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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Berlin, 22. Juni 1838

Lieber Gervin!

Du thust uns Unrecht, wenn Du unsre Briefe ledern schiltst1, der Du doch selbst von deutschen Geschichten zu hören verlangst; wenn diese aber ledern sind, wie gewiß, so ist’s unsre Schuld nicht. Was soll man aber von solchen Briefen sagen, die aus Italien kommend, fast nur von denselben ledernen Geschichten voll sind? Uns müssten sie doppelt ledern erscheinen, wenn nicht das gute deutsche Herz darin zu erkennen wäre, das selbst in Italien auch das lederne Deutschland nicht vergißt. Ich könnte diesen Unglimpf leicht rächen, wenn ich nun von Deutschen Dingen gar nichts schriebe, aber erzählte, was ich derzeit von Italien erfahren habe, daß der Herzog von Modena alle Büchereinfuhr verboten hat, vermeinend den Geist auszusperren, oder daß der König von Neapel an Bord der Englischen Flotte gespeist hat etc., doch bin ich großmüthig genug nicht so fortzufahren und – Vor Allem bin ich froh, daß Du und Dein liebes Weibchen Euch wohl befindet, und also in Rom. Man merkst Dir an, daß die alte Stadt Dich in Unruhe setzt, so voller Hitze und Hast bist Du. Du wirst Dich schon wieder verpusten, bis Du zurückkommst, mit Deinen Flugschriften. Das kommt uns hier bei der kühlen Temperatur ganz wunderlich vor, und vor Brandfackeln ist uns nicht bange. Mich soll wundern, wie Deine Vorrede sich so einzeln und verlassen ausnimmt; weder von ihr, noch von den vermischten Schriften hat man bisher etwas vernommen. – Was meine Reise angeht, so kann ich nicht wohl vor Ende September in Neapel eintreffen. Mit meiner Mutter und Onkel (den Du mal in Heidelberg gesehen hast) reise ich Mitte Juli nach Nürnberg, bleibe da bei den Verwandten bis Mitte August, in der Schweiz den übrigen August vielleicht mit Wunderlich, und Professor Benary (von hier). In Mailand muß ich wenigstens 8 Tage bleiben usf; es ist nicht nöthig, daß ich mich so arg pressire, als ob’s mir nur drum zu thun wäre, die letzte Spitze von Italien zu erreichen. Oben ist auch Italien, und ich komme zum ersten Mal hinein. Das bedenke! Auch ist im September in Neapel noch nichts anzufangen, wegen der Hitze. Ich hoffe vorher von Dir zu erfahren, wo Du Dich dann befindest. Uebrignes hat’s damit keine Noth. Ich werde eine Empfehlung von hier an einen Prediger Remy (der dort bei einer protestantischen Gemeinde angestellt ist) erhalten, und wenn die Unsicherheit meines späteren Aufenthalts nicht zulassen sollte in jener Zeit von Dir zu hören, wo du bist; so könntest Du im Nothfall es diesen Manne wissen lassen. Doch wird das kaum nöthig sein, da ich mit Dir in Correspondenz bleibe. Deine nächste Antwort, welche mich bis Mitte August in Nürnberg treffen kann, bitte ich dahin zu schicken unter Adresse: bei Herrn Oberlieutenant Baron Sigmund von Tucher.–

