Angesichts Ihres Berufs antworte ich Ihnen, wie Sie es gewünscht haben. – Zuerst aber meinen herzlichsten Glückwunsch für die bestandene Promotion2. Ohne Ballast kommt man nun einmal nicht weg auf dieser Lebensreise; und Sie werden selbst sehen, wie viel behaglicher man fährt, wenn man davon das Nöthige an Bord genommen hat.
Sie werden es lächerlich finden, und es doch bemerken, daß schon dieser Act des Doctorirens Sie zu manchen Menschen angenehmer stellen wird.
Jetzt zur Hauptsache. Es würde mich un- | endlich freuen, wenn wir uns in Göttingen treffen könnten. Sie haben recht, – wir drei gehören zusammen3; und müßen zusammen halten, um unserer selbstwegen und um der Sache wegen; denn wir dürfen es uns nicht verhehlen, daß wir in unserm Kreise ziemlich auf uns selbst beschränkt sind4. Was ist da, förderlicher und erquicklicher, als das trauliche Zusammenseyn, die mündliche Beredung.
Ich will Ihnen nun sagen, was ich thun kann, um das Rendez-vous zu befördern. Ich reise über Göttingen und nicht über Amsterdam; und reise so ab, daß ich zwischen den 25. und 30. September in Göttingen bin. Früher kann ich nicht kommen, weil die Collegen hier erst Ende September aufhören, und ich natürlich zum Schluß | nicht zu sehr eilen möge. Das GöttingerJubiläum5 reizt mich auch gar nicht. – Durch die Abreise im September gehe ich wahrscheinlich Schlossern aus dem Wege, der mir neulich in einem ganz herrlichen Briefe meldete, er wolle jetzt nach Italien reisen, und bitte mich daher, erst im October in Heidelberg einzutreffen, weil er früher nicht zurück sey. Allein das ist doch zu unbestimmt gesprochen, als daß ich mich darnach richten könnte. Auch hoffe ich halb und halb (Gott verzeihe es mir) daß Schlosser durch die Cholera von Italien ferngehalten wird, und früher nach Heidelberg zurück kommt. Also, lieber früh Ende September treffen Sie mich in Göttingen; können Sie ehe lange warten, so erfreuen Sie mich sehr. Sonst müßen | wir allernächstens Privatconferenz halten; und wer weiß, ob Gervin sich nicht auch nach Rostock oder Berlin, etwa zu Ostern6 bringen ließe. Die italienische Reise7 steht freilich dazwischen; aber die ist jetzt doch wohl nicht so ganz ausgemacht, – zumal der Freund sich jetzt merklich wohler zu fühlen scheint. Wenigstens ist er kürzlich zu Fuß im Harz gewesen.
Ich hoffe, daß Sie mir jedenfalls Ihren Reiseentschluß8 mittheilen werden, damit ich, wenn Sie warten können, mich möglichst tummle. Kommen Sie sicher nach Göttingen, so grüßen Sie mir die dortigen Freunde.
Unwandelbar
Ihr GBeseler.
P. S. Daß Baumstark9 sich durch ein unpaßendes Feilschen vielleicht um die Berufung bringt, sieht ihm ganz ähnlich. Ich schreibe ihm keine Sylbe darüber.
1Ort und Datum auf der letzten Briefseite, linksbündig, vor dem P. S. 2Nach seiner Heidelberger Studienzeit war Karl Hegel (1813-1901) 1836 nach Berlin zurückgekehrt, wo er wieder bei seiner Mutter wohnte, und sein Studium mit der Promotion zu einem althistorischen Thema abschloss. Vgl. dazu
Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, besonders S. 51-60. 3Anspielung auf den in Heidelberg geschlossenen Freundschaftsbund bestehend aus Karl Hegel, dem Juristen Georg Beseler (1809-1888) sowie dem Historiker und Literaturhistoriker Georg Gottfried Gervinus (1805-1871). Vgl. dazu ausführlich
Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, S. 26 ff.4Dies ist eine Anspielung auf das nationalliberale Gedankengut zu dieser Zeit, dem die drei Freunde, mit dem Ziel der deutschen nationalen Einigung und der Abkehr von absolutistischer Herrschaft anhingen. 5100-jähriges Jubiläum der Universität Göttingen. 615./16. April 1838. 7Gervinus hatte damals bereits Pläne, gemeinsam mit seiner Frau Victorie sowie den Freunden Hegel und Beseler nach Italien zu reisen. Vgl. dazu
Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, S. 63. 8Karl Hegel reiste 1837 von Ende August bis Mitte Oktober im Rahmen „Fußreise“ von Berlin aus über den Harz nach Göttungen und über Kassel zurück nach Berlin. Vgl. dazu
Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch, S.313-324, hier S. 313.9Eduard Baumstark (1807-1889), Staats- und Kameralwissenschaftler, oder dessen Bruder, der Schlosser-Schüler Anton Baumstark (1800-1876), Altphilologe.
