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Johann Wilhelm Gaye an Karl Hegel, Florenz, 10. September 1839

Liebster Freund.

Ich hoffe daß diese Zeilen ungefähr zugleich mit Ihnen nach Berlin kommen werden1; die Freude über das Wiedersehen der Ihrigen wird Sie auch wieder zu uns an den freundlichen Arno versetzen. Zunächst herzlichen Dank für Ihre beiden Briefe2, namentlich für den zweiten aus Venedig; den ersten konnte ich nur für ein freilich auch willkommenes Lebenszeichen nehmen. Ihre Grüße habe ich Crawford noch an demselben Abend ausgerichtet; sie waren wirklich froh von Ihnen zu hören.3 Sie stehen bei dieser Familie, warum sollte ich Ihnen dies nicht sagen? im schönsten Andenken. Madame Crawford meinte Sie sollten, da Venedig Ihnen so gefalle, nun die Geschichte Venedigs schreiben. Als ich ihr erwiderte, daß dies keine Arbeit von acht Tagen sei, meinte sie, daß sei wahr – aber Sie sollten sie schreiben. Sie und ich sind wieder ganz intim geworden; ich bin vor einiger Zeit, während der größten Hitze, immer einen Abend um den andern hingegangen. Man ist am Ende ihres Wohlwollens gewiß, und daran hat man sich hier zunächst zu halten. Auf jeden Fall fehlten Sie aber. Paphencordt kann in ihrer Gegenwart zu gar keinem Schwunge kommen. Er wird ganz verdutzt, sagt weder ja noch nein. Jetzt muß ich die guten Seiten dieser Frau gegen die ernstern hervorheben; das ist auch eigentlich schicklicher. Man trifft den Professor 4 sonst jeden Abend da, wodurch schon sehr viel gewonnen ist.

Was Sie mir über die Ankunft von Stieglitz schreiben, hat mich nicht wenig erschreckt. Ich fürchte er wird mir so unverständlich sein, und ich ihm so wenig werden.

Sie werden jetzt froh sein, mit Venedig von Italien geschieden zu sein. Daß alles Ihnen dort einzig erscheinen würde, dachte ich mir; auch die Kunst mußte Ihnen dort besonders zusagen, vielleicht weil Sie unbewußt (werden Sie das hingehen laßen?) mehr das geschichtliche als künstlerische Element in ihr suchen und finden. Offenbar hat dies Gervinus angezogen; ich denke nach einer Notiz in der Allgemeinen Zeitung, daß die Briefe in den litterarischen Blättern über Venedig usw. von ihm sind.5

Ich habe seit Ihrer Abwesenheit ganz besondere Studien für Sie angestellt. Sie erinnern sich der schönen Jungfrau mit dem großen Strohhut, die nach Ann Marie schwarzgekleidet am Arno erschien. Oh bene, amico mio, ich weiß Namen, casate und fede di battesima. Es ist eine Miss Townley6, deren Eltern hier bei St. Gaetano wohnen, und einen Laden englischer Waren haben. Sie ist die Schwester des 7 Jünglings mit dem breitgekrempten Hut, der jeden Abend im Caffe Helvetico8 erscheint, den Sie vielleicht besser durch meine Erzählung von einem ungeheuren , wodurch er vor einigen Jahren mal einen Italiener zu . Ich weiß nicht ob Ihre Vorstellungen von diesem Townley durch diese etwas prosaische Umgebung nicht etwas herabgestimmt werden; sie ist aber so schön wie früher, nur kommt mir vor, daß sie in ihrer ganzen Gehabung etwas italienisirt ist. Was ich weiter über sie erfahre, soll Ihnen treulich berichtet werden.

