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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Heidenheim, 16. Juni 1839

Lieber Erich.

Ich schreibe Dir nur um deßwillen hauptsächlich sogleich, weil ein Brief von Beseler, schon lange in meinen Händen, auf Deinen an mich wartet, um Deinen Auffenthalt zu erfahren. Zwar höre ich neulich durch den Weimarer Müller, mit dem wir zufällig und gegen alles Erwartete noch einmal in München zusammentrafen, nachdem er in Venedig wieder 14 Tage verzögert und den Urlaub glücklich überschritten hatte, daß Du in den Florentinischen Bibliotheken und Archiven schabtest und ich konnte also wohl muthmaßen, daß Du länger als anfangs Dein Wille war, in Florenz bleiben würdest. Welcher Natur Deine Arbeit war, erfahre ich nun erst durch Deinen Brief.1 Es ist ein ganz glücklicher Fund und Wurf den Du gethan hast, und ich wünschte Dir daß Du zu runden Resultaten kommst. Diese werden Dich, die Neuheit der Gabe wird die Welt befriedrigen und was willst Du weiter. Dabei führt Dich die Sache in ein materielles Detail und möchtest Du nur für das, was Du daraus zu machen denkst, nicht zu sehr einige Festhaltung der Details verschwächen, oder was dasselbe ist, mehr eine historische als philosophische Darstellung ins Auge fassen. Dieß scheint auch Deiner Äußerung nach Deine wohlgerathene Absicht zu sein. Nichts freut mich mehr dabei, als Daß Dir es bei der ganzen Geschichte ähnlich geht wie mir mit meinem Machiavelli, und daß es so verwandte Gegenstände sind. Mit hat jene Arbeit erst meine Laufbahn geöffnet und lieb gemacht, möchte bei Dir etwas ähnliches werden. Du eröffnest übrigens mit diesen Entdeckungen etwas was bisher für alle italienische Städte- und Staatengeschichte ganz gefehlt hat: Formell wie das ganze Volk ist hat man sich auch mit dem speciellen Gehalte seiner Verfassung und Geschichte bisher wie abgegeben. Ist Dir nicht der Einfall gekommen, zu den analogen Studien, die Du selbst ganz richtig für nöthig hältst, vorzugsweise Deine Vaterstadt zu machen? So kämst Du zugleich in Deutsches; und ich setze die Personenanalogie fort, wenn ich sage daß Dich dann ein paralleles Interesse für 2 italienische und deutsche Städte geführt wie mich eines für 2 Personen, Machivelli und Hutten. Du scheinst zu meinen, wir seien in Nürnberg gewesen, allein es kam nicht dazu. Dagegen München widmete ich 8 Tage. Die Bauten finde ich zum Theil schön aber nicht selbst- ständig, die alten Bilder meist mittelmäßig und uninteressant, die neuen fast alle abominabel, und darunter die von Cornelius in der Glyptothek und in der Ludwigskirche obenan. Schöne Arabesken können sie machen aber keine in Gemälde; es ist charakteristisch genug, daß man in der Pinakothek in einer langen schön beleuchteten Halle die breiten Wände violet angestrichen und leer gelassen, dagegen die Decken mit Schnörkeln und kleinen Sächelchen voll gemacht hat, die keine Kritik ertragen, und keine zulassen, weil man nicht lange aufwärts sehen kann ohne Kopfweh zu kriegen.

Kaulbachs 2 Compositorien hab ich nun gesehen. Er ist der Einzige, und all das übrige kommt gar nicht in Betracht. Er schreitet aus, ins Excentrische und Leidenschaftliche, mir dünkt aber daß nach der bisherigen Philisterei diese Wendung nothwendig und gut ist. Diese Richtung führt doch wenigstens zum Großen und Bedeutenden, während die bisherige sich in Nachahmung oder in Spielerei hielt. Sonderbar genug ist, daß man in München allgemein in großer Andacht vor diesen Sachen zu stehen scheint. Bei Kaulbach habe ich angeklopft und ich glaube daß er den rechten Maastab in sich hat. Ich kann sagen daß ich die 2 Sachen von ihm durchaus einzig finde; auch selbst bei den älteren Italienern weiß ich nichts der Art. Daß er die Hunnenschlacht aus Furcht vor der Färbung oder auch Zweifel wie sie zu malen sei, nicht gemalt hat, scheint freilich nicht sehr für sein Malgeschick zu sprechen, denn mir schwebte das Stück auf der Stelle in Farbe vor und es scheint mir grade ganz einzig dazu gemacht zu sein. Meine Hochachtung vor den Venetianern ist nun gestiegen. Ich habe einige Gedanken über Italien einstweilen aufgeschrieben und meinen Grimm über das heutige auch; ob ich es jetzt drucken lasse, weiß ich nicht, mit meinem Namen gewiß nicht, da es mich nicht befriedigt; vielleicht spare ich es besser bis in die Vita auf, die indeß wenn sie überhaupt gemacht wird, spät fallen wird, weil ich eifriger an ein Anderes denke, das ich nach der Literatur-Geschichte aufnehmen will. Übrigens wird es nöthig sein, daß mir der Himmel Jemanden in die Nähe schickt oder die Verhältnisse um mich her werden läßt, die mir etwas Muth machen zu weiterer Schriftstellerei. Manchmal ist mir, als ob ich nach der Literatur-Geschichte lang ruhen und feiern würde, manchmal, als ob ich aus Misanthropie oder richtiger aus Haß an dem Handwerksbetrieb der Schreiberei in Deutschland dies ganz aufgeben möchte. Vielleicht stimmt mich auch bloß sie Wahl eines Wohnorts so trüb, die mich nun drängt, und die mir gar zu sauer wird. Vielleicht auch der Blick auf die deutschen Zustände, die mir immer elender erscheinen. Und immer rettungsloser! selbst aus den besten Ursachen rettungslos. In Tyrol und Salzburg habe ich einen mir neuen Schlag von Menschen kennen gelernt: gesund, fromm, glücklich, heiter, aber eines Aufschwunges, einer politischen Thätigkeit kaum fähig, gar nicht bedürftig. Man fragt sich, ob es nicht rasend wäre, diesem Geschlechte Politik, Verfassung, Weisheit, Strebsamkeit mitzutheilen: selbst im besten Begriffe ist ja hiermit immer mehr Unglück verbunden als mit dem Gegentheil: ein solches Unglück, mit dem sich der einzelne ausgebildete Mensch wohl vertragen soll, aber ganze Körperschaften? Soll man sie anders glücklich machen als sie sein wollen? und sind wir Deutsche nicht alle in gewissem Grade Östreicher und Tyroler?

Ob mein Bad in Gastein mir anschlagen wird, muß ich noch erwarten. Man verspricht viel davon. Unmittelbar genützt hat es mir wenig. Übrigens sollen die Hauptwirkungen immer erst nachkommen; ich will sie also geduldig kommen lassen. Einige Wochen werde ich nun hier auf dem Lande ausruhen; später in der Gegend von Darmstadt mich umtreiben, bis ich wo festen Fuß habe. Könnte ich jetzt wählen, so zöge ich doch wieder nach Göttingen. So widerspricht man sich selbst! so schwer ists der Gegenwart nicht unrecht zu thun! Sonderbar genug ists, daß es mir in Heidelberg gefiel so lang ich da war, und daß es mich anwiderte sobald ich weg war; in Göttingen beides umgekehrt. Die letzten Eindrücke sind doch so mächtig über uns!

Von Beseler hab ich nichts zuzusetzen. Er schreibt wenig und wie er pflegt, Allgemeines von sich; immer gutes Muths, mit seiner Frau, deren Bild sich uns aus ihren Briefen stets deutlicher macht, sehr glücklich. Ich denke noch immer daß wir uns Alle nächstes Jahr sehen sollen falls nicht die Literatur-Geschichte zu groß und breit wird. – Von Victorie tausend herzliche Grüße; daß ich vorigesmal nichts von ihr schrieb, bedeutet so viel, daß ich es vergessen haben muß. – Boissereè’s haben wir nicht gesehen; sie waren nicht in München, nach Tegernsee wollten wir nicht und konnten auch nicht. Den Bruder haben wir aber kennen gelernt. Sonst besuchte ich keine Seele in München und werde es wohl überall so machen. Schreibe uns bald wieder; ich denke am besten nach Darmstadt mit der bloßen Adresse.

Von ganzem Herzen
Dein
Gervin.