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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Rom, 22. Mai 1838

Lieber Erich.

Erst vorgestern sind wir hier angekommen, wo schon lange Dein und Beselers Brief auf uns wartete. Wir hielten uns so lange in Florenz auf, und schieben nun unseren hiesigen Aufenthalt bis auf Juni hinaus oder Angangs Juli. Es treibt mich vor allem Dir über Dein Herkommen zu schreiben, denn ich wüßte nicht auf was ich mich mehr freute. Ich habe grade so viel Reisegesellschaft und solche Reisegesellschaft gehabt, daß ich sehe wie trefflich es sich lebt, wenn man sich im fremden Lande umtreibt, und sich aussprechen kann, wie langweilig und schleunig-ermüdend dieß Vergnügen aber wird, wenn man sich alsbald überzeugen muß, daß der gegen den man sich ausspricht, doch nicht zu einem gehört. Ich sage Dir also, daß wir Ende Juni nach Neapel reisen und dort wohl bald weg wahrscheinlich nach Sorrent gehen werden, um da den Sommer zu baden. Dort also würdest Du uns treffen. Dein Reiseplan ist der natürlichste. Nur würde ich die Zeit mit der Landreise von Genua nach Pisa nicht verlieren; Du fährst besser mit dem Dampfschiff gleich ab, schreibst Dich ein bis Neapel; es bleibt in Livorno einen Tag liegen, diesen benützest Du nach Pisa hinüberzufahren und dort nichts zu sehen als den Domplatz und das Campo Santo ebendaselbst; in Livorno ist gar nichts. In Neapel nimmst Du Dir gleich eine Barke und schiffst zu uns nach Sorrent; wir gehen dann von da aus zusammen in der Gegend herum, und kehren im October nach Rom zurück, wo wir denke ich den Winter ganz ruhig zusammen bleiben, arbeitend und genießend. Erst dann zieht Italien recht an. Willst Du nach Sicilien, so entschließen wir uns auch dazu vielleicht und machen dann dieß im October ab. In jedem Falle ist es mir lieb, wenn Du es so einrichtest, daß Du schon anfangs September bei uns eintreffen könntest. Bestehst Du dann später nicht darauf, ein volles Jahr zu bleiben, so machen wir wohl die Rückreise über Florenz, Bologna, Venedig zusammen, gegen den Sommer 1839 hin. Du reistest über den Gotthardt nach Mailand, logirst da bei Reichard1 oder Reichmann, in einem deutschen Gasthaus, siehst den Dom und die Brera (Gemäldesammlung) und in einer Kirche irgendwo das Abendmahl von da Vinci; in Genua wohnst Du in der pensione Svizzera oder in aquila nera; siehst nichts als die Stadt, innerhalb ist nichts der Mühe werth. Von dem Gotthardt aus ist Post bis Mailand; von da nach Genua gibt es glaub ich auch einen Eilwagen. Plage Dich nicht mit Vetturien. Auf die Seekrankheit aber laß Dich vorbereiten. – Lege Dich gleich im Anfang 6 – 8 Stunden längelang und platt auf den Rücken in die Mitte des Schiffs auf das Verdeck, das hilft. Meide stehen, gehen und Cajüte. Von Krankheiten und Cholera laß Dir ja nicht leicht etwas weiß machen. Napoleon d’or sind sehr gut. Doch ist nicht rathsam, viel Geld mit sich zu führen. Du nimmst Creditbriefe auf die bedeutenden Städte, wo Du bleiben willst. Ich habe, als ich als Junggeselle reiste, in 9 – 10 Monaten florin 1400 = rh. Reichsthaler 800 gebraucht. Sitzt man erst wo an einem Orte fest, so lebt man sehr wohlfeil.

Wir wollen also in Neapel uns vorbereiten auf den Auffenthalt in Rom und ich wünschte recht zu wissen, was Du eigentlich dort treiben wirst. Du wolltest mit einer Arbeit nach Italien kommen und wirklich genießt man es besser, wenn man arbeitet und etwas beschäftigt ist. Greife ja in der Wahl sicher, es hängt doch davon Alles ab.2 Ich mache Dich noch einmal auf die Reformation aufmerksam. Du bringst fast Alles dazu mit, was man braucht: Du warst Philosoph und dieß ist nöthig um die Regeneration der platonischen Philosophie recht darzustellen, die man nicht übersehen darf; warst Theolog; und bist neuerdings ein Politicus geworden und wirst nun auch noch ein Kunstjünger werden. Ich meine nämlich, daß Du alle Richtungen des Lebens jener Zeit auffassen müßtest; nicht eine Reformationsgeschichte, sondern eine deutsche Geschichte in der Reformationszeit; die Zeiten von Max und Karl; dabei eingehen in alle Privat-, Landes- und Stadtgeschichten, um Alles Merkwürdige der Zeit zusammen zu haben, und dann es in einen Brennpunct zu versammlen, das Detail in der Forschung zurückzulassen, in der Darstellung kurz, rein, klar, durchsichtig, aber voll von Leben und Kenntniß zu sein. Das Resultat müßte in die Augen springen, daß dieß die einzige Glanzzeit deutscher Geschichte ist.3

Es geht uns gut. Wir haben uns durch Frankreich, Piemont und Toscana unter tausend Mühseligkeiten des Wegs und Widerwärtigkeiten des Wetters doch gut durchgeschlagen. Nun erst kommen wir allmählich zur Ruhe. Reisebeschreibungen erwartest Du wohl nicht. Sie würde zu lang oder zu kurz ausfallen, und ich habe weder Zeit noch Lust dazu. Dieß theilen wir uns später so gelegentlich mit. Daß auch Du nun einer heitren und erholenden Zeit entgegen siehst ist trefflich; ich freue mich in Deine Seele, daß Du die verfluchten Examina hinterm Rücken hast; und das letzte gar so gut Deiner Zufriedenheit.4 Die deutschen Geschichten fangen mir nun an langweilig zu werden, wie ich lange voraus wußte. Du wirst erleben, daß wir 7 später, anstatt besser zu stehen, schlechter stehen werden. Die Sympathie in Deutschland für uns ließ nicht zu, daß man sich höheren Orts sogleich gegen uns erklärte; allein lasse nur erst die Zeit Herr über das Geschrei geworden sein, so wird man in uns nichts Besseres sehen als in so vielen anderen, die Urheber einer Bewegung im Volk waren. Ich freue mich immer mit einigem Stolz, daß ich die Dinge so gut errathen kann; ich könnte Freund Dahlmann an 20 Warnungen, Räthe, Voraussagungen erinnern, die als sie gemacht wurden nach Leidenschaft, Schwarzsichtigkeit und dergleichen schmeckten, und die nun alle durch die Thatsachen gerechtfertigt sind. Der Mann dauert mich unendlich. Diese Geschichten haben ihm gewiß einen unendlichen Schmerz gemacht, über den er sich schwerlich heben kann; ich wenigstens weiß nicht, woher er aus seinem Wesen Anderes als Resignation finden soll, und zwar bittere. Er war immer voll schöner Hoffnungen auf Deutschland, und sie waren so mäßig, und sind doch getäuscht worden. In Carlsruhe hat sich jetzt die Polizey meiner Vorrede bemächtigt. Da indeß nun fast jeder der 7 eine Rechtfertigung geschrieben hat, so will ich auch, daß diese Vorrede wie sie auch ist ins Publicum kommen soll und werde sie von Altona aus ins deutsche Reich als Flugblätter schicken. Die 4 Stimmen werden sich dann sonderbar gegen einander ausnehmen.5 Aus Allem was ich von Albrechts Schrift höre, ärgere ich mich über die Maaße darüber! Mir war es von allem Anfang an über ihn schlecht zu Muthe. So begreife ich auch nicht, wie die Leute in Leipzig lesen mögen. Ich verkenne das Edle dabei ganz. Die Universität ist von Hannover verboten; man schadet ihr also mit dem Lesen; man belohnt Gutes mit Bösem. Und da uns in der Schweiz Zuflucht geboten war, ja einigen von uns sogar Besoldung, so finde ich es nicht schön, dieses auszuschlagen, um anderswo von Gnade zu leben. Ich gehöre auch unter die, die man in Basel mit Besoldung anstellen will. (auch Dahlmann.) Warum ist nun Beseler weg! Ich würde mich keine Minute bedenken, mit ihm dort zu sein; ohne ihn reizt es mich nicht. Es reizt mich überhaupt keinerlei Anstellung mehr. Vielmehr hab ich die größte Lust, in die deutsche Ruhe einige Brandfackeln hinein zu werfen. Wäre ich nur erst mit meiner Literaturgeschichte fertig.

