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Georg Beseler an Karl Hegel, Basel, 30. August 1836

Liebster Hegel!

Es war meine feste Absicht, Ihnen schon von Göttingen aus zugleich mit Gervin zu schreiben; aber ich war in Göttingen so überhetzt, so überladen mit Arbeiten, die größtentheils im Excerpiren bestanden, daß ich nicht die gehörige Ruhe dazu fand. Und einen Brief an Sie so nebenbei abmachen, so ebenhin zusammenschreiben, mag ich nicht; dazu sind Sie mir zu lieb und werth. Jetzt bin ich dann schon seit acht Tagen wieder in meinem Freistaate seßhaft, löse meine Collegen ab und freue mich meines schönen Rheines und seines kühlen, stärkenden Wassers. Sie sehen, ich bin hier rüstiger als in Heidelberg, wo ich mich vor dem kalten Bade scheute.

Meine Reise nach Göttingen ist sehr wohl gelungen, ich habe nicht bloß bibliothekarischen Gewinn daraus gezogen: dieß war freilich der nächste Zweck; auch habe ich mich so mit Material versehen, daß ich meinem Buchhändler schon zum November das erste Manuscript zum Druck habe versprechen können. Es wird der zweite Theil meiner Lehre von den Erbverträgen1, und ein gutes Buch worden. Ein fleißiges halbes Jahr wird es mir schon machen; aber ich bin rüstig und frisch und freue mich der Arbeit. Übrigens werde ich später wohl keine Monographien mehr schreiben, obgleich ich die detaillirte Forschung nie von mir weisen werde. Ich denke an ein größeres Werk zu gehen, entweder eine deutsche Rechtsgeschichte, oder eine Gegenüberstellung des deutschen und römischen Rechts, woran sich eine Untersuchung über unsern gegenwärtigen Rechtszustand und deßen Reform aufschließen könnte. Doch sind das alles nur entfernte Pläne; mein Wahlspruch ist: das Nächste zuerst. – Wie viel ich an Gervinus in Göttingen gehabt habe, brauche ich Ihnen nicht sagen. Daran knüpfen sich dann im anmuthigsten Vereine Dahlmann mit Frau und Tochter, die Grimms , von denen Jakob und Wilhelms Frau mir viel werth sind, und andere gute Freunde. Es ist mir doch gut gewesen, einmal wieder auf deutscher Seite zu hausen, mit deutschen Männern mich traulich zu besprechen über unseres Volkes Wohl und Wehe, und was für daßelbe Tüchtiges zu erstreben ist in jetziger Zeit. Die Gespräche mit Dahlmann in Göttingen drehten sich fast ausschließlich um diese Angelegenheit. Ich weiß zu gut, was ich will, als das ich hier in das Fremde von meiner Sache abkäme; aber es ist doch erspießlich, daß man einmal nachsieht, ob man auch noch den rechten Schritt halte, – und wie herrlich ist, die Anregung, welche von Gleichgesinnten ausgeht. – Gervinus Vorlesungen waren besucht, und wie ich hörte, auch beliebt. Manche Mängel in der Form ließ die Anerkennung seiner Eigenthümlichkeit und seiner geistvollen und warmen Auffaßung der Historie übersehen. Ich hoffe, es wird dem Freund in Göttingen immer beßer gefallen, zumal wenn erst sein liebes Weibchen2, für das er ein elegantes Logis sehr comfortable einrichtete, ihm das Nest warm macht. Ein gewißer Mißmuth, Klage über die Mühe, welche ihm die Vorlesungen machten, über die Stocknatur seiner meisten Collegen, fehlten nicht ganz; er war häufig angegriffen körperlich, wenn auch geistig immer rüstig. Sie kennen das an ihm; er hat nicht das ruhige Maaß eines Weisen: dazu ist er zu productiv; selbst in der Nacht beschäftigen ihn seine historischen Combinationen. – Hoffen und wünschen wir, daß er immermehr zum dauernden Gefühl körperlichen Wohlseyns gelangt, dann wird er schon den Incommodidäten des Lebens fester ins Gesicht sehen. – Mein Verhältniß zu ihm war eben so innig und offen, wie in Heidelberg, aber weniger durch Contrawehen zersetzt. Wir haben uns beruflich über Manches verständigt; in vielen Studien erkennen wir unsere Eigen- thümlichkeit mehr an; und was das beste ist: wir kommen immer mehr zum Bewußtseyn herzlicher Liebe und der Übereinstimmung unseres Lebenszieles, wieweit auch die Bahnen, worauf wir wandeln, aus einanderliegen mögen. Oft und gerne haben wir von Ihnen gesprochen, liebster Freund; wie wünschten wir, Sie bei uns zu haben, im Bunde der Dritte3! Mit welcher Freude dachte Gervin an die Zeit, wo er Sie bei sich werde beherbergen können. Was wenn ich erst dazu gelangen kann, einen Freund in meine vier Pfähle einzufahren: wahrlich! Bei keinem thue ich mich lieber, als bei Ihnen, lieber Guter! Bruder Heidelberger!

