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Georg Beseler an Karl Hegel, Basel, 13. April 1837

Das war eine lange Pause, mein lieber Hegel, – so lange, wie Sie eigentlich nicht zwischen Freunden vorkommen sollte, die sich nicht bloß über äußerliche Begebenheiten und Zustände, sondern auch über ihr inneres Leben, ihre Pläne und Bestrebungen Auskunft zu geben gewohnt sind. Ich hoffe, daß Ihnen der Gedanke fern geblieben ist, daß ich Ihnen hätte untreu werden, auch nur in meiner Liebe hätte nachlaßen können. Sie ist wahrlich so auf dem tiefsten Grund meiner Seele gebaut, und mit den schönsten und feinsten Tagen meines Lebens so innig verwebt, daß Sie davor sicher sind. Denn wenn ich eine Tugend habe, so ist es die der Beständigkeit. – Aber woher denn das lange Schweigen? Lieber Freund, Manches entschuldigt mich. Ich bin in diesem Winter mit Arbeiten überladen gewesen: zwei neue Collegien zu lesen, Manuscript zum Druck1 zu liefern, täglich Privatißima an einen jungen Holsteinischen von Adel, der allein meinetwegen hierher gekommen ist, zu geben; Sitzungen, Consultationen, Examina (die Juristenfacultät ist zugleich Examinations-Collegium) – habe ich bald genug aufgezählt, um meine Arbeiten anschaulich zu machen? Aber doch war wohl eine Stunde für den Freund übrig! Es hätte so seyn sollen, und Ihr lieber Brief2 aus Dresden wollte in manchem Punkte eine herzliche Erwiderung. Ich sah darin eine, wenigstens vorläufige Abkehr von dem praktischen Leben angedeutet, eine Hinneigung zur rein idealen Kunstanschauung eine Sehnsucht nach Italien; dabei eine Abneigung vor den Berliner Zuständen, die keine thätige Amtsbeschäftigung erwarten ließ. Ich wußte nicht, sollte ich das billigen oder Sie zur handfesten That zurück rufen. Jetzt ist mir die Sache klarer. Ohne eine bestimmte Neigung und die freudige Hoffnung auf den Erfolg muß man nichts angreifen. Sind die Sachen in Preußen so gestellt, daß Sie Sich keinen Plan von consequenten und erfreulichen Wirkens für jetzt bilden können, – dann reisen Sie getrost in das Land der Ideale und der Wißenschaft3, um dort die Blüthe der Jugend zu genießen, und auch an Kraft für fernere Tage zu wachsen. Und warum nicht auch ins Land der Kunst und der Poesie, welche doch von einem tiefen und einigen Gemüth aufgefaßt, nur die andere Seite des Ideals ist, woran wir uns zu erwärmen pflegten, wofür wir uns zu beschäftigen strebten. Nur Eins halten Sie fest, lieber Hegel: die Nation und das Vaterland; mag auch die äußere Schaale, worin wir jetzt stecken, bitter und herbe seyn, – ich habe die heiligste Überzeugung, daß der Deutsche das Herzblut seines Geistes eben so freudig und zutrauensvoll auf dem Altar seiner heimischen Götter opfernd darbieten darf, als es nur ja der Grieche vormachte. Ich sehe im Geiste eine nicht geforderte Kraft der nationalen Energie sich in diesem lange schlummernden Volke entwickeln, was es bis jetzt als solches geleistet, waren nur die unbewußten Emanationen der Jugend; Männliches haben wir fast nur im allgemeinen Dienste der Menschheit und der Civilisation geleistet, für uns selbst waren wir Knaben. Aber ich sehe eine Zeit kommen, wo auch der alte Stolz der Persönlichkeit zum Wirken hinzutreten wird, wo wir in uns selbst das concentrirte darstellen werden, was wir bis jetzt nur für Alle erstrebten sind das Träume? ich bin doch sonst kein Träumer: und wo ich ein sicheres Urtheil habe, mein Feld ist freilich beschränkt, da finde ich die erfreulichsten Zeichen der Wahrheit. Also nur unverzagt jeder an seinen Posten! Mit heiterer Miene und freiem Sinn laßt uns in den Kampf gehen, oder wenigstens uns dazu rüsten, und wenn uns auch das Gelingen versagt ist, oder wenigstens die Anschauung derselben, so wollen wir doch auf dem Schilde, mit dem wir gekämpft haben, fallen, und lächelnd dem Tode zurufen: Ich habe gelebt, und wußte wofür ich strebte! – Nur um Eins bitte ich Sie, lieber Freund: stellen Sie Sich, ehe Sie nach Italien gehen, in Ihren bürgerlichen Verhältnißen so, daß Sie zurückgekehrt mit den kleinen Jämmerlichkeiten der Carrière nichts mehr zu schaffen haben: also nehmen Sie examina, so viel davon nöthig sind, und laßen Sie Sich unter Zusicherung des Urlaubs anstellen, an der Universität als Docent, an einer Schule oder wo Sie wollen!

Gervinus schrieb mir neulich, daß er eine Reise nach Italien intendire, Sie ihn vielleicht begleiten würden etc. Ich hielt es erst für einen Scherz, und für ein Zeichen seines unruhigen Wesens, weswegen ich ihn auch auf: Thomaßins Stetigkeit4 verwies. Jetzt höre ich aber von einer andern Seite, daß wirklich etwas daran ist, und daß er wegen Nervenschwäche eine Erholung nöthig hat. Also dürfte ich vielleicht hoffen, Sie beide Lieben in diesem Herbste zu umarmen? Vielleicht ließe sich auch, wenn Sie im nächsten Sommer noch in Italien sind, dort ein Rendez-Vous vereinbaren; kurz ich mache die köstlichsten Pläne, welche freilich alle darauf basirt sind, daß es dem lieben Freunde bald kräftiger zu Sinne werde.

Mir geht es fortwährend gut, und ich habe hier eine in vielen Rücksichten fast beneidenswerthe Stellung; auch gelingt es mir nach und nach, eine kleine Colonie von Juristen an die hiesige Universität zu ziehen, die mir dann freilich einen beschränkten aber doch erfreulichen Wirkungskreis geben, An dem zweiten Theile der Erbverträge wird gedruckt; ich habe auch vor einiger Zeit eine Recension nach Berlin geschickt, die vielleicht schon gedruckt ist. Mir lag nichts daran, den Verfasser der wegen mancher Leichtfertigkeiten und Verstöße schon hinreichend gegeißelt ist, im Detail durchzunehmen; sondern ich benutzte die Gelegenheit, einige Punkte zur Sprache zu bringen, die mir nicht unwichtig zu sein scheinen, Schreiben Sie mir, was Sie davon halten.

Lieber Erich5! vergelten Sie nicht Böses mit Bösem, und erfreuen Sie mich bald mit einem Briefe. Ich bereite mich, da das Wetter beßer werden will, zu einer Fußtour in der Schweiz, wo ich mich einige Wochen am Bodensee und in Zürich und Luzern herumtreiben will. Unbeschreiblich würde ich mich freuen, bei meiner Rückkehr einen Brief von Ihnen vorzufinden. Grüßen Sie Ihren Bruder und behalten Sie mich lieb

unwandelbar Ihr GBeseler.