Von Dahlmann’s Stimmung weiß ich selbst nichts Sichres. Doch sehe ich ihn vielleicht auf meiner Reise irgendwo. Er hat nöthig gehabt, sich gege n einen schmählichen Angriff Rumann’s im Hamburgischen Correspondenten zu vertheidigen, welcher ihm Verläumdung in der Darstellung der Auflösung der hannövrischen Stände Schuld gab. Eine aktenmäßige Erzählung des Hergangs aus den Protokollen hat Dahlmann hinlänglich gerechtfertigt und den Rumann noch mehr beschimpft. Die Verhältnisse in Hannover werden für den König immer schwieriger. Mit dem Magistrat von Hannover ist er jetzt offen zerfallen, in der 2ten Kammer ist die Opposition in der Mehrzahl, die Beschwerden von Osnabrück und Hildesheim sind beim Bund. Jetzt reist der König im Land herum mit seinem Küchenwagen zugleich, und versucht, ob er die Leute mit Fressen & Trinken zahm macht. – Von Hofgeschichten, die hier vorgefallen bei der Zusammenkunft der Könige und Kaiser, will ich nichts erzählen, weil sie zu ledern sind – doch meinte Seine Majestät Ernst August: er hätte sich nicht lange besonnen, Euch fortzuschicken, denn Huren, Professoren und Musikanten seien immer feil. Mit den Professoren ist’s ihm dann doch nicht geglückt, denn noch hat keiner angebissen. Vielmehr ist jetzt eben Lücke nach Halle berufen. Wie doch der feine Thelog seine Schäfchen im Trocknen behalten hat! Euer Geruch ist so gut nicht; Sachsen hat noch Niemanden angestellt; Albrecht liest in Leipzig, hat Anfangs an die 300 Zuhörer gehabt, aber die Leipziger Studenten wollen dicke Hefte haben, der Mann dictirt nicht genug, jetzt bleiben sie fort und er hat kaum 20. Schlimme Täuschung! O! Ledern! wirst Du sagen. Nun ja doch! – Die Breslauer philosophische Facultät hat für Wachler, der da gestorben ist, Dich in Vorschlag gebracht. Vergeblich! Da ist kein Gedanke dran, daß dem hier irgend Folge gegeben wird. Dahlmann hat nach Basel abgelehnt, Du bist gerufen (sagt Beseler) – bedenke es wohl. Daß Du hernach nicht willst, wenn Du nicht gerufen bist! Grimms gehen jetzt nach Leipzig, werden dort keine Lorbeern pflücken! Baumstark hat jetzt seinen Ruf nach Greifswald definiv mit 700 rtl. Reichsthalern. Er wird in diesem Sommer hingehen, nachdem er geheirathet hat. Unterhandlungen mit Basel hat er abgebrochen. –

Da hast Du deutsche Geschichten, weil Du sie hören willst. Sonst ist viel vom Pabst und der katholischen Kirche in Preußen die Rede, von Hannover wenig, von Eisenbahnen am meisten.

Beseler ist etwas empfindlich über das, was Du ihm von Rabulisten und den Weibern angehängt hast. Er will mit dem Nächsten schreiben, und läßt Dir sagen, daß er sich von Rabulisterei frei glaube und zu den Weibern seine alte Stellung wieder eingenommen habe d. h. sich fern von diesen halte. – Er schlägt mir vor, mich und Dahlmann’s zu besuchen, das aber würde mich bis August hier zurückhalten, was nicht angeht.

Was hast Du viel Wesen’s mit den Subscriptionsgeldern! Daß Du’s nicht annimmst, geschieht aus anderem Gesichts- und Ehrenpunkt. Demosthenes hät’s angenommen. Doch ist’s auch gut. Aber warum läßt Du Deinen Theil, den Du nicht nimmst, nicht den Andern zu Gute kommen, die da nehmen und die’s nöthig haben. Gans sagt mir, Hirzel schreibe, Du habest Dein Theil für solche Hannoveraner, die mit Dir in denselben Fall kämen, deponiren lassen. Das hat vielleicht Dahlmann für Dich gethan? Damit ist man auch zufrieden. Es wird sich aber wohl schwerlich Einer finden, der’s zu verdienen Lust hätte!

Ich mache mich jetzt, so weit es in der Kürze gehen will mit der Italienischen Litteratur bekannt; Machiavelli’s Historie Fiorentine habe ich gelesen, ein tüchtiges Werk, doch ohne Gemüth und Begeisterung, wie die Alten schrieben. Was ist das gegen einen Herodot und Thucydides, was die Italiensche Geschichten, selbst die von Florenz nicht ausgenommen, gegen die von Athen oder Rom! Die Alten steigen nur mehr in meiner Achtung, je mehr ich sehe, wie ihnen nichts gleichkommt. Von der Italienischen Geschichte habe ich mir wirklich mehr erwartet. Ich glaube, die Deutsche ist besser. –

Herzlich gefreut hat mich, was Du von Victorie schreibst. Sie wird doch weibliche Gesellschaft und Begleitung oft vermissen, wenn ich sie schon für eine halbe Heroine halte, der man mit dem alten Cheruskerfürsten Hermann, für den jetzt in Deutschland (gute Deutsche!) gesammelt wird, zugleich ein Denkmal setzen sollte!

Ich werde an Gladbach einen Brief in die Welt schicken, um zu sehen, wo er steckt, und ob ich vielleicht wo mit ihm zusammentreffe.

Carrière grüßt bestens, er will jetzt hier promoviren. Rudloff will im Herbst sein erstes juristisches Examen machen, wozu ihm die Götter alles Glück schenken mögen und mein Bruder macht jetzt ein Regirungsexamen2, er grüßt herzlich.

Deine Victorie sei überaus schön gegrüßt, und Du behalte lieb
Deinen Hegel