Schon am 28. September1 ist der Brief geschrieben, auf den ich Ihnen antworten soll; durch den ich das liebe Geschenk erhielt, für das ich Ihnen noch danken soll. Das kommt freilich etwas spät. Aber darum nicht minder herzlich der Dank und nicht minder warm die Antwort. Das schöne Engelsbild, das Sie uns unter fast allzufeiner Beziehung zur Verschönerung des Hauses schickten, hat uns sehr viele Freude gemacht; morgen will ich’s im goldnen Rahmen hinter dem Christbaum aufstellen, das eben erinnerte mich heute lebhaft an meine Schuld. Ich wünsche, wenn Sie uns einmal besuchen, es möchte Ihnen der freundliche Eindruck von dem lebenden Engel bestätigt werden, den Sie von der Heiligen Margareta2 empfingen. Ist es nicht der gleiche, so möge es ein ähnlicher sein; Und möchten Sie nur recht bald einmal kommen. 3 Ich habe seit Beselers Hiersein wieder mehr Sehnsucht nach meinen alten Freunden; aber vielleicht liegt es auch daran, daß ich nochgerade Göttingen ausgekundschaftet und – Nichts gefunden habe, was mich fesseln könnte. Dahlmann, in sich abgerundet, stationairer als es der Jugend zusagt, sucht weit mehr Belebung durch mich, als daß er mir sie gäbe; es ist da kein Fortgang, so respectabel die Stellung ist, die er einnimmt. Sonst ist hier nicht einmal ein Baumstark oder Carl Thibaut, bei denen doch noch Ein Fleckchen war, an dem man sich etwas wärmen konnte. Dieses frostige Gelehrtenwesen, zusammt dem flachen, höflichen, hannoverschen Anstandswesen widersteht4 mir ich kann nicht sagen wie arg. Ich glaube nicht daß meines Bleibens hier sein wird, wenn es nicht eben sein muß. Ich lerne doch nun erst, was mir in Heidelberg die Freuden und der Ausflug nach Darmstadt war, hier ist kein Refugium, wenn man übersättigt ist. In jeder Gesellschaft die nämlichen Gesichter, das nämliche enge5 enge6 Thema des Gesprächs; ein tiefes Stillschweigen über alle Angelegenheiten der Welt, eine allgemeine Flucht vor wissenschaftlichen Gesprächen selbst; es sei denn in der pedantischen Gesellschaft latina7, wo doch Wein und Kalbsbraten noch wichtiger ist als die Interpretation des Cicero; selbst im Senat die decidirteste Scheu vor aller mündlichen Verhandlung: kurz Alles was Leben heißt, ist hier eigentlich verbannt. Und wie sich dieß auf die Studentenwelt selbst überträgt, sollte man nicht glauben. Hier sind bloße Schriftgelehrte zu bilden, Menschen nicht. Das sehe ich täglich mehr ein, da ich eben diese Richtung täglich mehr verachten lerne. Sein Sie nur nicht böse daß ich Ihnen dieß Klagelied wieder singe; ich bin gewaltig voll davon. Ich gäbe Alles darum, Dich und Beseler hier zu haben. Man wird gar zu leicht gleichgültig, wenn man das was einem das Interessanteste ist, blos mit sich abmachen soll. Ich glaube Beseler wird dieß auch in seinem Basel empfinden. Ob er ein köstliches Haupt ist! (In Parenthesie8 will ich Ihnen sagen, daß Sie sich einen Pariser Zeitungsstyl angewöhnen. Sie sprechen da in Ihrem Briefe „von einer jungen Dame, die ich kenne“; nächstens werden Sie mir – von einer hochgestellten Person – erzählen und dergleichen.)
Hoffentlich haben Sie mir über sich im nächsten bald zu schreibenden Briefe einiges Erfreulichere zu melden als im letzten. Ich denke nämlich Sie sind indessen in Dresden gewesen und haben da mit Ihrem Bruder eine tüchtige Erfrischung eingenommen. Daß ich Sie im übrigen immer in dem Examinationswust9 denken muß, bekümmert mich wahrhaft. Ich sehe aus Ihren lebendigen Schilderungen von dem, was Sie da möglicherweise zu erwarten haben und was von dem guten Bestehen perge abhängt, nur zu gut in diese Misstände hinein, vor denen mir wahrhaft schaudert. Ich wollte Sie hätten den Alp schon abgewälzt; Sie machen mir in diesen Umständen den Eindruck einer Wöchnerin, die man vor einem gewissen Termin nicht besuchen darf, eines Kranken mit dem man nicht reden soll und den man doch so gerne besuchte und bespräche. Bei meinem natürlichen Horror vor allen Examinen erklären Sie sich das leicht, Sie sind dann auch wirklich so in dieser Krankheit befangen, daß Sie das misshören, was man Ihnen weniges sagt. Sie werfen meine Zumuthung jener Arbeiten und jener Theilnahme an jener Zeitschrift10 so weit weg, als wolle ich sie schon jede Minute dazu treiben, und doch meine ich Ihnen ausdrücklich gesagt zu haben, daß dieß ein Plan für künftige Jahre ist, wenn wir einmal alle von Arbeiten los sind. Dann hoffe ich nicht daß Sie noch Ihren lateinischen Styl fürs Examen präparieren.
