Seit vorgestern bin ich auf der Durchreise von Hamburg und Osnabrück hier, um morgen1 meine Fahrt nach Heidelberg fortzuführen. Wie anders werde ich diesen Ort nun in Gesellschaft meiner lieben Victorie sehen, als da ich ihn zuletzt sah. Ich bin seit dem 3ten September2 im Besitze des Mädchens3, das die Freude und das Glück meiner künftigen Tage ausmachen wird. Wenn Sie um irgend einer Sache willen etwas auf mich halten, mein lieber Freund, so dürfen Sie es um dieser Wahl willen. Sie ist ein Engel, ich weiß keinen bessern Namen für sie; keinen, der ihre körperliche Figur, den Ausdruck ihres Gesichtes, ihr inneres Wesen so unmetaphorisch bezeichnete; sie ist von solcher Natur, wie ich nicht viel Menschen kenne, von solcher Unschuld, wie ich sie nie für noch bestehend oder möglich dachte. Ich kann sie darum ansehen und ohne weitere Ursache meinen, so rührt mich dieß ganze Wesen und erscheint mir in einer Art Heiligkeit. Nie haben Sie ein warm liebendes Paar mit solcher Ruhe und Unverändertheit aus dem früheren Zustande in den jetzigen treten sehen und auch da würden Sie unsere griechischen Naturen zu beobachten Gelegenheit haben. Denn wenn ich eine solche habe, so werde ich an Victorie eine gute Nahrung dafür finden. Sie hat unter vielen anderen was hier bedeutend wäre, einen Zug der Aufrichtigkeit bis zur Naivität, mit dem sie wie fremd unter dem jetzigen Geschlecht steht und der ihr nur leicht hier in Göttingen unter diesem Höflichkeitsgeschlechte4 verdorben oder gestört werden kann. Aber was rede ich Ihnen diese Dinge vor, die Sie viel besser lebendig kennen lernen. Kommen Sie und sehen Sie und freuen Sie sich eine Zeit lang an uns und mit uns.
Victorie hat in Hamburg in einer zahlreichen Mädchenfamilie den Sieg davon getragen, daß sie sich ihrer Tante, einer höchst ausgezeichneten lieben Frau – ich darf fast sagen lieber gemocht hat als ihre eignen Töchter. Sie hat ein elterlich Haus dort gefunden und wieder verloren. Ich hab ihr viel zu ersetzen; sie ging dort so auf, wie ich immer gehofft hatte und sie hat überhaupt entfaltet, zum Theil über meine Erwartung, was ich in dem Kinde Alles geahnt hatte. Nun freue ich mich an dem Besitze dieses Schatzes, der in irgend andere Hände gerathen, (schmeichle ich mir) seine schönen Gaben weniger schön gezeigt haben würde. Ich hätte mich darauf gefreut, Victorie unserem alten Schlosser zu bringen, der aber nach Italien ist. Er schrieb mir darüber bedauernd: wir hätten sonst bei ihm wohnen müssen, was vielleicht, meint er, dazu beigetragen hätte, meine Feinde zu ärgern und zu beschämen.
Ich nehme Ihre Scherze über meinen Flitterwochen-Ruhestand gerne hin, obwohl ich Sie versichern darf, daß meine Sehnsucht nach Ruhe und Muße doch anderer Natur und durchdringender ist. 5 Es ist wahr, ganz fruchtlos ist meine Thätigkeit hierorts nicht gewesen, was ich mit einiger Freude am Schlusse der Collegien gesehen habe, doch scheint mir der geringe Nutzen nicht im Verhältniß zu stehen mit der Anstrengung, die mir diese Thatigkeit macht. Ich sehe täglich mehr ein, wie der ganze Mensch in jeder einzelnen historischen Vorlesung thätig sein muß, und diese gleichsam productive Wirksamkeit die uns wie dem Schauspieler unnatürlicherweise für diese Stunde, ohne Rücksicht auf unsere Stimmung vorgeschrieben ist, reibt gewaltig auf, wenn man’s ernst nimmt; sie würde nicht auszuführen sein, wenn wir nicht die verhältnißmäßig große Muße, aber wie auch der Schauspieler, hätten: dieß hat der Gebrauch der Natur gemäß geordnet. Mir wäre es, das sehe ich ganz klar, meiner ganzen Organisation nach, nothwendig, ganz nach einer Willkür leben zu können; das wird wohl auch zu meiner antiken Natur gehören? Was ich persönlich wirken kann, wird stets nur durch Charakter sein, nicht durch wissenschaftliche Vorträge; und es hat mir große Mühe und ein Beharren gekostet, dass ich in meine Vorträge hier Menschliches, was den Charakter zu bilden tauglich ist, hinein legte. Man will hier nur Dictate und Citate, Facten und Sachen; man lächelte im Anfang über mein heterodoxe Art des Lehrens, man zuckte die Achsel, schüttelte die Köpfe; ich ließ mich nicht irren, selbst als viele wegblieben; ich hatte endlich die Befriedigung zu sehen, daß Manche wiederkamen, daß die Aushaltenden ernst, und einige wenige gefesselt wurden. Dieß wäre das glänzendste was sich sagen ließe; – und Sie haben aber ganz Recht, wenn Sie das Wirken auf der Schule diesem hier weit vorziehen. Das letzte was ich hier erwartete ist daß ich Einigen zu denken gegeben habe; allein die besten Köpfe (Einer sagte mir das selbst) blieben in Opposition, weil sie sich dem Schlendrian der Welt bereits accomodirt hatten, gegen den ich in Opposition stehe. Das ist im Knaben ganz anders, der den Schlendrian nicht kennt; dem er grade eingeboren sein muß, wenn er stumpf gegen bessere Lehre bleibt. 6 Ich freue mich herzlich daß Sie sich wenigstens eine Zeit diesem Lehr- berufe an der Schule hingeben wollen. Es wird in jedem Falle sehr belehrend für Sie sein, und wenn ich Sie recht beurtheile so kann Ihre Persönlichkeit nicht besser beschaffen sein als sie ist, um einen bedeutenden Einfluß auf Knaben zu üben. Die Hände werden Ihnen freilich in Vielem gebunden sein, allein der persönliche Einfluß bleibt Ihnen sicher. Sie können sich dem Einzelnen nähern, sie heranziehen. Auf Universitäten geht das gar nicht an.
Mit Beseler hab ich hier 4 schöne Wochen durchlebt. Vieles Alte ward aufgenommen, vieles Neue vorbereitet in Entwürfen. Wir gedachten Ihrer und vermißten Sie; wir wollten Ihnen schreiben allein es kam zu Nichts. Mit Dahlmann besprachen wir einen Plan zu einer künftigen Zeitschrift, die wohlweislich und überlegt begonnen werden soll, wenn wir Alle in der Lage sind, nach ausgefertigten begonnenen literarischen Arbeiten unsere ganze Thätigkeit dieser Zeitschrift7 zu widmen. Wir rechnen auf wenige weitere Mitarbeiter, unter diesen auf Sie, im Schul- und Unterrichtsfach und dergleichen. Beseler meinte Sie sollten sich gleich jetzt irgendwo an einem Aufsatze über die Lorinsersche Sache8 versuchen, die es wohl der Mühe werth wäre etwas offen und derb zu besprechen.
In Beseler sehe ich die Anfänge einer Neigung zu Dorothea Dahlmann entstehen, und auch in ihr zu ihm. Er wird Ihnen wohl Geständnisse machen; thut ers nicht so schweigen sie vorerst. Mit Rührung merkte ich ähnliche Regungen in Beiden, wie einst zwischen Victorie und mir, und aus Basel erhielt ich schon einen Brief, den ich Ihnen gern einschickte, der Beselern von einer ganz neuen Seite zeigt; weich, in wahrem und ächten Gefühl der Liebe und im Schmerz der Trennung.
Sie wollen gern Nachweisungen über meine Aufsätze.9 Ich habe in den literarischen Unterhaltungsblättern nun auch den Anfang der Zechkunst drucken lassen. Die Studenten äußern hier, sie tränken nun gern ein Glas auf meine Gesundheit; der alte Hugo meint, so etwas wäre doch nie zuvor erhört! und es sei nur ein Glück, daß ich nur meinen Namen genannt habe und nicht beigefügt: ordentlicher Professor in Göttingen!!!! Eine bessere Wirkung hätte das Ding nicht mehr machen können. 10– Jene Rede über historische Kunst wird wohl auch dort nächstens abgedruckt werden.
Schreiben Sie mir bald wieder, lieber Freund; jetzt bin ich sehr zerstreut und fand keine Zeit. Den 8ten October bin ich wieder hier in Göttingen. Treibt Sie der Geist mir früher zu schreiben, so adressiren Sie nach Darmstadt, Kirchstraße. Es wird mich höchlich freuen. Meine Victorie grüßt Sie herzlich und fügt ihre Bitten bei, daß Sie uns bald besuchen möchten. Ihre liebe Mutter und Manuel grüßen Sie auch schön von mir.