Es war meine Absicht Ihren lieben Brief1 prompt und schnell zu beantworten, nun hats doch auch einen Monat gedauert. Es gehen mir jetzt so viele Gedanken durch den Kopf und so viele Geschäfte, Collegien, Beschaffungen, Brautkorrespondenzen, Hefte perge zertheilen meine Tage, daß ich in vielfältiger Zerstreuung an manches Wichtige nicht komme. Es geht dann um Alles darauf hin, daß ich im Herbst meine Kleine habe; Wohnung und Einrichtung ist schon so gut wie bereit, und ich hoffe ihr einen freundlichen Empfang zu bereiten; bei Dahlmanns2 wenigstens darf sie auf alle Freundesgesinnung rechnen; ich selbst werde Sie (nicht ohne einige halbväterliche Erziehung, die ihr doch Noth thut) auf den Händen tragen, und ich glaube das wird ihr genug sein zum Glück. Sie wird mich gewiß weit lieber gewinnen als Mann, denn als Bräutigam war ich viel zu leidenschaftlich und heftig durch unsre Misgeschicke gestimmt, als daß ich ihr einen recht männlichen Eindruck hätte machen können. Unsere goldnen Flitterzeiten sollen hoffe ich immer mehr werden, je länger es dauert.
Sie wollen von meinen Göttinger Verhältnissen wissen. Ich weiß selbst nicht viel davon. Meine Vorlesungen sind im leidlichen Zuge. Ich lese 3 vor 20 . 34 . 45. Zuhörern; das geht also wohl an.3 Allein ich merke wohl, daß die Theologen hier auch Hefte haben wollen, die sie einmal als Hauslehrer benutzen können und die kann ich ihnen freilich nicht geben. Überhaupt mache ich, wenn ich mich nicht selbst täuschen will, täglich mehr die Erfahrung, daß ich nicht zum academischen Lehrer tauge; ich hätte zum Knabenlehren weit besser gepaßt, und passe eigentlich zu gar keiner practisch-unmittelbaren Wirksamkeit, so practisch meine ganzen Tendenzen sind. Mein ewiges Streben war nach einer Weisheit, die sich nicht eitle Lappen von Gelehrsamkeit wie ein Gewand umhängt, sondern die die Seele gymnastisch formt und bildet. Ich suchte Charakter nicht weniger als Einsicht durch das Wissen und Lernen zu erwerben, und eben dieß macht mich für diese Brodanstalten nicht geschickt. Ich kann mich weder noch diese Anstalten darum anklagen, aber ich möchte uns eigentlich als eine unfruchtbare Ehe scheiden; denn ich sehe hier in der Lage nichts anders herauskommen, als eine Toleranz erst, dann eine Spannung und zuletzt einen Bruch. Die Studirenden wollen keinen Charakter, es muß denn ein alter, durch Stellung und Werth ausgezeichneter Mann sein, von nationaler oder politischer oder Regierungs-Autorität. Es ist ihnen unheimlich, Consequenz, gesunden Verstand, eine gewisse Bewältigung der Dinge, eine Abgeschlossenheit in einem Manne meines Alters zu finden; diesen Eindruck merkte ich gleich Anfangs ab; sie hören weit lieber einen über den viele Glossen zu machen sind. Kurz, ich bin weit zu wenig Fachmann, weit zu wenig auf naheliegende Zwecke gerichtet als daß ich michs einsehen sollte, diese Art Wirksamkeit sei nicht die geeignete für mich; wo naheliegende Zwecke doch allerdings die Hauptsache bleiben müssen. Bei Knaben ist dies ganz anders. Wir bereiten sie fürs Leben vor, diese alten Jungen fürs Handwerk. Ein Knabe schließt sich an einen Charakter mit Freuden an, weil er noch so gläubig ist, wie diese da septisch werden. Ich werde wohl gelegentlich darauf denken, mit einer bescheidenen Existenz mich zurückzuziehen und mir selbst zu leben. Ich hoffe nicht, früher zur eigentlichen Behaglichkeit zu kommen. Ich sträubte mich von jeher gegen jedes Amt und was soll ich mich quälen, da die Stelle mir eine Last, die Ehren ganz gleichgültig, und der Nutzen den ich stifte sehr problematisch ist. Dieß Alles ist für Sie; halten Sie höchlich und tieflich Geheimniß darüber. Ich möchte eigentlich ein Paar Jahre in Italien leben, später wohl nach Heidelberg rückkehren. Vielleicht träfen wir da zusammen?
Ich fürchte am wenigsten, Ihnen diese Bekenntnisse zu machen, da Ihre eigenen Äußerungen über unsere Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit mir entgegen kommen. Sie theilen so viel Ideologie, wie das die Leute nennen, mit mir, daß Sie schon in so frühen Jahren auf dem Wege zu der Wahrheit sind, die ich jetzt erst deutlicher einsehen lerne: man kann mit dieser Ideologie die reale Welt nicht erobern; man muß sich nur diereckt, fest, unangreiflich, abgeschlossen neben ihr aufpostiren, und einzelnen Empfänglichen in ihre es überlassen, so viel oder wenig aus unsrer Welt zu stehlen, zu erobern, zu erhandeln, oder wie sie wollen, um es in ihre Heimat einzuschmuggeln und einzuschwärzen. Anders finde ich da nichts zu thun.
