PDF

Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Berlin, 9. April 1838

Lieber Gervin!

Gesegnet sei dies Blatt, welches Dich in Rom zu erreichen hofft! Es soll Dir vaterländischen und Freundesgruß bringen zur glücklichen Ankunft in der Weltstadt, die recht eigentlich die Stadt des Historiker’s ist. Es muß einem die ganze Vergangenheit in’s Gesicht schauen. Bald wollen wir dort zusammen einen historischen Bund schließen, nachdem Du mir erst die Weihe, oder den Ritterschlag gegeben haben wirst. Es hat mich wirklich gefreut und geschmeichelt, daß Du eine solche Freude, wie mir Dein Brief1 ausdrückt, empfandest, über meine Erklärung, mich der Historie zuwenden zu wollen. Ich nehme mir daraus ab, daß Du mir etwas zutraust in diesem Felde; und das bestärkt mich in meinem Entschluß. Denn Du glaubst nicht, wie lange ich diesen schon in mir herumgewendet habe, und wie zaghaft ich dazu gewesen bin, denn ich habe wahrhaftig die größten Begriffe von einem Historiker für unsre Zeit, welchen gegenüber ich mich klein und unzulänglich fühle. Auch wage ich nicht eher dies als meinen Beruf anzusprechen als bis ich mit Zufriedenheit auf eine Leistung, die mich auch dazu zu qualifizieren schien, zurückblicken könnte. Viel hoffe ich von Italien und von Rom! – Wie begierig bin ich zu hören, wie es Dir dort ergeht! Ich hoffe nicht zu irren, wenn ich mir Deine äußeren Zustände dort als höchst glücklich und angenehm denke. Wenn Dir auch dies Mal die Freude und Spannung der Ueberraschung abgeht, so erlebst Du auch diese von neuem an Deiner liebenswürdigen Frau. Was wird sie für Augen machen!

Meine Gedanken sind jetzt natürlich oft nach Euch reichtet, und ich wünsche nichts sehnlicher, als Euch bald nachzufolgen. Doch habe ich noch Ruhe und Geduld genug, um erst die heiße Sommerzeit vorbeistreichen zu lassen, um dann im September mich mit Euch zu verbinden. Diese Zwischenzeit werde ich indessen gut benutzen, um mich in antike und christliche Kunst, Italiänische Literatur usf. einzuleben. Ich habe dazu jetzt volle Muße gewonnen, da ich nur eben ein Examen zur Anstellung beim Gymnasium abgethan habe, gegen welches die Doktorpromotion Kinderspiel war.2 Mein langes, und vielseitiges Studium in Philosophie, Theologie, Philologie und Geschichte kam mir dabei so zu Statten, daß ich darin mit Glanz reüssirte. Mit diesem Resultat sind mir die ersten Anstellungsmöglichkeiten eröffnet. Ich lege darauf Werth, weil hier zu Lande Alles auf Examina ankommt; und weil mir die Satisfaction wurde, daß Einige, die geringer von mir dachten, genöthigt wurden, diese ihre Meinung über mich zu ändern. Ich werde es also jedenfalls zuerst mit dem Gymnasium versuchen. Vielleicht übernehme ich jetzt gleich einige Stunden, wenn es mir gestattet wird, sie nach Belieben im August3 wieder abgeben zu können. Andre Anerbietungen, die mir gemacht worden sind, nehme ich deßhalb gar nicht auf, indem ich den Hauptpunkt, die Reise, im Auge behalte.

Du bist noch nicht lange genug von Deutschland entfernt, um gern wieder etwas davon hören zu wollen. Ich will Dich also damit nicht ennüyiren, schließe deshalb auch ein Blättchen von Rudloff nicht mit ein, auch, um den Brief nicht mehr zu beschweren. Die hannövrischen Zustände habe ich schon dick bis an den Hals, wie viel mehr Du. Albrecht und die Grimms wollen sich nun auch nach Leipzig wenden. Der König von Hannover hat Leipzig verboten (in Rom liest man ja auch die Allgemeine Zeitung). Albrechts Schrift von Dahlmann herausgegeben ist juristisch abgefaßt und wird vom wunderlichen Wunderlich deßhalb gelobt, mir war sie ungenießbar. Unangenehm ist mir dabei auch gewesen, daß sie auf den Schlußsatz hinausläuft, es sei Euch durch die Absetzung in Hannover die Anstellung in den übrigen Bundesstaaten nicht verwirkt. Als ob die Wiederanstellung die Hauptsache in der Sache, die Ihr vertretet, wäre. Wohlthuend aber ist die scharfe und bittere kleine Vorrede von Dahlmann. – Ich habe Beselers Schrift noch erwarten wollen, um Dir darüber zu schreiben; es währt aber zu lange. Ich hoffe, es ist etwas Gutes. Rostock scheint doch auch ein trauriges Nest zu sein! Aber ist es nicht spaßhaft, daß unser Freund so mir heraussagt, wie alle Weiber sich in ihn verlieben? Das ärgert Deine Victorie gewiß schrecklich. Wir wollen ihn darüber zum Besten haben. Meinen Reiseplan habe ich mir ungefähr so ausgedacht, daß ich im August von hier abreise, durch die Schweiz, nach Mailand, nach Genua, Pisa, Livorno, von da zur See nach Neapel, wo ich dann Mitte September4 eintreffen könnte. Wie gefällt Dir dieser? Neapel kommt so auf die schönen Herbstmonate und auf5 den Winter, Florenz auf das Frühjahr6 usf. Hast Du mir etwas Andres zu rathen, sei es für die Weiterreise, oder für die Hinreise nach Neapel zunächst (denn das Weitere wird sich dann schon finden), so bitte ich mir es nicht vorzuenthalten. Zu Genua soll eine epidemische Krankheit sein? Wie hält’s man mit dem Gelde? Bringt man Gold mit, Napoleon d’or’s? Läßt man sich Wechsel ausstellen, nach Neapel, nach Rom? Wie viel? Meinen herzlichsten Gruß an Dich und Deine liebe7 Frau. Schreibe uns bald wieder, und vergiß nicht zu bemerken, wohin unser nächster Brief zu addressiren, und wann Du ihn erwarten willst.


Dein Carl Hegel