweiten Theil meiner Erbverträge11 zu arbeiten, welche hoffentlich noch in diesem Jahre gedruckt werden. Denn ich halte es für nöthig, mich durch literarische Arbeiten mit Deutschland in Rapport zu halten. Die Studien, die ich jetzt dazu treibe, sind eben nicht belebend; aber wenn ich aus meinem Fenster sehe, dicht unter welchem der Rhein vorbeirauscht, vor mir das grüne Wiesenthal und im Hintergrunde den ersten Schwarzwald, da kommt mir jede Mühe leicht vor, welche in entfernter Beziehung auf der Füße Land steht. – Natürlich freue ich mich auch auf Dahlmann und Gervinus. – Die Zielordnung nach Berlin kann ich leider noch nicht annehmen, aber später können Sie mich sicher einmal erwarten. Vorläufig danke ich Ihnen für die Nachricht, daß Einzelne dort eine gute Meinung von mir haben. – Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Mutter, lieber Erich12, und Ihrem Bruder. Antworten Sie mir wo möglich so, daß der Brief mich noch hier trifft, was jedenfalls in der ersten Woche des Julius der Fall seyn wird.

Ihr Freund GBeseler.