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Karl Hegel an Dr. Johannes Schulze, Florenz, 29. April 1839

Hochverehrter Herr Geheimer Rath!

Schon längst war es mein Wunsch und Vorsatz, an Sie zu schreiben und Ihnen über mein Thun und Treiben zu berichten, wohl wissend, welchen liebevollen, väterlichen Antheil Sie daran nehmen. Ich wollte es aber nicht eher thun, bis ich wirklich etwas gethan hatte oder bis ich wenigstens ein Stück Wegs zurückgelegt, das ich übersehen und worüber sich etwas sagen ließ. Da bin ich nun veranlaßt worden, einen Bericht von meinen Studien für den Herrn Minister aufzuschreiben, was ich denn damit zugleich auch für Sie gethan haben will; und wenn ich in demselben Brief dem Herrn Minister für sein gnädiges Wohlwollen zu danken allerdings große Ursache habe, so habe ich es noch viel mehr Ihnen für Ihre liebevolle Fürsorge und Theilnahme, die Sie auch wieder in diesem Falle, wie immer, gegen mich über mein Verdienst bewiesen haben. Möge Ihnen der Himmel das vergelten, ich aber werde es mit beständiger Liebe thun. –

Ich hoffe, Herr Geheimer Rath, Sie werden mit mir nicht unzufrieden sein über die Art, wie ich die 8 Monate in Italien bis jetzt zugebracht habe. Ich habe keine unnütze Zeit verloren, und an Fleiß es nicht fehlen lassen in einem Klima, welches mehr zur Trägheit verführt, als zur Thätigkeit auffordert. Ich habe aus den Zerstreuungen der Reise, des geselligen Umgangs, der gelegentlichen Festlichkeiten bei Kirchen- und Volksfesten neben den Kunststudien und so fort so viel Zeit für meine historischen Studien gearbeitet und benutzt als möglich war und meine Kräfte ertragen konnten. – Da ich nun über dies, was ich sonst erlebt und gesehen, erfahren habe an meine Mutter von Zeit zu Zeit ausführliche Briefe geschrieben1, werden Sie dann und wann davon gehört haben, so erlaube ich mir hier an Sie ein und anderes als Ergänzung zu dem, was ich dem Herrn Minister geschrieben, hinzuzufügen.

Hätte ich in Berlin ein Jahr Zeit gehabt, die Italiänische Geschichte und Kultur aus den Quellen zu studieren und wäre so mit dem Bekannten bekannt gewesen, so wäre ich freilich hier schneller zu eigenen Arbeiten gekommen, ich hätte mir schon vorher etwas für eine bestimmte Arbeit vorgenommen und hätte für diese an den verschiedenen Orten arbeiten können. Da ich aber diese Zeit der Vorbereitung nicht hatte, so mußte ich hier nachholen und bin eigentlich jetzt erst im Stande, eigenen Arbeiten nachzugehn, wie Sie aus dem Bericht erkennen werden. Zwar hätte ich für die Zeit um 1500, auf die ich es abgesehen, nichts beisteuern können sowie sich auch selbst ein Dr. Papencordt, Katholik, vom Österreichischen Gesandten protegirt, mit Abbates vertraut, den Bibliothekaren empfohlen und dem Pabst vorgestellt, denn auch der bekommt nichts aus dem päbstlichen Archiv, das er auch für seine Geschichte des Mittelalters der Stadt Rom weniger braucht. – Aber hier in Florenz, wo man höchst liberal Kataloge, Manuscripte mittheilt, könnte ich auf Jahre zu thun finden, wenn ich nicht meine Bestimmung in Deutschland zu suchen hätte.

Für historische Arbeiten ist hier allein in Italien der Ort, wie hier allein es noch Italiänische Gelehrte und Gelehrten-Vereine gibt, in denen etwas Ordentliches geleistet wird, wo man Kenntniß und Einsicht findet.

In Rom fand ich einen Kreis von jungen deutschen Gelehrten, welche theils archäologische, theils historische Studien betrieben. Das archäologische Institut ist für die jungen Archäologen sehr vortheilhaft, indem es ihnen zugleich die Hülfsmittel zu ihren Studien gibt, die Mittheilung untereinander erleichtert und ihnen ein Lokal, um ihre auch unbedeutenden Arbeiten loszuwerden, darbietet. Unter diesen jungen Männern halte ich den Dr. Schulz aus Dresden2, welcher Jahre lang Reisen und Studien in Unteritalien für die Kunstgeschichte, besonders Architektur in diesem Theil von Italien und Sizilien gemacht hat, und den Dr. Papencordt für die tüchtigsten. Auf den Dr. Schulz, welcher Preußischer Gesandtschaftsarzt heißt und mit unermüdlicher Ausdauer meteorologische Beobachtungen verfolgt, habe ich als einen im Umgang angenehmen und angeregten Mann gekannt und ihn in seiner casa Tarpeja auf der Höhe des Capitols oft besucht.

Ich darf nicht unerwähnt lassen, wie freundlich mich der Preußische Geschäftsträger Baron von Bunsen aufgenommen und öfter bei sich gesehen hat. – Sonst waren es Boisserées, der Herr Geheime Legations Rat Kestner, Künstler und wenige Fremde, die ich in und außer dem Hause, wo ich mit Gervinus zusammen wohnte, am öftersten sah.

Ein verschiedener, nicht weniger interessanter Umgang scheint sich hier in Florenz für mich zu machen. Ich brachte keine Empfehlung mit, so wenig als in Rom, denn Herr Reumont, an den ich von Dr. Parthei addressiert war, war eben nach Rom abgereist, als ich hier in Florenz ankam.

Einen tüchtigen Gelehrten aber, der mir ein Freund geworden ist, habe ich hier in Dr. Gaye aus Hollstein gefunden, der sich schon 10 Jahre lang in Italien aufhält, hier in Florenz allein 4, und die gründlichsten Forschungen in den Archiven für die Kunstgeschichte gemacht hat. Den Zutritt und die unentgeldliche Benutzung des hiesigen Archivo delle Riformagioni3 verdankt er der Vermittlung des Preußischen Gesandten Herrn Grafen von Schaffgotsch. Dieser, der ein sehr nobler und schöner Mann ist, hat auch mich aufs verbindlichste aufgenommen, zu sich eingeladen und seine Hülfe bei allen Vorkommenheiten mir zugesagt.

Einige Künstler fand ich hier ebenfalls vor, zudem kommen Römische Freunde nach und nach an und Dr. Gaye hat mich den Bibliothekaren vorgestellt und mich in eine Donnerstags-Gesellschaft von hiesigen und auswärtige Gelehrten bei Herrn Vieusseux eingeführt.

Mehr freilich als diese gelehrten Herren sind mir die Stadt selbst mit ihren Pallästen, Straßen, Plätzen voll historischer Erinnerungen, und ihre reichen Kunstschätze und die reizende Umgebung derselben im lieblichen Gewande des Frühlings, und der Umgang mit den herrlichen Werken des Rafaell, der mir durch seine Bilder von Leo X4 und Julius II5 diese Charactere zu lebendiger Anschauung gebracht hat, als viele Bücher vermocht haben. –

Meine liebe Mutter schreibt mir6, daß durch Ihre durch Bevorwortung7 und des Herrn Minister‘s Wohlwollen meine Bitte um Unterstützung gewährt werden würde. Der Aufwand meiner Reise, der größer geworden, als ich dachte (besonders war der Aufenthalt in Rom wegen des enormen Zudrangs von Fremden sehr theuer), läßt auch sie freilich sehr wünschen, da mir im Ganzen die Reise auf nicht weniger als 11 – 1200 Thaler kommen wird, ohne daß ich mir irgend eine unnütze Ausgabe vorzuwerfen hätte. – Ich habe den Brief an den Herrn Minister hier eingeschlossen mit der Bitte an Sie, denselben an ihn auf die Weise, die Sie für schicklich erachten, kommen zu lassen.8 Meine liebe Mutter wird das, was mir gewährt werden wird, an sich nehmen und es bewahren, bis ich es nöthig haben werde, da in diesem Augenblick mein großer Creditbrief noch zureicht.

Ich bitte Sie noch mich gelegentlich bei Herrn Direktor Meineke zu empfehlen und ihn an sein Versprechen zu erinnern, mich in diesem Herbst bei seinem Gymnasium aufnehmen zu wollen.9 Geschichtliche Lectionen, wenn sie zu haben sind, wären mir die liebsten.

Ferner bitte ich, mich Ihrer Frau Gemalin bestens zu empfehlen und Ludwig und Max vor mir zu grüßen.

Ich kann nicht schließen, verehrtester Herr Geheimer Rath, ohne Ihnen meinen tiefgefühlten Dank für Alles, was Sie bereits für mich gethan und noch thun werden, zu wiederholen und Sie meiner innigsten Verehrung und kindlichen Liebe zu versichern.

In Hochachtung und Liebe
Ihnen
durchaus ergeben,
Carl Hegel.