Daß es Ihnen in Berlin noch nicht recht heimisch werden will, thut mir leid, doppelt leid, Ihretwegen und der Nation wegen, daß die Zustände dort so hohl und schief sind. Ihre Mittheilungen über die Lorinser’sche Sache4 (der Name erinnert mich stets an meinen Landsmann Lornsen5, den besten Schleswig-Holsteiner, den das schöne Ländchen geboren hat) haben mich sehr interessirt. Ich fürchte aber nicht mit Ihnen, daß die Büreaukraten- und Pedantenwelt der guten Sache auf die Dauer widerstehen wird. Die Nation scheint mir nach und nach dahin zu gelangen, daß sie eine bedeutungsvolle Richtung, einmal erfaßt, nicht wieder aus dem Auge verliert. Denken Sie an den Zollverein. Selbst die von Lorinser ausgehende Anregung, doch wohl nur einseitig, kommt mir nicht als etwas Selbständiges vor, sondern nur als das Zeichen einer allgemeinen Richtung, die gedrückt, verachtet, Jahre lang ruhen oder doch nur schwach hervortreten, aber immer weiter aufgenommen besprochen, ventilirt werden wird, bis sie sich eben in Resultaten dauernd geltend macht. Wir haben noch keinen westphälischen Frieden geschloßen – freilich auch noch keinen dreißigjährigen Krieg gehabt. – Was mich in Preußen jetzt besonders interessirt, sind die Reformen im Justizwesen, welche Mühler vorbereitet; soweit ich die Sache aus der Ferne beurtheilen kann, hat der Mann den rechten Weg gefunden; wie es unter den gegebenen Verhältnißen möglich ist. Langsame, volksthümliche Reform von unten auf. Schade, daß er keine freie Bewegung hat, sich wohl winden und drehen muß. – Betrübt hat mich die Verordnung, wodurch das bei Ablösungen den Gutsbesitzern zugesprochene Land von Kirchen- und Schullasten frei gemacht wird6; das erinnert an das Überreichen der Staatsgarantie für die ritterschaftlichen Schuldscheine in Schlesien7. Wollt Ihr denn eine königlich besoldete Aristokratie? Das paßt nicht zur Landwehr!

Ja wohl wünschte ich, lieber Hegel, daß Sie ein männliches, deutsches Wort in den Schulangelegenheiten aussprechen möchten. Ich will aber noch nicht dazu treiben; Ihre Zeit wird schon kommen, wo das Herz so voll und reich, da findet sich schon die Sprache. Nur immer fort auf das Wort hin: Gott und die Nation! Wie will vor solchen Strahlen das Gemeine bestehen! – Schreiben Sie mir doch über Ihr ganzes Seyn und Treiben, über Ihre nächsten Pläne und Aussichten. Mich intereßirt jedes Wort, was Sie mir über sich selbst sagen.

In der Bewunderung des letzten Schlosserschen Werkes8 stimme ich ganz mit Ihnen überein; einer solchen Gesinnung und Kraft sieht man schon einige kleine Schwächen, Wiederholungen und dergleichen gerne nach. Er ist doch der Mann, der unser Banner hoch voran trägt! – Leider habe ich ihn nicht gesehen. Auf der Hinreise nach Göttingen eilte ich durch Heidelberg, mir den Besuch für die Rückreise aufbewahrend und da erfuhr ich schon in Göttingen, er sei nach Italien verreist. Ich hoffe noch, ihn an auf seiner Rückreise hier in Basel zu sehen. – So bin ich dann auch auf der Heimkehr nur durch Heidelberg gereist, und habe also auch keine Gelegenheit gehabt, mich mit Thibaut zu stellen. Ich würde ihn ganz ignorirt haben. Einem Briefe von Ihnen sehe ich mit Sehnsucht entgegen.

Unwandelbar Ihr GB.

P. S. Grüßen Sie Ihren Bruder herzlich.