XML PDF

Georg Beseler an Karl Hegel, Rostock, [27. November] 1837

Lieber Hegel

ich habe bis jetzt mit einem Briefe an Dich gewartet, weil ich Dir gerne etwas mehr schreiben wollte, als daß ich glücklich und wohl hier angekommen, und von allen Seiten freundlich aufgenommen worden bin. Auch kann ich Dir in der That schon sagen, daß ich mich mit den hiesigen Verhältnißen schon ziemlich bekannt gemacht habe, und im Allgemeinen sehr wohl damit zufrieden bin. Die Regierung2 legt es offenbar ernstlich darauf an, die geistigen Kräfte hier im Lande mehr zu wenden, und ist zu bedeutenden Opfern bereit.

Der erste Minister, Herr von Lützen3, der das Land regiert, scheint nach Allem, was ich höre, ein ausgezeichneter Mann zu seyn, in der Blüthe der Jahre, und von höherem Schwung; auch die Stände, hier mächtiger als die Regierung fangen an, sich für Universität zu interessiren, und Alles macht den Eindruck auf mich, daß ich hier unter günstigen Verhältnissen angekommen bin, und daß man sich einen sehr würdigen Wirkungskreiß bereiten kann. Vorläufig beschäftige ich mich damit, mich etwas zu orientiren, und bereite mich sorgfältig zu meiner Vorlesung über deutsche Staats- und Rechtsgeschichte vor, die ich mit Beifall lese.

In Göttingen haben dann jetzt unsere Freunde4 ja den Widerstand begonnen und mir ahnt, daß das Vorantreten bedeutender Persönlichkeiten, die auch im Lande geachtet sind, einen Kampf hervorrufen wird, dessen Ausgang zweifelhaft seyn kann, der aber jedenfalls der gemeinen Sache nutzen wird. Vorläufig freue ich mich, und du wirst mir darin beistimmen, daß es meine Freunde sind, die es auf sich genommen haben, die Heiligkeit des Eides und der Manneswürde gegen Brutalität und Schelmerei zu vertreten.

Ich habe noch keinen Brief aus Göttingen, auch noch keinen dahin geschrieben. Das ist nicht so ganz zufällig, sondern hängt mit einer tieferen Stimmung zusammen. Es ist ein kleiner Stachel in meinem Herzen sitzen geblieben, den Gervinus durch sein Benehmen gegen mich durchaus unabsichtlich, aber doch für mich schmerzlich hinein gedrückt hat. Ich will das erst ganz überwinden, ehe ich ihm darüber schreibe, und die Sache wo möglich wieder herstelle. Ich brachte ihm ein so volles Herz entgegen, daß die leiseste Berührung mich schmerzen mußte; ich kann mit ihm nur ganz Freund seyn, oder wir fallen aus einander, denn wir sind zu nahe gewesen. Fürchte aber nicht, daß mir ein Bruch möglich schiene; ich spreche nur eben, wie mir ums Herz ist. – Der Anfang dieser Stimmung ist vielleicht in einem sehr rückhaltslosen Brief über D[orothea] D[ahlmann] zu suchen, den er mir im Frühjahr nach Basel schrieb, und der mich zuerst veranlaßte, diese Geschichte von der andern Seite anzusehen. Es war ein Schritt von ihm, den ihm die Freundschaft eingegeben, den aber seine damalige Stimmung wohl etwas herbe gemacht, und den er mir durch sein Benehmen in Göttingen, namentlich während ich in Kaßel war5, nicht ganz vergütet hat. – Es ist doch eine eigene Sache um das menschliche Herz! ich habe eingestimmt, und die Neigung heraus gerißen, und jetzt klage ich den Freund an, dem ich gefolgt bin, obgleich ich fühle, daß es so gut war. – Im Dahlmannschen Hause ging die Sache noch einige Tage so fort, wie Du sie gesehen hast. Dann schien es die Alten6 doch zu grämen, daß sie es so weit hatten kommen laßen, und sie suchten mich näher an sich zu ziehen. Ich blieb aber so gehalten, wie vorher, bis endlich am letzten Abende die Frau Dahlmann nicht länger an sich halten konnte, und direct die Sache zur Sprache brachte, namentlich über den störenden Einfluß, den Gervinus geübt, sich beklagend. Ich nahm ihn in Schutz, und als sie mir vorwarf, daß ich nicht offen gewesen, eine Mittelsperson eingeschoben, sagte ich: solche Angelegenheiten ließen sich nur unbefangen mit einem Freunde besprechen; – mit den Eltern Dorothea Dahlmanns nicht, ohne sich zu binden. Ich hatte die Sache von mir gethan, hoffte aber, daß keine Bitterkeit gegen sie in meinem Herzen geblieben sey. Als sie darauf weiter anfühlte wegen der Zukunft, sagte ich: Sie möge sich keine Illusionen machen; diese Periode unseres Verhältnißes sey tot. Der Abschied von ihrer Seite war herzlicher, wie von meiner, – wie sie denn überhaupt7 gute und gerechte Menschen sind. – Daß ich so gehandelt, kommt natürlich daher, daß das Mädchen mich gemüthlich nicht mehr befriedigte; es scheint auch gelitten zu haben, aber mit einer unweiblichen Härte und Kaltblütigkeit.8

Sage mir, was Du davon denkst; schreibe mir überhaupt bald. – Noch einen Punkt will ich berühren. Der Licenziat Dittenberger in Heidelberg, „Der trockene Schleicher“, hat sich neulich an unseren Vice-Kanzler, der in Heidelberg war, gemacht, und ihn so bethört, daß er ihn rufen will. Dieß möchte ich um Alles nicht; schreibe mir daher offen, was Du von ihm als Mensch und Gelehrten hältst, auch wie es mit seiner religiösen Auffassung steht, ob er eine bestimmte Richtung hat und welche. Auf meine Verschwiegenheit kannst Du bauen, wie überhaupt diese Sache ganz unter uns bleibt.

Grüße Deinen Bruder und behalte mich lieb.

Dein
GBeseler.

P. S. Wenn Du von Henning siehst, so sage ihm gelegentlich, daß ich jetzt hier bin; vielleicht schickt er mir dann ein rückständiges Honorar, was ich eben brauchen kann.9