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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Göttingen, 27. Juli 1837

Lieber Erich.

Ich muß Ihnen doch noch vor Eintritt des Herbstes schreiben, sonst argwöhnen Sie ich wollte sie nicht bei mir haben. Ich denke daß Sie dieser Brief in mediis rebus finden wird, wünschte wenigstens, Sie machten Ihr Examen jetzt schnell ab und können dann bald. Sind Sie Ende August fertig, oder lieber noch früher, so kommen Sie doch ja so gleich. Ich wünschte nämlich am wenigsten, daß Sie grade auf die Jubiläumstage 17. – 20. September einträfen1, weil wir da so gut wie nichts von einander haben würden, getrennt aber Sie Langeweile und ich Verdruß. Kommen Sie also ja geraume Zeit früher, dann ertragen wir, wenn wir erst wieder heimisch zusammen sind, die Last des Festes zusammen. Meine Frau will gleich nach dem Feste zu ihrer Schwester, und ich muß sie meiner Arbeiten wegen dann allein ziehen lassen. So wollte ich denn gerne, daß Sie uns erst noch recht lange zusammen sähen; alsdann treiben wir noch eine Weile unser Wesen für uns. Dann könnte vielleicht auch für eine Harzparthie Rath werden; lieber wäre mir eine nach Thüringen, weil ich im Harz neulich erst auf ein Paar Tage war. Dann könnten Sie es noch so einrichten, daß Sie von Quedlinburg aus den Unterharz bereisten, den ich vorzugsweise besuchte, ehe Sie hierherkommen (über Nordhausen); dann verspräche ich Ihnen, den Oberharz mit Ihnen zu besuchen und zwar zu Fuß versteht sich. – Ende September wollte dann auch Beseler eintreffen, den Sie also in jedem Falle treffen. Sie haben aus der Zeitung oder von ihm erfahren, daß er einen Ruf nach Rostock angenommen hat; dahin geht er dann. Es ist mir lieb daß er den deutschen Verhältnissen wieder gegeben und uns näher gerückt ist. Auch wird ihn die Nähe bei seinem Vaterlande angezogen haben. Was sagen Sie aber zu des Jungen unverschämten Glück?

Ich will Ihnen herzlich wünschen, daß Sie die Spannung los werden, an der Sie noch leiden müssen; kommen Sie mir nur nicht allzu abgespannt hierher. Vielleicht behalte ich soviel Zeit übrig, bei meinen Druckgeschäften am 3ten Bande2, daß wir manches zusammen lesen, z. B. Ihres Vaters Philosophie der Geschichte, das erste Buch von ihm an das ich mich wagen will. Die italienische Reise braucht Ihnen vorerst keine Sorge zu machen; könnten wir auch sonst, so könnten wir der Cholera wegen nicht. Sie ist also nothwendig bis auf Ostern3 vertagt; dann aber können Sie ja wohl ½ Jahr geschenkt erhalten von Ihrer Vicarienzeit? –

Ihr Aufsatzthema4 hat meinen ganzen Beifall. Wenn Sie ihn drucken lassen, so bringen Sie mir ja ein Exemplar mit; Sie arbeiten mir ja damit in die Hände. Ich wollte Sie thaten das mit noch mehreren Aristotelicis5. Sonderbar, daß für diese beiden Männer auf einmal Alles wieder rege wird. Ich wollte ich hätte recht freie Muße, auf die Alexandrische Arbeit freute ich mich wie ein Kind; ich möchte so gerne an einem so reinen Stoffe einmal versuchen, zu wie reiner Form man sich in der Geschichte neuerdings heben könnte. Mit meiner Gesundheit geht es leidlicher etwas, die Dampfbäder thun einige Wirkung, wenn gleich nicht viel und keine entscheidende, und dieß ist mir das Empfindlichste. Mein Übel, lieber Erich, liegt entweder in einer allgemeinen Abspannung, und dann denke ich mich zu ermannen, oder es liegt in der Lunge und dann vermuthe ich daß ich meinem Bruder und meiner Mutter bald folgen werde. Das bischen Leben hat mich nie so gereizt daß ich darüber zaghaft werden sollte! aber das sollte mir wehe thun, daß mich der Himmel so auf kurze Zeit zu meinem lieben Weibe geführt hätte, um ihr einen so langen Schmerz zu bereiten. Ich bin übrigens zur Zeit noch aller guten Hoffnung voll, indem sich noch keinerlei bedenkliche Symptome gezeigt haben, es müßte denn ein gewisser Mangel an der Freudigkeit sein, die Sie wohl in Heidelberg in mir bemerkt haben. Aber dieß kann eben so wohl geistig sein und von den Verhältnissen herrühren, in die wir hier gestellt sind, und die sich dann nun täglich verschlimmern.

Es kann den geschichtlichen Beobachter weiter nicht beunruhigen, wenn in einem europäischen Winkel ein brutaler König anfängt seiner Brutalität Lauf zu lassen. Menschlich freilich berührt es den in die Nähe Gestellten übel und mir macht weniger des Mannes grader Angriff Verdruß, als die sittliche Erbärmlichkeit und politische Dummheit der Minister und Behörden, die sich von einem offenbar ziemlich simplen Regenten und einer schlechten Creatur die er sich gemacht hat, hinters Licht führen lassen. Denn daß ein nur einigermaßen festes Benehmen von Ständen und Ministern dem ganzen Spiel gleich Anfangs ein Ende gemacht hätte, bin ich noch fest überzeugt. Nun wollte ich daß Alles recht lustig drauf los gehe, dem dummen Volk die Haut über die Ohren zu ziehen, damit sie einmal merkten, daß auch schlechte Stände noch immer was Gutes seien. Ich fürchte nur, daß Alles den Weg der Halbheit geht, der schon den Machiavelli zu paradoxen Formen seiner planen Weisheit empörte, eine Erscheinung, die mir jeden Tag verständlicher wird. Mit dem practischen Leben kann doch Niemand versöhnt werden, der nicht selbst Macht in der Hand hat, es sei denn der der nicht sieht daß Andere Macht über ihn üben. Wenn Preußen Nutzen ziehen wollte von den Umständen, so finge es nicht an mit Ottfried Müller6, der hier zu verwachsen und zu aristokratisch ist, sondern mit so vortrefflichen Talenten wie Gervinus, Dahlmann, Grimm, Albrecht, die Alle ohne Anfrage, wenn nur recht ist, in jede preußische Universität überwandern und damit dem Göttinger Eber auf einmal ein Ende machen würden. Nicht alle hiesigen Professoren haben schlechte Rollen bei dieser Sache gespielt, obwohl die Majorität. Es ist im ganzen viel Erbitterung im Lande, allein keine populare. Der ganze Verfassungskram in Norddeutschland ist bloß Theorie der Gebildeten, und die grade verderben Alles.

Lassen Sie mich möglichst in Zeiten wissen, wie Sie es machen werden, wenn Sie kommen – u.s.w. Wir freuen uns herzlich darauf. Unter vielen herzlichen Grüßen an Sie, Ihre liebe Mutter und Ihren Manuel.

Ihr
Gervin.