Ich gestehe Ihnen daß ich wohl selbst einmal dran gedacht habe Diesterwegs Schrift anzuzeigen und zu beurtheilen. Es wäre wohl am Orte und an der Zeit einmal mit einer recht scharfen Satyre oder auch mit einer recht ruhigen klaren Darlegung das deutsche Universitätswesen zu besprechen. Allein dazu werde doch wohl noch die genaue Kenntniß einiger deutscher Universitäten, wenigstens Berlins und Münchens verlangt; hätte ich die so gut wie die von Göttingen und Heidelberg so würde ich das Wagestück wohl unternehmen. Indessen ist davon nichts zu erwarten. Man würde sich nur Haß zuziehen und Niemenden ! Gutes bereiten. Etwas aber will ich Ihnen anvertrauen. Man geht in Darmstadt damit sehr stark um, Gießen dahin zu legen. Darmstadt ist ein vortrefflicher Platz zu einer Universität11; und ich glaube mit besonderer Hand ließe sich da etwas Treffliches auswirken. Kommt es dazu, so bin ich plump genug, (fast außer allen Zweifel !) ein Memorial zu drucken und darin aufzufordern, diese Gelegenheit nicht mit halben Reformen hingehen zu lassen, sondern ein ganz neues Werk aufzubauen, das ein Muster für ganz Deutschland werde; endlich einmal allen scholastischen Kram mit einem Machtstreich aufzuheben, um ein wirklich junges und neues Leben hervorzurufen. Darmstadts innere Entwicklung steht dahin, daß auf die dagewesenen Kunsttenzenden die ! wissenschaftlichen nothwendig folgen müssen, es braucht also die Verlegung der Universität dahin nicht ein todtes Reis zu bleiben, sie kann Sprossen treiben. Ich glaube auch, daß wenn es mir darum zu thun wäre, ich eine Rolle dabei spielen haben könnte, wenigstens hatte ich die deutlichsten Anzeigen12 davon bei meiner letzten Anwesenheit in Darmstadt. Dieß bleibt ganz eng unter uns. Es kann leider noch Jahre damit dauern; weil der jetzige Großherzog sich durch ein übereiltes Wort gebunden glaubt, Gießen die Universität zu lassen.
Theilen Sie mir immer von Ihrer Art zu studieren mit, so viel Sie gern mögen; es liegt Ihnen nahe genug. Also auch da haben Sie ein System hineingebracht? O ihr Systematiker! Sagen Sie mir lieber einmal, wann Sie denn Ihr Delinquentenverhör zu bestehen denken, ich werde auf diese Zeit speculiren und Sie schon voraus mit tausend Netzen umstellen, denn gleich nachher müssen Sie sich hier erholen bei mir; und da denken Sie nur nicht unter ¼ Jahr los zu kommen. – Fast wäre eine Aussicht gewesen, daß ich Sie in Berlin auf Ostern13 gesehen hätte. Ich möchte gerne Meusebachs Bibliothek benutzen wenn dieß zu machen wäre. Allein es geht nicht an. Ich kann auf die bösen Zeiten des 16 und 17 Jahrhunderts nicht zu viel Zeit wenden, denn am Ende muß doch ein Verhältniß zwischen Mittel und Zweck sein und ich will lieber das was mir selbst erste bei einer 2ten Auflage nachzutragen suchen.
Grüßen Sie Ihre liebe Mutter und Ihren Manuel herzlich von mir, und von Victorie habe ich an alle die herzlichsten Grüße beizufügen. Sie wünschte allzugern zu wissen, was ich Ihnen von meinem Engel geschrieben habe.
P. S. Vor einem Jahre grade schieden wir und sahen uns nicht wieder, ob- / gleich es nicht so sein sollte. Ich denke oft mit Wehmuth an unsere / Heidelberger Tage; sie gehören bei all dem vielfachen Leide das ich / trug, doch mit zu den schönsten meines Lebens.14
Daß es mir im Hause gut geht, brauch ich Ihnen nicht zu / sagen. Ich arbeite an meinem 3 ten Bande, hätte ich den weg, / der 4 te sollte mir eine Wonne sein.15 Sie glauben nicht in / welchem Wuste ich da stecke, das ist noch mehr Sumpf als Ihre / Arbeit.