Ich bin sehr erfreut, daß Sie an der Philologie festhängen und mit so bestimmter Absicht, sich mit der Gymnasiumslaufbahn zu versuchen. Sie werden entschiedenen Vortheil daran haben und Nutzen stiften, so weit ich Sie zu kennen glaube. Daß Sie die Historie dabei festhalten, ist noch trefflicher. Mir dünkte immer, wenn unsere gesammte Wissenschaft gedeihen soll, so muß das Historische Methode4 der Forschung und Behandlung werden. Das Dringen auf philosophische Behandlung scheint mir überall zu frühe. Wir haben einen gewissen Sinn und Styl durch die Poesie des vorigen Jahrhunderts erworben, jetzt müssen wir die historische Ansicht erwerben, dann wird der philosophische Abschluß natürlich folgen. Wie anders soll in aller Wissenschaft etwas Vernünftiges werden, als wenn wir uns überall und zu jeder Minute gegenwärtig halten, daß der menschliche producirende Geist jede Minute etwas anders ist und wird. Wir tractiren Alles als zuständlich, als statarisch, und die Welt ist in ewiger Flucht, und der Geist in ewiger Änderung. Man sieht an unseren Rechts- Kirchen-- perge- geschichten, daß die Zeit auf dem Wege ist; nur ist noch keine rechte Geschichte da und daher auch keine rechte geschichtliche Methode. Ich bewundere jeden Tag mehr das Werk von Burdach5, das auch hier eigentlich Alles in Allem ist.
Meine junge Frau muß ich doch wohl vor Allem nach Darmstadt und Heidelberg bringen. Schade daß dort Schlosser weg ist im Herbst, er geht auf 3 Monate nach Italien mit seiner Frau. Aber könnten Sie gar nicht eine Zeit lang hier studiren für Ihr Examen? In jedem Falle müssen Sie gleich nach Ihrer Erlösung kommen; und ich bitte nehmen Sie es mit dem Examen nicht so streng; die alte Erfahrung ist, daß fleißige Leute immer zu viel dafür thun.
Meine literarischen Arbeiten ruhen ganz. Ich thue neben den Collegien nichts, und werde das auch im Winter6 noch thun um mir wenigstens einen Jahrescours herauszuarbeiten. Überhaupt stelle ich mich sehr eifrig dazu an, und ganz ohne Frucht ists nicht; ich habe sehr fleißige Zuhörer meist und einige sehr warme. Mein Publikum mußte sich auch vorher erst bilden. Die theologischen Früchte scheinen mich im Anfang als ihren Apostel zu betrachten, und das wird nun freilich anders, – Gudrun? Gutruhe. Soll ich Ihnen ein gedrucktes Exemplar des Gesanges schicken?
Rosencranzens Recension könnte mir schmeicheln. Gelernt hab ich nichts daraus. Wenn er das Philosophie nennt, was er darin findet, so hab ich nichts dagegen; Methode ist etwa noch eher zu viel als zu wenig darin, dünkt mir. Mir thut es immer weh, daß ein Mann, der nun Alles das was da gewollt und geleistet ist anerkennt, nicht mit uns arbeiten kann. Hier scheint sich Alles zu nähern, und fragten wir näher beisammen an, welche Kluft würde zwischen uns sein. Einiger redlicher Wille und Entferntheit vom Eigensinn hab ich sehr gerne gesehen in ihm. Er scheint an seinem Titurel z. B. irre geworden zu sein; wenn er nun den 2ten Band liest und darin das harte Urtheil motivirt findet; ich hoffe so gründlich wie irgend ein andres, so bin ich begierig was er sagen wird. Ihre Jahrbücher haben mich aufgefordert. Ich wüßte nicht wo ich nun andershin recensiren möchte falls ich in den Fall komme; doch wissen Sie wie selten das ist. Das ungefähr hab ich geschrieben; ich wollte, aber ich dürfte nicht müssen. In den literarischen Unterhaltungsblättern im Mai ist eine Recension von Dahlmanns Politik von mir; anonym, schweigen Sie davon. Es ist fast nur Auszug, allein ich gefiel mir darin, seine accentuirten Stellen auszuheben und noch einmal zu accentuiren; besonders gegen Preußen. Nichts für ungut. Ich lasse in diesen Blättern auch nächstens meinen Zechkunstentwurf drucken und meinen Plan zur Historik. – Beseler wird in diesem Monat auf einige Wochen hierherkommen, dann soll er Ihre Aufträge hören. Schreiben Sie mir bald wieder und seien Sie herzlich gegrüßt von