XML PDF

Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Berlin, 28. Januar 1838

Lieber Gervin!

Seitdem ich Dir zum letzten Male schrieb, ist hier Deiner oft und viel in Liebe gedacht worden. Wunderlich war um die Weihnachtszeit hier und verlebte sehr vergnügte Tage; Gladbach ist jetzt hier. So habe ich dann ein ziemlich lebendiges Bild von der merkwürdigen Zeit in Göttingen von der Protestation an bis zur letzten Katastrophe erhalten und die bitteren Empfindungen, die Du darüber in Deinem letzten Briefe aus Darmstadt1 aussprichst, sind mir vollkommen verständlich, und ich theile sie mit Dir. Wie überhaupt seit der ersten Zeit unsrer Bekanntwerdung eine immer größere Annäherung zwischen uns stattgefunden hat, so daß ich bald nicht zu sagen wüßte, worin ich Dir nicht Recht gäbe und beistimmte, so haben Dich die Erfahrungen, welche Du seit der Herausgabe der Deutschen Jahrbücher bis auf die jüngsten Ereignisse gemacht hast, zu einer Ansicht über den gegenwärtigen Zustand unserer Nation und über ein zu erwartendes politisches Leben von unten herauf geführt, welche ich früher haben mußte, da ich in beständiger Anschauung einer absoluten Regierungsgewalt und ihrer furchtbaren Kräfte, gegen welche nirgends einer eine Regung zu spüren ist, zu leben gewohnt bin. Ich kann nicht ohne großen Antheil und Schmerz übersehen, wie Deine kühnen Hoffnungen auf die Deutsche Nation und deutsch-nationales allmählich so herabgestimmt worden sind und Dir die entgegengesetzte Ansicht aufgedrungen worden ist. Denn auch meine Wünsche waren für jene, wenn auch mein Glaube schwach war. Jetzt ist nur die andre Gefahr, daß Du nicht verbittern mögest, sondern Dich als der rechte Historiker in die Zeiten schickst, um noch immer das durch die Umstände beschränkte Mögliche zu leisten. Natürlich mißverstehst Du nicht, wie ich das meine. Ich erinnere Dich nur an das, was Du über den Ausgang Hutten’s geschrieben, und glaube, daß die Warnung nicht überflüssig ist, wenn Du mir schreibst, daß Du die neuere Geschichte vornähmst. Auf diese paßt kaum was anderes, als difficile est satiram non scribere2. Und wozu könntest Du sie sonst vornehmen? Aber über das Zweckmäßige der Satire in diesen Tagen scheinen wir noch verschiedener Meinung zu sein, wenn auch nicht über das Gefährliche. Auch nicht einmal die äußere Möglichkeit für dergleichen sehe ich ab, wenn ich höre, daß Deiner Vorrede zum 3ten Bande3 das imprimatur verweigert worden. Für diese nun bitte ich Dich inständigst, Du mögest sie nicht nach Deiner entschiedenen Art nun lieber ganz aufgeben, und sie so Deinen Freunden und dem Publicum entziehen, sondern capitulire lieber mit dem Censor, und zwar jeden Schritt vertheidigend und nur das Nothwendigste aufgebend. Ich möchte für mein Leben gern etwas Kräftiges, und auch was Trotziges, von Dir öffentlich ausgesprochen hören. Denn auch in Deinem übrigen Benehmen lobe ich mir Deine Entschiedenheit außerordentlich, und daß Du aus dem Bewußtsein Deines guten Rechts heraus sprichst, handelst und Anerkennung forderst.

Von hier aus, was könnte ich Dir da Tröstliches berichten? Feigheit und und Schwäche hat sich selbst bei Deinen Standesgenossen gezeigt, und Wenige meinten schon viel zu thun, wenn sie nur ihren Namen auf eine geheime Subscriptionsliste setzen. Savigny mußte darüber, daß er seinen Freunden Grimm’s Vorschub that, eine Impertinenz von einem Prinzen hören, und Klenze4 hat zur Entschuldigung über dasselbe Verbrechen, wie ich höre, an den Minister geschrieben. Altenstein, der Minister, schrieb an den Rektor (Böckh), daß er mißfälligst um Subscriptionen, die von Professoren gemacht würden, gehört habe, und daß er dergleichen verhindern möge, und der Rektor – leugnet es etc. Was sagst Du dazu? Ist es nicht, um des Teufels zu werden? – Inzwischen ist von der geringen liberalen Parthei, welche Gans dirigirt, und zu der ich mich in diesem besondern Fall auch zähle, eine für unsere Stadt miserable Subscription von circa 600 Thalern zusammen gekommen. Ich weiß nicht, ob ich Dich fragen darf, ob Du von diesen Subscriptionen annehmen magst. Etwas Kränkendes sähe ich darin durchaus nicht, vielmehr ist es Ehrensache der Nation oder vielmehr der Wenigen, die sich dafür halten wollen, Euch für das Aufgegebene schadlos zu halten. Auch hat Dahlmann angenommen wie ich höre, und Ewald. Wenn nun auch die reichen Engländer für Euch subscribieren, so könntet Ihr reich dabei werden. Aber was Dich betrifft, so glaube ich, daß Du eher von jedem andren Orte, als von Berlin annimmst; und dann weiß ich nicht, ob man damit nicht die Verpflichtung übernimmt, eine Anstellung zu suchen, wie Du nicht thust, und ob man damit nach Italien reisen darf. Ich wünsche darüber Deine Meinung zu hören, und verspreche die größte Discretion, wie ich natürlich mit Allem halte, was Du mir schreibst. Was Du dagegen unter die Leute bringen willst, das schreibe an Rudloff. Nur bitte ich hier wiederum auch seine Nachrichten etwas kritisch zu beleuchten.

Wunderlich ist hier bei allen Juristen und Staatsbeamten zweiter Ordnung5 herum gewesen, und hat genug zu erzählen und juristische Ueberzeugungen auszutauschen gehabt. Es ist ein sonderbares Ding mit diesen juristischen Ueberzeugungen; das einfache menschliche Recht, wofür der unbefangene sittliche Sinn sich unmittelbar entscheidet, wurde von ihnen verdreht oder wenigstens unsicher gemacht. Wunderlich trug seine juristischen Ueberzeugungen vor nach welchen er nicht in Göttingen bleiben könne, und es wurde ihm mit entgegengesetzten Triftigerem gedient, wonach er ruhig huldigen müsse. Wenn er sich nicht innerlich entschieden hätte, so wäre er vollkommen irre geworden. Ich weiß nicht, ob er daraus gelernt hat, daß reine sittliche Ueberzeugung zum Handeln im Leben nicht auf positives Recht basirt werden könne. – Er hat übrigens alle Anstalten und Einleitungen bei Facultät und Ministerium getroffen, um sich Ostern6 hier habilitieren zu können, was ihm auch gestattet worden ist. Doch scheint er sich das nur frei zu halten, wenn er nicht nach Basel berufen wird, worauf er sehr hofft, und wofür er Alles thut. Es wäre mir außerordentlich lieb, ihn hier zu haben, denn bis auf den juristischen Punkt ist er gewiß ein sehr tüchtiger Mensch, von dem ich alle Achtung habe.

Gladbach hat lange auf sich warten lassen, denn er war in Hannover unwohl. Es ist ein Glück, daß er hier wohl ist und die Kälte gut verträgt, denn er besieht sich die Architekturen bei 10 Grad Kälte und mehr, wo ein Andrer, wie ich, froh ist, wenn er die Stube wenig verlassen darf. Uebrigens habe ich den Menschen in kurzer Zeit außerordentlich lieb gewonnen. Er ist so tüchtig, so fleißig und strebsam in seinem Fach, so mittheilend und warm theilnehmend, so herzensgut und anschließend, daß er mich ganz für sich gewonnen hat, und ich nun immer mehr und täglich mehr bedaure, ihn nicht so oft sehen zu können, als ich möchte, da ich eben wieder sehr beschäftigt oder vielmehr in angestrengter Arbeit bin. Der Grund dieser Beschäftigung ist ein bevorstehendes – erschrecke nicht – Examen. Ich habe Dir, glaube ich, noch nicht mitgetheilt, daß ich im vorigen Herbst wegen Verspätung meiner Doctorpromotion nicht mehr dazu kommen konnte oder wollte, das Schulexamen noch zu machen. Als sich mir die Aussicht auf die Hofmeisterstelle eröffnete, dachte ich einen andern Weg zu gehen, und gab es ganz auf. Jetzt habe ich es wieder aufgenommen und es macht mir noch einige Wochen tüchtig zu schaffen. Das Hauptgewicht lege ich auf Philologie und Geschichte; der geschichtliche Vortrag, den ich zu halten habe, ist mir das liebste bei diesem Examen, welches sonst wegen des Vielerlei (auch Mathematik und Hebräisch) was ich lieber gar nicht ansähe, verdießlich ist. – Deßwegen nun kann ich mich dem lieben Freunde Gladbach nicht so widmen, wie ich möchte.

Du fragst, ob ich mit dem Buchhändler über Dein Handbuch gesprochen habe. Das habe ich aus mehreren Gründen nicht gethan, erstlich, weil ich erst genauere Instruction von Dir erwartete, dann, weil Du wahrscheinlich noch nicht die Feder dazu angesetzt hast. Ich soll doch mit Dunker nur in dem Sinne reden, ob er einem solchen zweckmäßig eingerichteten (versteht sich) Handbuche eine Ausbreitung auf den preußischen Gymnasien geben könne. Ich glaube durch die Connexionen, die er hier hat, kann er das. Dann möchte ich Dich hören über das vorzuschlagende Honorar! Ich kann als Dritter für Dich ziemlich stark fordern und würde 5 Louis d’or pro Bogen wenigstens fordern, weil Du sonst (abgesehen von der ersten Bedingung) keinen Grund hättest, den Engelmann zu übergehen. – Was aber das Erste angeht, so wird vielleicht die Schwierigkeit unübersteiglich sein, daß Dein Name politisch verdächtig geworden ist. Dafür hat man hier sehr feine Nasen.

Das wäre ein ganz verdammter Streich, wenn Deine Italiänische Reise7 eben dadurch verhindert würde. Ich sehe aber nicht ein, wenn Dir auch das österreichische Visa verweigert werden sollte, warum Du nicht über Frankreich nach Mittel- und Unteritalien gehen könntest. Schreibe mir über diese Angelegenheit, die mir sehr wichtig ist, bald möglichst das Nähere und früh genug, daß ich Dir vor Deiner Abreise noch einmal antworten kann – über den ganzen Reiseplan möchte ich genau unterrichtet sein. Was hindert Dich ein paar Jahre in Italien zu bleiben? so gut als wie in Heidelberg. Wer weiß, was ich im April thue!

Dein Bild habe ich. Du bist Deinen Freunden ein andres schuldig. Das war nur für Deine Braut. Wenn ich das nicht wüßte, wäre mir der Ausdruck ganz unverständlich. Du siehst die Welt darin so zärtlich an; das paßt nicht für einen politischen Protestanten, für einen Septemvir8. Dahlmann mit seinem nec aspera terrent9 hat ein bischen zu viel Protestation ins Gesicht gekriegt.

Otfried Müller will der Minister hierher berufen. Der Bericht ist an den König gegangen. Ob der’s genehmigt, ist die Frage. Gieseler und Lücke sind um Anstellung hineingekommen – wird nichts draus.

Morstadt hat sich nach Göttingen um Albrecht’s Stelle gewandt, – der Lumpenhund ! – Nun habe ich wahrhaftig viel und genug geschrieben und kann nur einen sehr herzlichen Gruß an Deine Victorie hinzufügen, mit der Versicherung, daß oft genug in dieser Zeit ihrer gedacht worden ist, daß Ihr Name mehrmals beim Glase Wein ausgebracht worden, und daß sie mich zu ihren wärmsten Verehrern zählen darf.

Dein Hegel