Beseler, Georg Karl ChristophGeorg Beseler11851019318091888Beseler, Georg (1809–1888), Jurist und preußischer Politiker, war in der Heidelberger Studienzeit neben Georg Gottfried Gervinus (1805–1871) einer der beiden engsten Freunde Karl Hegels (1813–1901). Er wurde ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an den Universitäten Rostock, Greifswald und Berlin.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Basel47.5581077,7.5878261Schweizer Stadt am Rhein, circa 150 Kilometer westlich von Konstanz am Bodensee und etwa 70 Kilometer südlich von Freiburg im Breisgau gelegen.
Privatbesitz
.
Privatbesitz1000
Kreis
, Marion: Karl Hegel. Geschichtswissenschaftliche Bedeutung und wissenschaftsgeschichtlicher Standort (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 84), Göttingen, Bristol, CT, USA 2012.
Kreis
, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung
2012
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Gervinus (Gervin), Georg Gottfried jun.Georg Gottfried Gervinus11853891818051871Gervinus, Georg Gottfried jun. (1805–1871), deutscher Historiker, Literaturhistoriker und Politiker, Sohn von Georg Gottfried Gervinus sen. (1765–1837) und seiner Ehefrau Anna Maria Magdalena Gervinus, geb. Schwarz (1772–1837). Er war Ehemann von Victorie Gervinus, geb. Schelver (1820–1893), 1835/1836 Professor der Geschichte und Literatur an der Universität Heidelberg, 1836/1837 an der Universität Göttingen (einer der „Göttinger Sieben“), 1844 Honorarprofessor an der Universität Heidelberg, 1848 Mitglied der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung.
Schlosser, Friedrich ChristophFriedrich Christoph Schlosser11879515517761861Schlosser, Friedrich Christoph (1776–1861), von 1817 bis 1861 ordentlicher Professor der Geschichte an der Universität Heidelberg. Karl Hegel (1813–1901) besuchte während seiner Heidelberger Studienzeit Lehrveranstaltungen bei ihm, womit er dessen Begeisterung für Dante Alighieri (1265–1321) weckte, die ihn Zeit seines Lebens begleiten sollte. Durch Schlosser kam Karl Hegel speziell auch mit der Geschichte in Berührung, die schließlich seine Berufung werden sollte.
Baumstark, EduardEduard Baumstark11609252118071889Baumstark, Eduard (1807–1889), war Staats- und Kameralwissenschaftler, im badischen Sinzheim geboren, gestorben in Greifswald, war er ein Bruder des Altphilologen Anton Baumstark (1800–1876); 1838 ging er als außerordentlicher Professor nach Greifswald, wo er 1842 ordentlicher Professor für Staats- und Kameralwissenschaften wurde; 1843 erhielt er die Leitung der Staats- und Landwirtschaftlichen Akademie Eldena bei Greifswald, die er bis zu ihrer Schließung 1876 innehatte.
Baumstark, AntonAnton Baumstarkhttps://www.deutsche-biographie.de/sfz60744.html#adbcontent11609252118001876Baumstark, Anton (1800–1872), war Altphilologe und Professor in Freiburg im Breisgau; er war der Bruder des Greifswalder Staats- und Kameralwissenschaftlers Eduard Baumstark (1807–1889).
Göttingen51.5328328,9.9351811Circa 100 Kilometer südlich von Hannover und südwestlich des Harzes gelegene Stadt mit einer 1737 eröffneten Universität.
Amsterdam52.3730796,4.8924534Hauptstadt des Königreichs der Niederlande, etwa 650 Kilometer westlich von Berlin gelegen.
ItalienDie in der Form eines Stiefels als Apeninnen-Halbinsel ins Mittelmeer hineinreichende Landschaft von den Alpen bis Sizilien war politisch bis ins 19. Jahrhundert vom Nebeneinander einer Vielzahl von Staaten und von Fremdherrschaft geprägt. Im Zuge der italienischen Nationalbewegung (Risorgimento) kam es erst 1861 zur Gründung des Königreiches Italien als eines Nationalstaates mit König Viktor Emanuel II. (1820-1878) an der Spitze.
Heidelberg49.4093582,8.694724Alte Universitätsstadt am Neckar, seit 1803 zum Großherzog Baden gehörend und mit Eisenbahnanschluß seit 1840. Circa 90 Kilometer südlich von Frankfurt am Main gelegen, war die Stadt mit ihrer malerischen Schloßruine einer der Hauptorte der Romantik.
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
GöttingerZu Göttingen gehörend, Göttingen zuzuordnen, auf Göttingen bezogen.
JubiläumJahrestag eines bestimmten Ereignisses, zumeist auch festlich begangen im Rahmen eines Festaktes, einer Jubiläumsfeier etc.
CholeraAuch Asiatische Cholera genannte schwere bakterielle Infektionskrankheit mit verschiedenen Ausprägungen, die verbreitet im 19. Jahrhundert epidemisch und pandemisch auftrat.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis