XML PDF

Karl Hegel an Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, und Immanuel Hegel, Göttingen, 30. September 1837

Liebe Mutter und Manuel!

Da Ihr heute eben mit meinen Angelegenheiten beschäftigt seyd, so hätte ich schon darum, besondere Ursache an Euch zu denken, wenn nicht Eure lieben Briefe2, die ich gestern erhalten habe, schon Aufforderung genug gegeben hätten, Euch darauf zu antworten. – Nun, ich freue mich sehr über das schöne Wetter, das heute mir, wie Euch sehr zu Statten kommt; Euch bei der Fahrt nach Potsdam, mir, daß die Besorgung meiner Geldangelegenheit Euch nicht verdrießlich seyn wird, sondern vielmehr eine angenehme und dankenswerthe Aufforderung zu einer herzerfrischenden und -stärkenden digestion. Aber auch hier ist mir das schöne Wetter besonders lieb. Denn nachdem nun die festliche Sturm- und Drangperiode vorübergegangen ist3, in der man fast Himmel und Erde vergaß, geschweige nach dem Wetter fragte, so ist nun plötzliche Stille eingetreten, welche für Alle eine erwünschte Erholung ist, die sie entweder für das Studium benutzen, oder, wie ich, zum Spazierengehen und zum Reisen. Besonders stille ist es in unserem Hause geworden, seitdem, vor einigen Tagen, Gervinus‘ liebenswürdiges Frauchen nach dem Rhein zum Besuch ihrer Schwester und zur Kindtaufe daselbst abgereist ist. Die Trennung ist dem jungen, sich herzlich liebenden, Ehepaar ziemlich schwer geworden, und mir ist wieder die Aufgabe geworden, Gervinus in der Einsamkeit zu trösten. Mir selbst aber war es ungemein leid, den Umgang und die Unterhaltung mit dem ganz liebenswürdigen – Geschöpf, Mädchen hätte ich beinahe gesagt, so bald wieder entbehren zu müssen. Wenn ich übrigens von Einsamkeit rede, so ist das sehr relativ zu verstehen, denn gerade nur des Vormittags sind wir allein und im Zimmer beschäftigt, Nachmittags ergehen wir uns über Wiesen und Berge in der sehr lieblichen Umgegend, welche durch die wundervolle Beleuchtung am Abend, die ausnehmende Klarheit und Reinheit der Luft, die beginnende herbstliche Färbung des Grün noch sehr verschönert wird. Dabei schließen sich andre junge Freunde an, und des Abends bleibt man entweder zusammen, oder man geht geladen in Gesellschaft, wie es dann zumeist bisher der Fall gewesen ist. Am öftesten waren wir bei Dahlmann’s, wo eine sehr schöne Tochter ist und die Mutter es mit mir besonders gut hält; dann bei Professor Berthold (Physiolog), der nun leider auch abgereist ist, bei Oesterley Professor (Künstler), auch bei Grimm’s bin ich gewesen – lauter höchst liebenswürdige Familien, in denen man sich gleich heimisch fühlt und ein unbefangener, herzlicher Ton herrscht, wie man ihn vergebens in Berlin sucht. Gott weiß, daß es überall besser leben ist, als in dem verdammten Berlin, wohin das Schicksal uns nun einmal verschlagen hat!

Ihr werdet gelesen haben, wie die festliche Freud für Manchen nicht ohne Leid ausgegangen ist und wie die Georgia Augusta gleich nach ihrem Jubeltag einige namhafte Verluste zu betrauern hatte. Die alte Blumenbach 86jährig, ist ihrem Mann 83jährig, der ihr wohl bald nachfolgen wird, vorausgegangen. Dann starb Dissen, und starb Göschen, letzterer von seiner Familie und vielen Freunden tief betrauert. Diese Todesfälle folgten in wenigen Tagen schnell aufeinander, nachdem die Jubeltage eben vorüberwaren, und haben die Nachwirkung der Freude etwas gedämpft. – Die Fremden und die Studenten sind bis auf wenige wie weggeblasen und die Stille der Stadt ist gegen den vorherigen Lärm auffallend genug. Von den ausgezeichneten Fremden habe ich viele gesehen, Einige gesprochen. Alexander von Humboldt hörte ich, wie die Anderen in der Gesellschaft, drei Stunden zu, und wurde von ihm auf’s freundlichste eingeladen, ihn in Berlin zu besuchen, Thiersch u. a. sprach ich bei Dahlmann’s.

Beseler erwarteten wir schon in diesen Tagen; mein Aufenthalt hier verzögert sich dadurch, daß ich mit ihm noch einige Tage zusammenseyn will; dann will auch Gervinus mich auf keine Weise sobald fortlassen; ich werde mich ihm entreißen müssen; und zwar gedenke ich dies auf einer Fußparthie zu thun, die ich mit ihm und andern Freunden nach Eisenach unternehmen werde, wenn Beseler wieder abgereist seyn wird. Doch darüber kann ich erst im nächsten Briefe bestimmtere Auskunft geben. Indessen beruhigt mich und tröstet mich das Abnehmen der Cholera in Berlin sehr; werdet nur nicht leichtsinnig darüber, und esset nicht so viel Reneclauden und Pflaumen als ich hier, wenn Euch auch der Mund danach wässern sollte, wenn ich Euch sage, wie ich diese herrlichen Früchte aus erster Hand hier von den Bäumen nehme und schüttele. –

Ich wünsche sehr, liebe Mutter daß Du Dir die Freude gemacht hättest, mit den Geschwistern in Bamberg zusammenzutreffen; wäre Dir das Geld ausgegangen, so hättest Du Dich ja auf Deinen reichen Sohn, den Capitalisten, verlassen dürfen. Bei solchen Gelegenheiten hat man das Geld nicht anzusehen, mein‘ ich, sondern es für nichts zu achten gegen das, was damit erreicht wird.

Mit dem Hochzeitsgeschenk für Deininger bin ich sehr zufrieden. Wenn es mir möglich ist, will ich ihm auch noch schreiben; nach Neustadt an der Aisch, nicht wahr?

Ich grüße bestens meine Freunde Hotho, Xeller, Schmidt und Geisler.

Euch bin ich im voraus dankbar für die gütige Besorgung meiner Geldangelegenheit und wünsche nur, daß Ihr fortfahren möget gesund zu bleiben

Euer
treuer Karl

NB. Wenn Ihr gleich nach Empfang dieses Briefes schreibet, so kann Euer künftiger Brief mich vielleicht noch hier treffen. Da dies aber doch ungewiß ist, so überlasse ich es Eurem Erachten; wäre ich abgereist, so würde ich mir den Brief auf meinen Weg nachschicken lassen. –