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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Darmstadt, 10. Januar 1838

Lieber Erich.

Um Dich doch nicht allzulang auf Antwort warten zu lassen, so schreib ich Dir mitten noch unter allerlei Beschäftigung und Überlaufensein, kurz das Nöthigste. Du wirst nun seit Deinem letzten Briefe2 aus den Zeitungen das Nähere haben, und dieß wird Deine Empfindungen über diese Geschichte nicht geändert haben. Es kann einem nur die gute Deutsche Nation dauern. Wir haben in Göttingen noch nicht das schlimmste von Demoralisation erlebt; in Osnabrück sieht es viel schlimmer aus, wovon mich dieser Tage ein vertraulicher Bericht eines meiner Verwandten, auf 20 Seiten unterrichtete. Dort hat der König schon eine förmliche Parthey, die sich so frech an den Laden legt, wie der Herr von Schele und der König selbst. Die Menschenkenntniß, die bei all diesen Vorgängen zu gewinnen war, ist von jener traurige Art, die jeden genaueren historischen Betrachter so übel stimmt gegen die Menschen, von der finsteren Art, die man in Machiavelli findet, und die eures Varnhagens Anfang dem Schlosser vorwirft. Bei diesem Stande der Welt muß man die Moralität der Masse preis geben, und es ist nur zu wünschen, daß irgend ein principe nuovo3 dem Plebs eine Art Ehrgefühl einprügelt, sonst ist aus unserem Volke nie was zu machen.

Auch Göttingen ist zu bedauern. Es war doch da ein jüngeres Leben im Gange; ich hätte viel Vertrauen auf Ritter und Ähnliche gesetzt, aber es sollte scheints nicht sein. (Ritter hat sich außerordentlich als Ehrenmann gezeigt.) Die Universität würde auch ohne unseren Abgang, nach Scheles System, zu Grunde gehen, und Leo wird ihr nicht aufhelfen, wenn er dahin gerufen geht. Dieß ist dann wieder Eine; so hat Bonn, Heidelberg, vorher Jena, eines nach dem andern seine Bedeutung verloren, und München und Berlin haben, als Universitäten, nichts Neues und Eigenes an die Stelle gesetzt. Was soll nun zuletzt daraus werden?

Ich hätte unter diesen Verhältnissen in Staat und Schule gewünscht, die 7 hätten sämmtlich einen Ruf angenommen, den uns die Züricher sandten. Dort hätte etwas von freierer Wissenschaftlichkeit werden können, durch den plötzlichen Zufluß so vieler deutscher Bildung hätte es ein Stapelplatz für deutsche Cultur nach Schweiz, Frankreich perge werden können. Allein es ist wohl keiner dazu zu bringen. Sie wenden sich alle nach Leipzig und verbeißen sich die Zähne an diesem ledernen Bissen, oder lassen sich am Ende gar in Göttingen festhalten und machen und erhalten Concessionen. Dies wäre dann ein pitojabler Ausgang, vor den ich meinerseits in der Vorrede zu meinem 3ten Theile Riegel schieben werden, falls sie die Censur umgehen kann.

Ich werde mich, was mich betrifft, so leicht von keiner deutschen Universität wieder einfangen lassen. Ich bin vorerst meiner Freiheit froh. Wäre Beseler in Basel geblieben, so wäre ich auch allein nach Zürich gegangen. Ich will nun suchen nach Italien zu kommen. Ich fürchte aber sehr, daß ich mich werde im südlichen Frankreich begnügen müssen, weil ich kein Oestreichisches visa4 erhalten werde. An Alexander5 ist unter diesen Umständen schwerlich zu denken. Es ist mir gar leid, daß ich meine Literatur-Geschichte nicht fertig und vom Halse habe. Allerdings kann Alexander fasst nur in Italien gemacht werden. Allein es müssen wohl noch Jahre darüber hingehen, und bis dahin gibt es vielleicht noch Einmal Gelegenheit dazu. Ich denke die Zeit viel dazu zu benutzen, mich mit neuester Geschichte bekannt zu machen. Die Comödienpläne6 geb ich auch nicht ganz auf. Was thut es wenn man nicht damit unmittelbarer wirken könnte? Ich geb es überhaupt fast auf jetzt noch in Deutschland von unten herauf zu arbeiten. Man muß einem glücklich geborenen Fürsten oder Minister es einmal überlassen, die Wege zum Besseren zu öffnen, und für einen solche ist Nichts verloren.

Die Petition werden wir natürlich nicht machen, ich meine, ich nicht. Die deutschen Regierungen sind uns Ehrenerklärung schuldig, und wer uns die bald und schleunig und eclatant zu geben zu rücksichtsvoll ist, an den möchte ich wahrlich kein gutes Wort verschwenden. Hier in Darmstadt gehen sie so wie um einen heißen Brei um mich herum. Ich glaube wenn ich wollte, so könnte ich sie bald für mich und für Anstellung perge stimmen. Ich werfe aber alles absichtlich bei Seite. Die Berliner sollen doch Müller rufen, er geht ganz bestimmt, denn er gehört unter die Aufgebrachtesten. Einen solchen Moment kriegen sie nie wieder. Er ist ja noch zur Zeit kein Oppositionsmann.

Daß Beseler von Dorothea Dahlmann los ist, finde ich in aller Weise für gut. Ich habe Briefe von ihm, die ihn mir sehr lebhaft in Rostock zeigen. Wenn er nur nicht allzu kampflustig gegen seine juristischen Collegen auftritt. Hast Du wohl mit Dunker wegen des Lehrbuchs gesprochen? – Der 3te Theil7 ist ehestens fertig. Sobald wegen meiner Reise etwas beschlossen ist, schreib ich Dir es. Indessen sei Du fleißiger im Schreiben als ich. – Dahlmann werden sie wohl ganz in Leipzig halten. – Von Wunderlich hast Du Alles frisch und neugebacken hören können. Auch Gladbach wird nun wohl bei Dir sein. Grüße ihn und er soll kein langes Gesicht zu diesen Ausgängen machen. Uns haben sie sehr heiter gelassen. Meine liebe Frau hat sich wie eine kleine Heldin gezeigt. Gewiß sie ist auch mir noch einmal so lieb geworden, wenn es möglich ist, das Menschchen! Und was will ich mehr? Wenn wir von der Reise rückkehren, so werden wir uns wohl in Heidelberg wieder niederlassen, ganz rückgezogen, der Natur wegen. Wäre doch Beseler wieder in Basel. Ich vermisse, wo ich mich immer niederlasse, einen Freund. Ohne äußere Thätigkeit und, ohne die Anregung eines Freundes – es ist immer mißlich.

Grüße Carrieren schön; ich laß ihm für seinen Brief danken. Er muß es mir nicht übel nehmen, wenn ich ihm nicht prompt antworte, ich bin gar sehr überladen. Meine Frau ist in St. Goarshausen; ich gehe ihr dieser Tage dahin nach. Schreib indessen hierher.

Ich schließe unter herzlichen Grüßen an die Deinigen. Hoffentlich kannst Du das Geschmiere lesen.

Ganz Dein
Gervin.