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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Berlin, 17. Dezember 1837

Lieber Gervin!

Deinen Brief1, der mir Deine Absetzung2 mit der Abreise zugleich anzeigt, habe ich heute erhalten. So erwartet mir dieser Ausgang war, so hat er mich doch erschreckt; und so wird es Jedem gehen. Das Faktum liegt nun so weit abgeschlossen vor uns, und wird verschieden aufgefaßt und beurtheilt, so wie die Folgen, die sich aus demselben entwickeln werden. Was mich betrifft, so hat von öffentlichen Angelegenheiten mich in meinem Leben noch nichts so erregt, so tief verletzt, so zur Indignation und zum Zorn aufgebracht, wie das Geschehene. Handeln möchte man, und muß zusehen – das kann Einen bis zur höchsten Ungeduld peinigen. Und nicht einmal mittheilen kann man dieses Gefühl, da alle Wege dazu versperrt sind. Was bleibt da übrig, als verbissene Wuth und dann die Hoffnung? Ich habe mich bisher damit getröstet, daß Solches und Aergeres kommen muß, um unsre schlafende Nation aufzurütteln. Nicht Einzelne, einem bestimmten Stande Angehörige muß es treffen, sondern Viele, die Masse. Die Politik des Despotism speist aber diese mit einem Bissen Brod ab, um die ihr Gefährlichen zu ergreifen. Und, wenn nicht einmal die, welche gleiches Interesse vertreten sollten, die demselben Stande angehören, zusammenhalten, wie Ein Mann, was ist von den Uebrigen zu erwarten? Aber das Benehmen Einiger Deiner Collegen ist unsagbar schändlich gewesen3; daß Ihr mit diesen nicht länger mehr zusammenwohnen dürft, das ist eine große Wohlthat, die man Euch erweist. Ich möchte wohl selbst in Göttingen diese Conflicte der Interessen und Leidenschaften mit angesehen haben! Es wäre Menschenkenntniß dabei zu gewinnen gewesen. Ich fühle mit Dir, wie Dir der Boden zuletzt unter den Füßen gebrannt und Deine Eile beflügelt hat. Es ist herrlich, daß Du diesen stinkenden Sumpf hinter Dir gelassen hast, um Dich ins Land der Schönheit zu flüchten. Da die gegenwärtige Welt im Argen liegt, so ist nichts rathsamer als sich selbst und der Vergangenheit zu leben, und die Bilder der Vergangenheit sich selbst und Andren aufzufrischen. Möchtest Du in Italien Deinen Alexander nie aus den Augen lassen, und das Formelle gewinnen, was sich nur im langen Anschauen und Ueben an der Schönheit gewinnen lässt. Möchtest Du bei diesem Werke alle subjektiven und besonderen Zwecke entfernen, und wie ein ächter Künstler uns aus Freude am Werke selbst und an dessen Vollendung es unternehmen und ausführen. Ich wüßte nicht, welcher Gegenstand dazu geeigneter wäre; denn einen größeren gibt es nicht. Möchtest Du ferner alle politische Galle abthun, sobald Du den deutschen Boden verlässt, und um’s Himmels willen, keine politische Komödie in Italien dichten; denn, wie kann man hoffen, den politischen Stumpfsinn der Nation auch durch bitterste Satire (gesetzt, daß dieselbe wirklich der Menge zu Handen käme, was gar nicht zu erwarten ist unter jetzigen Umständen) aufzuwecken, den die schnödesten Thatsachen nicht bewegen! Für Deine Person ist mein heißester Wunsch, daß Deine Gesundheit sich stärke und befestige; und ich kann Dich nicht genug bitten, alle mögliche Aufmerksamkeit darauf zu haben. – Was mich angeht, so werde ich ich nicht ohne große Sehnsucht Dich nach Italien abgehen sehen, und mich darein fügen, einen schwermüthigen Abschied von Dir auf vielleicht lange Zeit zu nehmen. Denn es müßte ein eben so plötzliches Verhängniß mich gewaltsam meinen hiesigen Verbindungen entreißen, als Dich, wenn es mir möglich sein sollte, Dich nach Italien zu begleiten.

