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Agathon Wunderlich an Karl Hegel, Göttingen, 21. Januar 1838

Mein lieber Erich2, gewiß! Da Sie sich doch während meines Aufenthalts in Berlin3 ein bleibendes Verdienst um einen 4 Zeitpunkt meines Lebens erworben haben, so dürfen Sie nicht spröde sein, und müssen meinen freundlichsten Dank entgegennehmen. Die Redensart mag nüchtern scheinen, doch kommt sie von Herzen, und wollen Sie ihn nicht selbst annehmen, sondern anders erwarten, so übertragen Sie ihn Ihrer lieben Mutter, von der ich Ihnen weitläufig schreiben könnte, welchen Eindruck sie auf mich gemacht hat, wenn Sie nicht ihr Sohn wären. – In Leipzig fand ich in Dahlmann ganz den Alten: ich hoffe, daß ihm meine Berliner Mittheilungen einen heitern Nachmittag gemacht haben. Er scheint mir in Leipzig bleiben zu wollen, will wenigstens in diesem und dem nächsten Semester dort Vorlesungen halten, von den Comitien unterstützen angenommen und wird sie annehmen, schreibt, wie es scheint, etwas über sein und seiner Gefährten Schicksale, und erwartet mit Sehnsucht seine Frau, die er jetzt bei sich hat. Sie verließ uns gestern vor 8 Tagen: ich sah sie also noch 3 Tage, aber nicht lang, denn Bachmann und Thöl haben beständig mit ihr , ich habe hiezu weder Zeit noch Lust. Sooft ich sie sah, schien sie mir stets einige Fuß über der Erde zu schweben, sie fragte kaum nach über ihren Mann, und des platonischen Schmetterlings ward eben auch nicht in extenso gedacht. Die Wohnung in Leipzig, die Rückehr nach Göttingen Ostern5 zum Abholen der Sachen, und alle Abschiedsträumereien hatte sie zur halben Träumerin gemacht. Ich fürchte, die Kälte während der Reise hat ihrer Gesundheit nicht wohl gethan. – Von Gervinus gehen Nachrichten ein, aus dem sich eine Art von Vorgehen an dem Gedeihn eines constitutionellen Lebens in Deutschland ergeben soll. Man will wissen, er sei in Frankfurt und Darmstadt kühl empfangen. Seine ist in St. Goarshausen. Er scheint zu arbeiten. Doch Sie werden Briefe haben. Ewald scheint sein Vaterland verlassen zu haben. So deutet man Worte die er zum Abschied an Studirende in Dransfeld sprach: er werde nicht eher zurückkehren, als bis sein Vaterland ihn rufe: aufdrängen werde er sich ihm nicht. – Im Übrigen bin ich nicht im Stande Ihnen Neues über unsere Zustände mitzutheilen. Denn völlige Spaltung der bürgerlichen Gesellschaft, diese Niedergeschlagenheit bei allen seinen fühlenden Menschen sind Ihnen wohl etwas . Die sechs6 werden dem Vernehmen nach nicht abgesetzt. Der König soll über sie noch erbitterter gewesen sein, als über die 7, und sofort an Absetzung gedacht haben. Allein der Minister von Schele hätte es gehindert, weil er an einem corpus delicti , und, wie man wissen will, einige recht Stärke auswärtiger Gelehrten ihn über die Leichtigkeit der Besetzung der Stellen bedenklich gemacht hätten. Doch kann ich versichern, daß es an vielen auswärtigen Bewerbern um die Stellen nicht fehlt. Doch soll es mit der etwas windig aussehen! Morstadt aus Heidelberg ist unter ihnen, wie ich gewiß höre. Also hat Alexander von Humboldt nicht unrecht, wenn er meinte, man werde sich drängen.

Ich selbst bin bis jetzt fast gar nicht ausgegangen. Einmal weil ich ein gelindes Schnupfenfieber hatte, und zweitens, weil ich nur wenige Leute hier sehen mag. Wenn das Schicksal mich verurtheilt hier zu bleiben, so werde ich mir im nächsten Sommer einen Garten wieder einrichten, und von aller Welt geschieden meiner Wissenschaft leben. Die Anlage enthält Sie auf dissens auction erstanden. Ich bitte das Geld an Dr. Goerden gelangen zu lassen und ihm auch für Zeit den geforderten Frachtantheil zu vergüten. – Lassen Sie einmal etwas von sich hören und grüßen Sie Ihren Bruder.

Ihr Agathon Wunderlich