Ich habe nach alter Weise – aber unsere . Also Paphencordt nur – sind hier. Wir aßen um 2 Uhr zusammen und besuchen noch die . Von Ihnen ist oft die Rede. Ich habe Paphencordt und auch andern das nun ein für alle Mal rund heraus erklärt, daß Sie die Geschichte der florentinischen Verfassung schreiben würden, daß Sie bald, und daß Sie sie am besten (tale quale) schreiben würden. Dies wäre durch Ihre Beschäftigung abgethan. Dies habe gewirkt. Paphencordt habe alles, was er in dieser Beziehung im Sinn haben mochte, aufgegeben; Andere denken noch weniger daran. Also, liebster Freund, das Feld ist zunächst frei; jetzt nicht gezögert, sondern so bald als möglich, wohl gerührt, wie Sie sind, in die Armee. Um des Himmels Willen, wenn nicht ganz besondere Sachen dazwischen kommen, schieben Sie es nicht auf die lange Bank. Ich bin überzeugt Sie werden auch nicht. Ich erzähle allen Italienern, 9 Vieusseux10 und sonst, der Einzige, welcher von florentinischer Verfassung was versteht, sei ein Tedeschaggio, il dottor Hegel. Sie stellen sich die lieben Italiener dabei vor. Paphencordt arbeitet an seiner römischen Geschichte11, aber mit gehöriger Muße, wie mir scheint. Er will auch einiges im Archiv der Riformagioni12 nachsehen. Wir haben uns beide über ihn in keiner Beziehung getäuscht; geistig ist er durchaus so, wie er uns erschienen ist; übrigens ist er radical gutmüthig, kann er gegen seine Ueberzeugung etwas zu schreiben haben, so muß es aus bloßer Nachgiebigkeit und Gefälligkeit gewesen sein. Eigentliche Böswilligkeit war nicht dabei. Körperlich ist er nichts weniger als stark und fest. – Folgt Dr. Jahn – ganz wie Sie sagten, vielleicht noch etwas besser. So philologisch schreiisch, daß die Italiener immer glauben wir würden uns gleich in die Haare fahren, und grade dort so laut, wo es sich um gar nichts handelt. Eigentlich ist dies aber nur ein Mangel an Welt, der freilich aus einer tiefern Quelle kommen mag; doch ist er tüchtig, auch offen, mithin immer liebenswürdig. Er hält auf Sie sehr viel, und freut sich sehr darauf Sie in Berlin wiederzusehen.13 Beide grüßen herzlichst. – Reumont schreibt Tabellen für florentinische Geschichte14 ( Segretaris della Legazione), die recht hübsch werden; außerdem werden seine Briefe gedruckt.15 Auch er empfehlt sich. – Schulz packt ein, liest aber dabei jedes Buch, ehe er es in den Koffer legt, noch wieder durch; somit ist der Inhalt gerettet, wenn er selbst auch erst im Frühjahr zu uns kommt. Ich rechne gar nicht mehr auf ihn.

Endlich Dr. Gaye (dabei setze ich ab). Der Druck geht nun sehr rasch, 20 Bogen sind fertig; Mitte October etwa erscheint der erste Band.16 Gut gedruckt und correct wird er wenigstens, ich thue mein Möglichstes. Es erscheinen dazu zwei Appendices, der eine mit den Briefen des Cola Rienzi (Paphencordt ist damit einverstanden) und ein zweiter, von dem ich Ihnen noch nichts weiter schreiben will. Er wird Ihnen aber hoffentlich nicht mißfallen. Molini hat schon mehrere Bestellungen und deshalb großen Buchhändlermuth; zum ersten Band kommen gegen 40–45 Facsimiles. – Der Michelangelo ist längst gedruckt17; ich werde Jahn ein Exemplar für Sie mitgeben. Wenn Sie die lesen sollten, so corrigiren Sie den dummen Druckfehler ; es ist so stupid. Reumont hatte solche Eile, daß er nicht mal Corrigenda nachtragen konnte. –

Mittermaier, Schloßer (ging nach Rom), Raumer (hat die vaticanischen Archive nicht benutzt?)18 waren hier. Schlosser habe ich nicht gesehen; er hatte solche Eile, daß er nicht mal die Halle wie die Uffizi sehen konnte. Poveretto!19 Brandes ist jetzt da; Ott. Müller wird erwartet. –

Vico di Pivallo und Virginia grüßen; mein Logis ist mir für den Winter zu kalt, ich ziehe vielleicht auf Ihre Stube. Schreiben Sie wieder, senden Sie gefälligst Posterestante20.

der Ihrige

NB.21 Rötschers Buch über das Theater22, das ich lese, würde auch Ihrem Vater gefallen haben. Ist eine der besten Arbeiten d. h. auch gut geschrieben. –