es hat mich überrascht, bei meiner Rückkehr aus der Heimath2 keinen Brief von Dir vorgefunden zu haben; denn mich verlangt sehr, etwas von Dir zu hören. Ich schreibe Dir daher nun wenig Worte, um Dich selbst aufzustacheln. – Dahlmanns und Grimms Schriften3 werden nicht weniger auf Dich eingeschlagen haben, wie auf mich, und ich kann wohl sagen auf alle hiesigen, die nicht jedes Gefühles baar sind. Mein Opus, das Du durch den Verleger wirst erhalten haben, tritt dann nun bescheiden zurück; die Ketzereien, die ich hineingemischt, mögen ihren Lauf machen.4 – Ich bin jetzt sehr beschäftigt, lese deutsches Privatrecht zuständig nur einem sehr anständigen und eifrigen Auditorium, und bin eifrig bei dem deutschen Theile der Erbverträge5, um mir diese Last aus dem Wege, und Muße für eine größere Arbeit zu schaffen. Neulich las ich einmal Göthes und Schillers Briefwechsel, das einzige Denkmal deutschen Strebens und deutscher Freundschaft. Ach! Wie wehmüthig wars mir da, wenn ich bedachte, daß weiteres Zusammenseyn mit Dir und Gervin mir so noth thäte und so förderlich seyn würde! So wie Du eine Sendung von Gervinus erhältst, schickst Du sie mir. Auch Deinen Brief von ihm; meinen kannst Du gleichfalls lesen.
Wann gehst Du nach Italien?6 Wir müßen uns noch vorher sehen. Willst Du mich auf Pfingsten7 besuchen, so triffst Du mich frei und wohlgelaunt. Sonst müßen wir uns in den Hundstagsferien sehen: meine Reise nach Helgoland habe ich aufgegeben. Schreibe mir, wann es Dir am besten paßt; vielleicht könnten wir uns einige Wochen in einem Ostseebad zusammen aufhalten.
1Ort und Datum unterhalb des Brieftextes, linksbündig. 2Georg Beseler (1809-1888) wurde in Rödemis bei Husum geboren. 3Friedrich Christoph Dahlmann (1785-1860) gab 1838 in Leipzig die Schrift „Protestation und Entlassung der sieben Göttinger Professoren“ heraus, Jacob Grimm (1785-1863) veröffentlichte 1838 in Basel eine kleine Schrift über seine Entlassung aus dem Staatsdienst Hannovers unter dem Titel „Jacob Grimm über seine Entlassung“. 4Georg Beselers Schrift zur Verteidigung der „Göttinger Sieben“ in Briefform erschien 1838 in Kommission bei F. L. Schmidtchen in Rostock unter dem Titel „Zur Beurtheilung der sieben göttinger Professoren und ihrer Sache. In Briefen“. 5Georg Beseler gab in Jahren 1835 (Teil 1), 1837 (Teil 2, 1. Band) und 1840 (Teil 2, 2. Band) drei Publikationen zu „Erbverträgen“ heraus, alle in Göttingen erschienen, unter folgenden Titeln: „Die Lehre von den Erbverträgen. Erster Theil: Die Vergabungen von Todes wegen nach dem älteren deutschen Rechte“, „Die Lehre von den Erbverträgen. Zweiter Theil, erster Band: allgemeiner Theil; der Erbeinsetzungsvertrag im Allgemeinen“ und „Die Lehre von den Erbverträgen, zweiter Theil, zweiter Band: besondere Arten des Erbeinsetzungsvertrags; der Erbverzicht, Anhang“. 6Karl Hegel unternahm 1838/39 eine Reise nach Italien, wo er auch mit Georg Gottfried Gervinus (1805-1871) und dessen Frau Victorie (1820-1893) zusammentraf und gemeinsam reiste. Zu den einzelnen Stationen dieser Reise sowie allgemein zur Reisetätigkeit Karl Hegels in dieser Zeit vgl. die Übersicht in:
Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch, S. 314, sowie
Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, S. 61-87, hier besonders S. 66 f.73./4. Juni 1838.
Beseler, Georg Karl ChristophGeorg Beseler11851019318091888Beseler, Georg (1809–1888), Jurist und preußischer Politiker, war in der Heidelberger Studienzeit neben Georg Gottfried Gervinus (1805–1871) einer der beiden engsten Freunde Karl Hegels (1813–1901). Er wurde ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an den Universitäten Rostock, Greifswald und Berlin.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
Privatbesitz
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Privatbesitz1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Kreis
, Marion: Karl Hegel. Geschichtswissenschaftliche Bedeutung und wissenschaftsgeschichtlicher Standort (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 84), Göttingen, Bristol, CT, USA 2012.
Kreis
, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung
2012
Dahlmann, Friedrich ChristophFriedrich Christoph Dahlmann11852336817851860Dahlmann, Friedrich Christoph (1785–1860), Politiker und Historiker, war von 1842 bis 1860 ordentlicher Professor für Deutsche Geschichte und Staatswissenschaften an der Universität Bonn, 1848/49 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, 1850 Mitglied des Staatenhauses für das Königreich Preußen im Erfurter Unionsparlament.
Grimm, JacobJacob Grimm
HiKo
11854225717851863Grimm, Jacob (1785–1863), Bruder Wilhelm Grimms (1786–1859), war Jurist, Sprach- und Literaturwissenschaftler. Er war einer der „Göttinger Sieben“, die am 12. Dezember 1837 von der Universität Göttingen fristlos entlassen wurden. Von 1841 an wirkte er in Berlin und wurde Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften.
Goethe (Göthe), Johann WolfgangJohann Wolfgang Goethe11854023817491832Goethe, Johann Wolfgang (1749–1832), auch Göthe, deutscher Dichter.
Schiller, Friedrich Friedrich Schiller11860762617591805Schiller, Friedrich (1759–1805), in Marbach am Neckar geborener Arzt, Dichter und Historiker, der vor allem durch seine Dramen und Gedichte bekannt wurde.
Gervinus (Gervin), Georg Gottfried jun.Georg Gottfried Gervinus11853891818051871Gervinus, Georg Gottfried jun. (1805–1871), deutscher Historiker, Literaturhistoriker und Politiker, Sohn von Georg Gottfried Gervinus sen. (1765–1837) und seiner Ehefrau Anna Maria Magdalena Gervinus, geb. Schwarz (1772–1837). Er war Ehemann von Victorie Gervinus, geb. Schelver (1820–1893), 1835/1836 Professor der Geschichte und Literatur an der Universität Heidelberg, 1836/1837 an der Universität Göttingen (einer der „Göttinger Sieben“), 1844 Honorarprofessor an der Universität Heidelberg, 1848 Mitglied der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung.
Rochow, GustavGustav Rochow1042455651792184Rochow, Gustav (1792–1847), war königlich preußischer, konservativ-antiliberaler Innen- und Staatsminister.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Rödemis54.4686548,9.0596743Rödemis bei Husum, heute Stadtteil der Stadt Husum in Nordfriesland an der Nordsee gelegen.
ItalienDie in der Form eines Stiefels als Apeninnen-Halbinsel ins Mittelmeer hineinreichende Landschaft von den Alpen bis Sizilien war politisch bis ins 19. Jahrhundert vom Nebeneinander einer Vielzahl von Staaten und von Fremdherrschaft geprägt. Im Zuge der italienischen Nationalbewegung (Risorgimento) kam es erst 1861 zur Gründung des Königreiches Italien als eines Nationalstaates mit König Viktor Emanuel II. (1820-1878) an der Spitze.
Helgoland54.18004525,7.885362101180695In der Deutschen Buch, nördlich der Ostfriesischen Inseln t gelegene Nordseeinsel. Sie war von 1807 bis 1890 britische Kronkolonie und ging am 1. Juli 1890 an das Königreich Preußen bzw. an das Deutsche Reich über.
Doctor, DoktorDoktor als höchster akademischer Grad und Bezeichnung für jemanden, der einen Doktor-Titel trägt.
Am Kupfergraben (Berlin)Uferstraße entlang des Kupfergrabens als eines Teilabschnitts des Spree-Kanals. Im – nach damaliger Zählung – Gebäude Nr. 4a wohnte der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) mit seiner Familie, danach für einige Zeit auch noch seine Witwe.
PrivatrechtGebiet aus der Rechtswissenschaft, das sich mit den Rechtsbeziehungen zwischen rechtlich gleichgestellten natürlichen und juristischen Personen regelnd auseinandersetzt.
ErbverträgeGeorg Beseler (1809-1888) veröffentlichte in den Jahren 1835 bis 1840 drei Publikationen zu „Erbverträgen“, alle in Göttingen erschienen, unter folgenden Titeln: „Die Lehre von den Erbverträgen. Erster Theil: Die Vergabungen von Todes wegen nach dem älteren deutschen Rechte“, „Die Lehre von den Erbverträgen. Zweiter Theil, erster Band: allgemeiner Theil; der Erbeinsetzungsvertrag im Allgemeinen“ und „Die Lehre von den Erbverträgen, zweiter Theil, zweiter Band: besondere Arten des Erbeinsetzungsvertrags; der Erbverzicht, Anhang“.
HundstagsferienHundstagsferien wird hier umgangssprachlich für Sommerferien verwendet unter Bezugnahme auf die sogenannten „Hundstage“, die bereits seit der römischen Antike in Bezug auf das Sternbild „Canis Major“ (Großer Hund) die Zeit der heißen Tage vom 23. Juli bis 23. August bezeichnen; aufgrund der Eigenbewegung dieses Sternbildes sowie der Präzession der Erde hat sich zwischenzeitlich die Zeit der Hundstage um ca. vier Wochen nach hinten verlagert, weshalb sie nun den beginnenden Herbst ankündigt.
OstseebadBezeichnung für Orte an der Ostsee mit Badekultur und Tourismus.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis