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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Florenz, 19. Juli 1839

Liebster Gervin!

Ich haben Deinen letzten Brief mit Beselers aus Heidenheim erhalten. Schade, daß Du nicht über Nürnberg gegangen bist; über München möchten wir im Ganzen Einer Meinung sein, wenn ich auch weniger streng darüber urtheilte. Auch mich haben Cornelius’ Sachen kalt gelassen, und Kaulbach’s Hunnenschlacht hingerissen. Des muß man wohl sehr bald gewahr werden, daß das ganze Kunsttreiben dort künstlich gemacht ist und mehr einer Treibhauspflanze ähnlich sieht, als einem kräftigen Waldgewächs. Wer weiß, ob sie sich in freier Luft und, der Kälte der Nächte ausgesetzt, halten würde, oder mit andern Worten, ob sie aus diesem partikularen Boden herausgenommen und auf einen allgemeinen versetzt, Volks- und Zeitinteressen in sich aufzunehmen und zu bewegen im Stande wäre! Da aber diese sich nirgends mächtig aussprechen, woher sollte die Kunst die Kraft nehmen? So daß ihr kein Vorwurf bis jetzt zu machen ist.

Ich habe der Florentinischen Kunst in dieser letzten Zeit meines Aufenthalts hier ein neues Interesse abgewonnen, nämlich wie historisches. Im Kloster von Santa Maria Novella ist die sogenannte capella degli Spagnoli, die Du wohl auch gesehen hast. Die Freskomalereien dort sind aus der 1ten Hälfte des 14 Jahrhunderts und ich will sie dem Bedeutendsten, was in Italien gemacht worden ist, an die Seite stellen, – den Fresken im Campo Santo und den Stanzen im Vatikan. Auf der Hauptwand ist die Kreuzlegung und Passion Christi; auf der Wand rechts, der Pabst und der Kaiser, als Oberhäupter von Kirche und Staat, mit einer Versammlung, welche diese Gesammtheiten vorstellen; auf der Wand links die Wissenschaften, wunderschöne weibliche Gestalten, unter welchen die Männer sitzen, welche in ihnen groß gewesen sind. – Diese Compositionen stelle ich an Größe des Geistes, der darin lebt, dem Dante gleich. Man muß in der That vor dem Mittelalter Respekt haben, welches bei großen Kräften und Leidenschaften der Individuen, große Gedanken von Kirche und Staat usf. bewegten, welche man durch die Kunst zur Darstellung zu bringen suchte. Dies war zumeist im 14ten Jahrhundert der Fall. Ähnliches aus der Zeit habe ich in Siena im palazzo publico gesehen. Es wird der Gemeingeist, der im Jahrhundert herrschte, der die Republiken damals groß machte, und die Kirche, dargestellt. – Im 15ten Jahrhundert läßt man die großen Ideen fallen und geht auf die Wirklichkeit zurück, man wird individuell und portraitartig in der Kunst, während dort eine gewisse Gleichförmigkeit der Individuen durchgeht, da ihre Erscheinung ja nur zu einer Gesammtvorstellung, von Volk, Staat usf. dienen soll. Die Schule des Giotto fing an bei diesem Mangel an Charakteristischem gewissen allgemeinen Formen der Schönheit nachzugehen. Diese gab man jetzt im 15ten Jahrhundert auf, so Masaccio, Cosimo Roselli, Fra Filippo usf. Man wollte vor Allem auf Natur und Wirklichkeit zurück, man wollte Individuen malen und gab die Schönheit auf. Das Bekanntwerden mit der antiken Kunst hatte viel dazu beigetragen, aber das classische Ideal hob dann auch die moderne Kunst auf diesem Boden der Wirklichkeit zum Ideal der Schönheit empor. Durch das Anschließen an die Natur war die Kunst frei geworden, hatte sich der religiösen Fesseln entschlagen. Diese Freiheit machte ihr die Erhebung zur Schönheit möglich.