Eure Protestation4, und was sich daraus erwarten ließ (und jetzt erfolgt ist) hat auch hier wie aller Orten die lebhafteste Theilnahme erregt. Das Ehrenwerthe der Gesinnung scheint sogar theilweise von Solchen, die den Schritt selbst mißbilligen, anerkannt zu werden. Daß unsre Professoren besonders den lebhaftesten Antheil daran nehmen, scheint auch zum Theil daher zu rühren, daß sie sich in ihrem Stande geehrt fühlen. Eine Adresse, wie von Kiel und Hamburg, konnte hier nicht zu Stande kommen, theils wegen Furcht und der größeren Gefährlichkeit der Sache, theils weil sie von Gans ausgegangen wäre. Dagegen scheint eine Subscription bessern Erfolg zu versprechen. Auch in Leipzig und Kiel, höre ich, werde eine solche eröffnet. Es ist dies eine Ehrensache unsrer Nation, die hoffentlich zu Stande kommen wird. Männer, die sich auf solche Weise opfern, dürfen wenigstens nicht in Noth gerathen. Man glaubt, daß dies vorzugsweise bei Grimm’s der Fall sein könnte. – In Bezug auf die schwache Hoffnung, die Du auf Preußen setztest, habe ich an mehreren Orten Erkundigung eingezogen, in wie weit man solche Hoffnung hegen dürfe. Schulze meinte, der einzig mögliche Weg wäre, wenn Ihr Euch in einer Petition an unsern König wendetet, dann vielleicht – ; ich sagte, das würdet Ihr nicht thun. Es wird hoffentlich keiner der Sieben in Göttingen eine ehrenhafte, noble Rolle gespielt haben, um hinterher gleich eine klägliche zu spielen. – Ich erinnere mich, daß Alexander von Humboldt mich in Göttingen freundlichst zum Besuch eingeladen. Ich hatte eine lange Unterredung mit ihm, in der er sich ebenso liberal in seinen politischen Gesinnungen, als theilnehmend, ja begeistert für Euch aussprach, und dann wieder höchst offen über unsre Regierung, Hofverhältnisse undsofort. Als Resultat des Ganzen gebe ich Dir das Wort von ihm, daß, wenn man dergleichen (Eure Anstellung in Preußen) von unsrer Regierung erwarte, man besser von ihr denke, als sie es verdiene. Und so fand dann auch er Schulze’s Rath als den besten. – Ich glaube Otfried Müller, wenn der jetzt wegginge, den nähmen sie.

Unser Freund Beseler befindet sich in Rostock recht wohl. Er fühlte sich in Göttingen unbehaglich, theils weil er von Dir weniger hatte, als er gehofft, theils weil er im Dahlmann’schen Hause eine gemachte, überlegte Figur spielen mußte. Er wird Dir selbst schon geschrieben haben, daß er sein Verhältniß, zu Dorothea Dahlmann gänzlich abgebrochen hat; nach Deiner Abreise vertraute er mir die ganze Sache, und gestand daß Dein Brief ihm den ersten Anstoß gegeben habe, sich loszureißen, nicht ohne daß ihm der Brief und dieser Entschluß eine tiefe Wunde ins Herz gegeben hätte. Im Dahlmann’schen Hause nahm er sich gegen das Mädchen fremd und steif, was gegen sein früheres Benehmen, wie es das Fräulein gewohnt sein mußte, sehr hart contrastiren mußte, weil es selbst mir auffallend war. Nun schreibt er mir, daß am letzten Abend vor einer Abreise die Frau Dahlmann nicht länger habe zurückhalten können, sich mit ihm darüber auszusprechen, ihm vorgeworfen habe, daß er einen Dritten, Dich, habe dazwischen treten lassen und Hoffnungen auf die Zukunft gegeben habe. Diese habe er aber gleich abgeschnitten durch die Erklärung, daß die Sache völlig abgethan sei. – Beseler meint, daß das Mädchen nicht ohne Ueberwindung eine Neigung gegen ihn mit Mühe unterdrückt habe. – Ich glaube nun selbst, daß er Dir es danken muß, daß Du ihm gezeigt hast, wie wenig das Mädchen für ihn passe; und so habe ich ihm auch geschrieben.

Schreibe mir doch, was Dahlmann’s jetzt thun werden und Grimm’s. Gewiß werden sie nicht so schnell als Du, sich davonmachen können. Ich begreife kaum, wie Du so schnell Dein ganzes Hauswesen und Einrichtung hast aufgeben können. Dafür wird Dir sehr zu Statten gekommen sein, daß Deine liebe Frau Deine protestantische Gesinnung vollkommen mit Dir theilte, und sogar so eifrig vertreten hatte, wie ich höre. Ich finde sie darum noch doppelt liebenswürdig, das Menschchen. Für Ihre freundlichen Zeilen zum Anhang Deines vorigen Briefs danke ich ihr bestens; habe ich doch nun von ihrer Hand einige ganze Zeilen, da sie mir in Göttingen nicht einmal den Anblick ihrer Namenszüge gönnen wollte.5 Doch muß ich nun mit herzlichem Bedauern von ihr hören, daß sie ihr Pathchen, um dessentwillen sie die Reise an den Rhein damals unternahm, so bald wieder verloren. Gott schenke ihr bald ein neues Pathchen!

Um all dieses Lebensmühsal zu verwinden, ist Euch beiden die Italienische Reise6 gewiß höchst wohlthätig und wünschenswerth; und daß Du nun unverhofft so bald dazu kommst, freut mich am meisten bei der ganzen Sache.

Gladbach habe ich noch nicht gesehn. Wenn er nicht zu Weihnachten kommt, so versäumt er den besten Moment von Berlin im ganzen Jahre. Vielleicht kommt er gar nicht, wenn er gleich mit Dir nach Italien geht.

Hast Du den dritten Theil Deiner Litteraturgeschichte noch vollendet? oder brichst Du ihn gewaltsam ab? Den vierten nähmst Du dann mit nach Italien und den Alexander. Thue mir die Liebe, mir über dieses und das Andre noch einmal ausführlich zu schreiben. Die Details der Göttinger Geschichte kann ich Dir ohnehin ersparen, da ich sie von Wunderlich, der jetzt bald kommen muß, hören werde.

Dein Hegel