Es ist mir keinen Augenblick eingefallen, an der Rechtlichkeit Deines Charakters zu zweifeln, wie Du Dich ausdrückst, und ich weiß nicht, wie Du das aus meinen Worten entnehmen konntest. Wenn Du es ernstlich darin gelesen hast, so müßtest Du Dich dadurch sehr gekränkt fühlen, und mir wäre das Mißverständniß sehr verdrießlich, welches in meinen Worten gelegen hätte, das, ohne meine Absicht, eine gewisse Bitterkeit gegen mich in Dir erregt hätte und das ich jetzt erst so spät entfernen könnte. Ich weiß nur, daß ich, wie Gervinus, meine schmerzliche Empfindung nicht zurückhalten konnte, über Dein nunmehr, wie ich glaubte, völlig aufgelöstes Verhältniß nicht nur zu Dorothea, sondern auch zu Dahlmann’s2. Da jetzt aber aus Deinem letzen Briefe hervorgeht, daß Du Dich mit ihnen vollkommen verständigt hast, zudem aber was Du über Dein Verhältniß zu Dorothea sagst, ganz unwidersprechlich ist, so bin ich darüber ganz beruhigt, und kann mich der Freude über Dein Glück völlig und ungestört überlassen. Mögst Du dennoch in meinem wenigen Widerstreben nichts Andres finden, als das Einfache und Natürliche – , daß man einen lang gehegten Gedanken nicht gleich wieder loswerden kann, zumal, wenn er angefangen hat, eingehend3 zu werden. Wäre das Zweite4 schöner, liebenswürdiger und ausführlicher durch das erste gewesen, so hätte dieses Bedauern nicht laut werden dürfen, so sehr hätte uns der liebenswürdige, ächt wirkliche Charakter Deiner Emilie, der sich so vortheilhaft gegen Dorotheas herausstellt, für sich genommen, wie er es nun hat. Meines Bruders Brief gibt dazu nur die Bestätigung. Eine kleine Satisfaction gibt es mir, daß ein so liebenswürdiges Geschöpf doch eine Berlinerin sein kann, was gewisse unangenehme Äußerungen, die ich oft hören mußte, (auch von Herzen), gänzlich aus dem Felde schlägt. Zudem hoffe ich, daß die Verwandschaft in Berlin Dich auch später noch oft dahin zurückführen wird, und daß sich dann ein eben persönlicher Verkehr unter uns machen wird, ja, daß vielleicht Berlin auch als der Ort der Zusammenkünfte, welche Gewinn projektirt, auszuersehen ist. – Bei einer Zusammenkunft auf nächsten Ostern5 in Deutschland könnte ich leider nicht zugegen sein, denn ich bin noch frei bis zum Herbst nächsten Jahres undich will mir dies schöne Land, Italien, zu Nutze machen so lange ich kann. – Wenn es der Raum dieses Briefes erlaubte, möchte ich Dir gern viel schreiben über Rom. Die großen Anschauungen, Erinnerungen und Anregungen, die es gewährt. Wie oft bedaure ich hier, daß die Natur mich nur zum Gelehrten und nicht zum Künstler bestimmt hat. Wenn jener auch einen Plan glücklich entwirft und er will nun zur Ausführung schreiten, so muß er sich durch einen unendlichen Bücherwust hindurcharbeiten, in welcher Arbeit ihm wenigstens die Frische der ersten Unternehmung verloren geht. Ich gedenke hier Etwas über die Art der Einwirkung der antiken Bildung, Litteratur und Kunst auf die Italiänische auszuarbeiten, wenn mir die wenige Zeit, welche mir hier zur Arbeit bleibt, über das weitläufige Material Herr zu werden erlaubt; nach Deutschland zurückgekehrt, würde ich dann die Zeit der Reformation aus demselben Gesichtspunkt für Deutschland behandeln. Gervinus arbeitet aus allen Kräften und unausgesetzt in der Deutschen Litteratur. Da Italien ihm nicht neu ist, wie mir, so nimmt es ihn weniger in Anspruch; mit seinem Befinden geht es im Ganzen recht gut. Laß bald etwas Gutes und Freundliches von Dir hören
NB. Wir wären sehr begierig, etwas von Dir über Berlin und das Preußische Wesen, wie es Dir dort vorgekommen ist, zu hören. Versäume ja nicht, in Deinem nächsten Brief uns Dein Urtheil darüber mitzutheilen. Hegel6