Die Übergänge sind immer misslich und schwierig, aber um so interessanter, sie bringen einen Zweispalt und eine Unangemessenheit bei denen hervor, die das Eine und Andre nicht zu beweisen und zu durchdringen wissen. Es war mir interessant dies bei den Florentinischen Meistern, Sandro Botticelli und Piero di Cosimo zu finden. Sie gehen auf’s Classische und Antike in Gegenständen und Formen aus, können aber den christlichen Styl so wenig los werden, daß sie darüber barock, und phantastisch werden. Als historischer Schriftsteller steht Cavalcanti auf derselben Stufe, der seine Feldherren oft die pathetischsten Reden im Styl des Seneca vortragen läßt, und dann wieder in romantischen Schlachtenbeschreibungen wie man sie nur beim Ariost findet, verfällt. –

Es war mir sehr schmeichelhaft, daß Du meine Arbeit ihres Gegenstandes nach mit Deinem Machiavelli vergleichst, noch mehr wird es mir sein, wenn Du es wirst mit der Ausführung thun können. Mein Aufenthalt hier hat sich deßhalb so lang in die heiße Jahreszeit hinein verschoben, weil ich erst gestern das Material, so weit es absolut nöthig war, dasselbe hier durchzugehen, (in Büchern und Manuscripten, die ich mir weder anschaffen, noch draußen finden könnte) – erst gestern abgeschlossen habe. Ein Theil, der für das Ende des 15ten und Anfang des 16ten Jahrhunderts bleibt auch für Berlin aufgehoben. Was ich hier gethan habe, ist, daß ich alle Statutenrevisionen der Republik und eine Masse Provisionen durchgegangen bin, dann die Statutenrevisionen der Zünfte, und der parte Guelfa, die letzten waren ein glücklicher Fund, den ich nach langem Suchen endlich aufgefunden habe. Dabei habe ich sämmtliche Historien und Chroniken von Florenz aus dem 14ten und 15ten Jahrhundert durchgemacht und excerpirt. Ich habe also vor, die Entwicklung der Verfassung der Republik in ihren Hauptstadien zu verstehen und darzustellen – die Verfassung des Staats und der Zünfte geht dabei parallell. Wenn mir dazu die Statuten das rein Formelle geben, so nehme ich aus den Historien so viel, um zu zeigen, wie das republikanische Staatsleben sich in diesen Formen bewegte. Von glücklichem Leben, wie man das heut zu Tage versteht, ist darin freilich wenig zu finden, aber ein mächtiges und ernsthaftes Factionenspiel und Staatsleben, für welches ich großes Interesse habe, Die Vertreibung des Duca d’Atene und dann des Adels, und der Kampf mit der parte Guelfa1 und die darausfolgende Revolution der ciompi sind die Hauptpunkte, um welche ich meine Arbeit drehen werde. Wie ich das mit der rein formellen Beschreibung aus den Statuten vereinigen werde, weiß ich noch nicht. Singe du alle wegen „Gott schenke der Weisheit Geist dem neuen Paar“2. Ich bin sehr ungeduldig über diese Arbeit zu kommen, und da zeigt mir meine Mutter aus Berlin mit großer Freude an, daß mir eine neue Bearbeitung von meines Vaters Religionsphilosophie übertragen werden soll. Welcher Schrecken für mich! man erwartet große Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt dabei von mir. Aber wo nehme ich jetzt das Interesse dazu her, und wo die Geduld! Ich habe daher den Auftrag in so weit abgelehnt, als nur die dringende Schrift mich dazu bringen wird. –

Möchtest Du indessen einen Wohnort gefunden haben, mit dem Du und Deine liebe Frau zufrieden seid – daß die Wahl so schwer ist, beweist, daß man freier im Handeln ist, wo man, nicht zu wählen hat. Wie steht’s mit Deiner Gesundheit? Hat Gastein gute Wirkungen hinterlassen? wie gefällt es Victorie in dem lieben Deutschland? Nicht wenig interessirt mich auch zu wissen, was Du für eine Arbeit nach der Litterargeschichte auf dem Korn hast. Du deutest an, das Andeuten ist Dir bei Andern verhaßt, darum laß es gegen mich. Heute Abend reise ich von hier ab, über Mantua, Verona nach Venedig, wo ich meinen Bruder zu finden gedenke, dann mit ihm über Triest nach Wien, wo ich in der 2ten Hälfte des August sein werde. Ich überlasse es Dir, ob Du nach Österreich schreiben magst. Mitte September bin ich in Berlin. Meinen herzlichsten Gruß an Victorie. An Beseler werde ich später schreiben, grüße ihn einstweilen von mir. Meine liebsten Wünsche sind für Euch und für das Vaterland. Dein Hegel