Ob Beseler wohl oder übel thut mit seiner Schrift steht dahin; es kommt darauf an wie sie ist. Für ihn ist es gewiß keine Empfehlung. Überhaupt scheint mir aus seinen Briefen vorzugehen, daß er in Rostock ein wenig rabbulistisch wird; er sollte damit noch anstehen. Und was er von den Weibern sagt, das möchte ich ihm selbst wiederholen. Er soll sich in Acht nehmen; es ist eine fatale Sache, sich damit näher einzulassen, als zum Abendthee u. s. w. nöthig ist. Das Ende ist immer ein geselliger Bruch, und wenn dieser erst neben dem Groll, den seine Collegen über ihn haben, über ihn ausgebrochen ist, wo würde seine Stellung höchst übel und traurig werden. Mir dünkt fast, wir sollten mit Basel beide unterhandlen, und beide wieder hingehen und auf die Dauer. Mir ist das deutsche Land lieb, aber ihm zu helfen lieber, und ich sehe es mehr ein, daß man in Deutschland nicht schreiben darf, ohne sich vor der Festung fürchten zu müssen. – Allerdings hat, wie Du vermuthest, Victorie sehr den Kopf über diese Stelle geschüttelt. – Ich habe Dir von ihr nichts noch geschrieben. Sie geht in die neue Welt die sie hier empfängt ein wie ein Alter. Sie macht alle Vetturien und alle Kunstgänge und alle Trattorien mit, sitzt manchmal wie verrathen und verkauft unter einer Masse von Mannsleuten, sieht sich Bilder und Bau- und Sculpturwerke in ihrer Weise, schlicht und nicht ohne Augen, an, und notirt sichs sogar ins Tagebuch, hinter ein Kochrecept ein Sentiment über einen Raphael. –

Was Beseler über Dahlmanns6 schrieb hab ich sehr gut gefunden. Nur eines möchte ich ihm ans Herz legen: er schreibt, er wage kaum für seine Berufung nach Rostock etwas zu thun, allein er sollte doch ja thun, was er nur kann, um ihn hin zuziehen. Er ging jetzt gewiß gern; stellte sich der alte Status quo in Hannover her, so wäre ja nicht gesagt, daß er in Rostock bleiben müßte. Übrigens weiß ich nicht, woher ohne nicht vorauszusehende Wunder dieser alte Zustand wiederkehren sollte. Dahlmann scheint keine Mittel zu haben, und ich glaube es macht ihn sein häusliches Provisorium verstimmter als sein amtliches. Ich thue vielleicht unrecht, oder irre darin, daß ich mir ihn sehr bekümmert und verstimmt denke; und wünsche daß ich irre: Mich wunderte daß er mir dieser Tage eine Einlage durch Engelmann schickte, die eigentlich nichts mitheilt, als daß er 1/7 von gewissen Beiträgen für mich deponiert hätte, darunter namentlich einen Theil der Gaben von Berliner Professoren. Ich will einmal nichts, und mich ärgert diese ganze Geschichte schmählich. Ich ließ ihn wissen, daß er darüber verfügen sollte zu guten Zwecken, und wünsche daß wenn Du mir einen guten Ausfluß für diese Gaben angeben kannst, Du dieß thun möchtest. Ich glaube ich kann ohne Grobheit das Geld nicht an die Quelle rückschicken und will es also auf eine andre Weise anwenden, allenfalls nach vorgängiger Anfrage bei den Gebern, ob sie damit einverstanden sind.

Ihr habt mir eigentlich beide lederne Briefe geschrieben und hier habt ihr einen sehr eiligen dagegen. Ich habe soviel zu laufen, daß ich zum Schreiben nicht komme. Schicke diesen Wisch an Beseler, er soll entschuldigen daß ich ihm nicht besonders schreibe, es ist aber schrecklich schwer dazu zu kommen. Aber schreibt mir beide ausführliches und viel über euch und Deutschland nach Neapel. Von Dir hoffe ich bestimmt Anfangs Juli dort Nachricht zu finden. Ich schreibe Dir dann sogleich wider, wo Du mich in Neapel treffen sollst. Grüße Mutter und Bruder herzlichst, auch Rudlof und Carriere. Siehst Du diesen nicht? was macht er? Hier ist ein junger Preuße, Dr. Dönniges ein Historiker viel mit mir. Sonst hab ich weiter Niemanden um mich. Ich lieb es in Italien allein zu sein. Victorie grüßt tausendmal.

Dein

Gervin.