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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Sankt Goarshausen, 5. Februar 1838

Lieber Erich.

Glaube nicht, lieber Freund, daß mich die Dinge so sehr mitnähmen und aufregten und schwarzsuchtig machten, daß sie mich verbittern könnten. Die hannoverschen Geschichten haben für mich zwei Seiten. Daß ich, so weit sie mich persönlich berührten und mir auf den Pelz brannten, heftig werden konnte und derb, das war wohl natürlich. Doch glaube ich selbst in den persönlichsten Berührungen nicht meine Ruhe auf einen Augenblick verloren zu haben. Der politische Unverstand der Einzelnen und des ganzen Landes hat mich allerdings gedauert und auch in diesem Maaße etwas überrascht. Allein im Ganzen konnte man dieß doch von keinem deutschen Lande viel anders erwarten; und da meine Meinung ist daß in unserem politischen Vaterunser die Bitte stehen muß: Herr gib uns tüchtig übel, damit es uns gut gehe – , so geschieht und geschah das Meiste der des Geschehenden und Geschehenen sehr zu meiner Befriedigung und nur die Halbheit und Lahmheit die dazwischen läuft macht mir oft Ärger und Verdruß. Ich stehe jetzt schon so sehr außer der Sache, daß mich kaum noch ein Artikel über Hannover in der Zeitung fesselt. Mit der Verfassungssache nimmt es die schlechteste und elendeste Wendung die ich von allem Anfang fürchtete: Man wird eine wenig und frei-geistig moderirte Verfassung verlangen und diese wird angenommen werden, und man wird froh sein, daß der bissige Herr am Ende so gutartig ist.

Wozu ich neueste Geschichte studiren will laß Dir einmal von Beseler schreiben, dem ich vor einigen Wochen davon geschrieben. Er soll Dir den ganzen barocken Plan den ich ihm mittheilte verbotenus schreiben, bitte ihn, und dann antworte mir darüber! Daraus wirst Du sehen, daß ich sie vorerst noch zum Ernst gebrauchen will, nicht Satyre. Übrigens sind wir hinsichtlich dieser freilich zweierlei Meinung. Sie muß von der Schweiz ausgehen, dort ist sie sicher. Mit sicherer Hand den Bogen gespannt, recht ins Herz des richtigen Zieles einmal getroffen, so solltest Du doch sehn, daß bei dem ersten Anlaß von außen oder innen die ganze junge Generation, von der ich wie Du weißt nichts sonst halte, sich auf diesen Weg werfen würde. Sie würde Ziel, Maas, Waffe und Alles in einem gewissen Grade erhalten. Ja, ich habe das Vertrauen, daß die Zeit so ist, daß politische Satyre volksmäßig werden kann, darum hab ich auch, auf die Satyre selbst so viel Vertrauen. Alle meine historischen Erfahrungen müßten nichts sein, oder es steht nun in Deutschland Alles so, daß das nächste bedeutende Product der schönen Literatur nichts anderes sein kann, als dieß. So keck fordere ich die Zukunft heraus, mich Lügen zu strafen und Dir Stoff zu geben mich auszulachen. Ob diese Satyre was helfen wird? Wie der Tropfen der den Stein höhlt.

Was aus meiner Vorrede wird weiß ich noch nicht. Ich sinne aber stets auf Mittel, sie bald ins Publikum zu bringen. Aber entweder ganz oder nicht. Das kann ich nun nicht anders. So viel aber mußt Du mich kennen: Geschenkt ist sie Niemandem. Und sollte ich viele Jahre warten müssen. Ich denke darauf einen Band kleiner Schriften zu sammeln; dort kann sie wohl hinein: sie muß nur in einem Lande gedruckt werden, wo Schriften über 20 Bogen nicht censirt werden. Ist das in Preußen der Fall, so könntest Du mir vielleicht dafür einen Verleger finden. Diese Schriften würde grade jetzt mein Name schon verkaufen, zumal da sie meist bissigen Inhalts sind. Ich wünschte sie theils dieser Vorrede wegen plötzlich und gleich gedruckt zu sehen, theils auch noch aus dem Grunde, weil die Menschen wie sie sind, wenn sie in meinen nächsten Drucksachen eine starke Stelle finden, diese gleich auf Rechnung persönlicher Gereiztheit (über die uns geschehene Unbill) setzen werden. Es wäre gut zu zeigen, daß ich schon vor Jahren ein Oppositionsmann war, ehe ich an Hannover dachte, so wie ich es nach Jahren sein werde, wenn ich es längst gegessen habe.

Deine Geschichten vom Berliner Hof und Höflingen und Professoren sind mir ekelhaft; ich denke mir, daß Du viel Ärger dabei ausgestanden hast. Dergleichen berührt den Freund mehr als den selbst Betheiligten. Die Unterstützung lehne in meinem Namen, anerkennend gegen die gute Meinung, ab. Es ist mir leid, daß ich in diesem Punkte mit meinen Collegen nicht einig bin. Sie nehmen Gaben als Ehrengeschenke an, und reisen damit nach England u. s. w.; ich hätte gewünscht, sie hätten sie als Unterstützung, und erst dann angenommen, wenn sie sie wirklich gebraucht hätten, und nur die, die sie gebraucht hätten. Gut wenn die Zeitungen dazu schweigen, mir dünkt aber als hätten sich die anderen in diesem Puncte nicht in der würdigen Weise benommen, mit der sie angefangen. Wir könnten allerdings auf diese Weise reiche Leute werden. Das Redlich handeln würde eine Sache der Speculation werden. Das könnte die Ehrlichkeit und Tugend wider im Preiße heben, was meinst Du?

Wenn Wunderlich sich eine Lection bei dieser Gelegenheit geholt hat, die ihn etwas aus seiner juristische Versteinerung aufweicht, so sei Gott gepriesen. Ich möchte gern einen so braven Gesellen aus diesem Troß ausscheiden sehen. Ich wünsche ihn Dir nicht nach Berlin, sondern ihn nach Basel, daß er einmal frische lebendige Verhältnisse kennen lernt in seinem Fache. Laß ihn das durch seinen Bruder wissen, und er könnte mir überhaupt schreiben, ich würde ihn wissen lassen, wohin.

Gladbachen theile diesen Brief mit und Carriere; Rudloff was Du für gut findest. Carriere soll mich in gutem Andenken halten, und sich gern von Mundts und Varnhagens. Mit diesem Schofel verdirbt man sich den Gaumen und Magen so gut wie mit Confect. Alles zu können ist sehr gut, aber nicht zu jeder Zeit. Und in der Jugend muß man das Beste allein suchen. Von Gladbach freute ich mich Gutes zu hören, ich bedauerte ihn sehr und sein Unwohlsein in Hannover. Seine lieben Zeilen seien hiermit zugleich erwiedert.

Ihr werdet beide nicht neidisch sein, wenn ihr an einem Briefe Theil haben sollt. Wir denken Anfangs März zu reisen, aber über Genf, Lyon, Marseille, Genua, Florenz, Rom, um dort auf Ostern2 zu sein. Das soll Gladbach möglichst einzurichten suchen, daß er auch bis dahin dorthin kommt! Oestreichisches visa hab ich, nach ausdrücklicher Anfrage in Wien, erhalten. – Kämst Du mir, lieber Erich, wie schön wäre das! Ich will Dich nicht zu was überreden, was Du vielleicht später bereuen könntest. Allein bedenke auch, daß Du jetzt jung bist, und daß Jugend nicht zu viel haben kann, wer nach Italien geht, und auch das, daß doch dieß Land dreifach gewinnt wenn man es an Freundeshand sieht. Du siehst wie sehr ungern ich selbst auf dieß Vergnügen verzichte. Ich komme nach so vielen Körben immer mit meinem ceterum censeo wieder. Aber dieß sei auch das letzte Wort darüber. Könntest Du mir eine bestimmt Aussicht geben, welch ein Festzug sollte diese ganze Reise werden. Das hole der Teufel, daß Du schon wieder über einem Examen sitzest.3

Das Handbuch möchte ich wohl in Italien machen. Daß es jetzt keinen Eingang in die preußischen Schulen fände, leuchtet mir ein; und doch jetzt noch eher als künftig. Thue oder lasse, wie Du willst.

5 Louis müßte das allergeringste sein, denn die gibt mir Engelmann zur Noth auch; 4 hat er auf den ersten Anlauf geboten. – Lieber wäre mir, wenn Du mir einen Verleger für die gesammelten Schriften schafftest. Aber das müßte Alles wie der Blitz gehen, denn diese müßte ich schnell zustutzen, ehe ich ginge. Den Kern würde ich machen: historische Briefe, historische Größe, Zechkunst; Schulwesen; die Sachen in den Jahrbüchern; einige Recensionen, die in Bezug auf meine Bücher stehen; u. s. w. 1 Band von etlichen 30 Bogen.4

Von den historischen Briefen weiß ich nur noch nicht, ob sie mein Verleger5 preis geben wird, hoffe es aber. Dieß müßtest Du dabei erwähnen. Übrigens verstehe dieß nur so: Du sollst nur Eine Frage nebenhin wagen, an Einen Dir gekannten Buchhändler. Hast Du so keinen oder mangelt Dir Gelegenheit, so laß in Gottes Namen.

Victorie schreibt wohl noch einen Gruß drunter.6 Schreib noch nach Darmstadt innerhalb 14 Tagen nach Empfang dieses Briefes. Länger bleiben wir nicht; es müßten uns denn Versprechungen und Entschlüsse von Deiner Seite anders bestimmen. – Dieß schreibe ich im Hause der Schwester meiner Frau, der Pathin Deiner Mutter nicht wahr7?

Von ganzem Herzen
Dein
Gervin.

P. S. Sag doch Gladbach, daß seine Reise in unsre Gegenden / bei seinem Vater horrible Aufnahme finden würde. / Gewisse Geschichten scheinen laut geworden. Er soll es / ja wohl überlegen, und lieber direct nach Venedig / steuern. Wir treffen dann etwa in Florenz zusammen.