XML PDF

Karl Hegel an Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, Florenz, 18. Juli 1839

Du kannst Dir denken, welchen Schrecken mir Dein letzter Brief1 mit dem Antrag der Religionsphilosophie2 einjagte. Was liegt mir jetzt auch ferner, als die Religionsphilosophie! Warum? Das ist wohl nicht nöthig weiter auszuführen. Habe ich nicht meine philosophischen Studien seit 4 Jahren und länger niedergelegt3, und seitdem nicht wieder aufgenommen, habe ich nicht mit voller Seele die Classiker und die Geschichte studiert, und nun, bin ich nicht ein Jahr in Italien gewesen, wo alles einen zum Bild, zur Anschauung führt und nichts zum philosophischen Gedanken? Woher denn überhaupt der Zweifel gegen Rosenkranz mit einem Mal, welcher mir so ungerecht zu sein scheint, als die Meinung, daß ich es besser machen würde zu günstig. Die Arbeit würde für mich nur ein einfaches Redaktionsgeschäft sein, was sie vielleicht für Rosenkranz nicht ist; denn er ist Philosoph vom Fach, durchaus vertraut mit dem Gegenstand, den er seit Jahren selbst vorträgt. Er ist schon in denselben so eingelebt, wie ich es schwerlich durch meine Arbeit selbst am Ende sein würde. Mit leichter Mühe würde er machen, was ich kaum mit vieler. Und vollends wenn dazu meine jetzige Ungeduld hinzukäme! Wenn ich die Arbeit jetzt annehme, so muß ich sie auch jetzt anfangen; denn schon längst ist davon die Rede, daß die Auflage vergriffen ist. – Hothos Großmut bei seinem Anerbieten ist von der Art, daß, wenn ich nicht besser scheinen will, als ich bin, ich gestehen muß, daß ich derselben nicht fähig wäre; sie anzunehmen würde schwer sein; etwas weniger, wenn er sich dazu verstehen wollte, unter denselben Bedingungen wie Rosenkranz hinsichtlich des Honorars zu arbeiten – Aber warum bleiben wir nicht bei Rosenkranz stehen? ist denn nicht mit ihm schon darüber Alles ausgemacht gewesen, hat Marheineke nicht selbst mit ihm davon gesprochen. Warum wäre denn Marheineke angenehmer als Rosenkranz? etwa darum, weil ich weniger selbständig wäre, weil das Publikum mich als Handlanger betrachten sollte, weil ich keinen literarischen Ruf habe. Das Letztere wird dahin stehen, ob ich mir ihn verschaffe; ich hoffe es; die erste Vorstellung, wenn sie Marheineke vor der Arbeit noch von mir haben könnte, so sollte sie ihm und dem Publikum nach derselben wohl benommen werden. Du legst mir die Arbeit als eine Pflicht auf; aber nimm Dich in Acht, daß Du mir nicht zu viel auflegst. Mir scheint die Philosophie der Geschichte von Gans4 einer viel größeren Umarbeitung zu bedürfen, denn in der Religionsphilosophie liegt wenigstens eine Masse Material gedruckt vor, das zum Theil neu zu ordnen ist, aus der Philosophie der Geschichte dagegen, welche von Gans zu einem mehr geschlossenen Buch gemacht ist, ist eine ganz neue Arbeit zu machen. Und wer wird auch diese übernehmen? So bleibt zuletzt alles auf mir liegen.5

Das sind meine ersten Gedanken über den, von Dir zu lebhaft ergriffenen Plan. Meine Zweiten sind diese: Will Marheineke die neue Bearbeitung der Religionsphilosophie nicht selbst übernehmen, so hat er unbestreitbar das Recht, den zu bestimmen, welchem er dies übergeben will. Hat er einen hartnäckigen Widerwillen gegen Rosenkranz (wann nichts Neues vorgefallen ist, so könnte es nur darum sein, weil er sich etwas zu vergeben glaubte, wenn er einen Mann von Ruf, der nicht sein untergeordnetes Werkzeug scheinen könnte – die Arbeit überließe) und will die Arbeit Bauer übergeben; so wird allerdings die Pflicht gegen meinen Vater so viel auf mich vermögen, mich vorschieben zu lassen, um das abzuwenden. Dennoch würde ich, weil ich mich weniger brauchbar zu dieser Arbeit hielte, als Rosenkranz, Marheineke dazu bewegen suchen, sie ihm zu lassen. Wenn er aber nicht will, und Hotho bei seinem großmüthigen Anerbieten bleibt, so würde ich das, aus derselben Pflicht gegen meinen Vater annehmen um des Nutzens willen der daraus für das Werk wird; Hotho aber müßte das ganze Honorar für den Theil der Arbeit, den er macht, annehmen, und als der Verfasser desselben Theils genannt werden, da meine Absicht nicht ist, mich mit fremden Federn zu schmücken. Würde aber Marheineke dadurch seine fragliche (siehe oben) Absicht vereitelt sehen; so ist ihm dabei umso weniger zu helfen, da sie weder edel ist, noch auch selbst bei meiner alleinigen Theilnahme, wie gesagt, erreicht werden dürfte. – Ich bitte Dich schließlich, liebe Mutter, dergleichen weniger lebhaft zu ergreifen und namentlich diesen Operationsplan geheim zu halten. Denn sprichst Du dann bei diesem und jenem, so bin ich freilich gewissermaßen gebunden, ich will aber erst selbst sehen, warum, da es früher so gewiß war, daß Rosenkranz diese Arbeit machen würde, es mit einemal so ungewiß ist. –