Meinen letzten Brief2 schrieb ich im Unmuth über den unfreiwillig langen Aufenthalt in Linz; ohne eigentlich hergestellt zu sein vom eigentlichen Uebel reiste ich ab, da der Arzt alle seine Mittel erschöpft, und mir mit Verlegenheit gestand, daß er nicht weiter zu helfen wisse: vielleicht würde Luftveränderung gut thun und es möge irgend etwas, etwa das Wasser in Linz ein Hinderniß der Herstellung sein. Diese Hoffnung ist glücklicherweise in Erfüllung gegangen, denn allmählich hat der Durchfall und die Leibschmerzen seit meiner Abreise von Linz nachgelassen und ich befinde mich gegenwärtig wieder ganz wohl. –
Am Sonnabend den 14ten September fuhr ich um 5½ Uhr bei trübem Himmel in trüber Stimmung auf dem bayerischen Dampfboot „Königin Therese“ von Linz ab. Die Gesellschaft war klein: ein bayerischer Militairkassenbeamter aus München, der sich sehr für das Theater interessiert und viele Schauspielerinnen und Sängerinnen kennt, auf der Rückkehr von Wien begriffen, ein unterrichteter und einfacher Mann; ein Handlungscommis aus Wien, lebenslustig wie alle Wiener, dessen Gesichtskreis aber als solcher nicht über Strauß und Lanner hinausgeht; ein junger Litterat aus Wien, Sohn des banquerotten Nürnberger Kaufmanns Kramer, welcher sich jetzt mit bedeutendem Vermögen in Wien etabliert hat; der Sohn sympathisirt mit dem jungen Deutschland und wird, wenn er als Litterat auftreten sollte, in seiner Sphäre ebenso ein Banquerotierer3 werden, als der Vater in der seinigen; endlich war noch in der Kajüte ein Jüngling, den wir am ersten Tag fast ganz übersahen und der uns erst später merkwürdig wurde: er kam gar nicht auf das Verdeck, sondern las oder schlief, unbekümmert um die Gegend, in der Kajüte; nur bei Licht kam er zum Vorschein und fiel auf durch sein stupides Aussehen, indem er mit aufgesperrten Maul und stierenden Augen unserem Gespräch zuhörte; auch kontrastirte sein großer Kopf mit ungeschlachten Zügen – mir fiel der Karl von der Köchin Anna ein – wegen seiner dünnen schwachen kleinen Glieder: seine Kleidung war übrigens elegant und sein lang herabhängendes Haupthaar hätte einen Lehrling der Düsseldorfer Malerschule vermuthen lassen können. So genau sah ich mir ihn jedoch erst am Abend an, da wir in Passau ankamen und unser Gepäck auf dem Dampfboot von den bayerischen Zollbeamten visitirt wurde; wir erfuhren nemlich bei dieser Gelegenheit, daß jener Jüngling Walther von Göthe heiße und der Enkel des großen Dichters sey. Da im Gasthof „Zum wilden Mann“ nur einige Zimmer mit 2 Betten leer waren, so associirte ich mich mit Herrn von Göthe und übernachtete mit ihm in einem Zimmer, wo also Göthe und Hegel zusammenschliefen.
Auf dem Dampfboot, wo man wenig Beschäftigung hat, wird einem die mitreisende Gesellschaft immer sehr wichtig und man lernt sich genau kennen; – die Ufer der Donau von Linz bis Passau sind recht schön, nicht aber so bedeutend und abwechselnd als die von Koblenz bis Bingen, mit denen sie aber die Aehnlichkeit haben, daß das Thal eng, sich in Krümmungen windet, und in seiner ganzen Breite von dem mächtigen Strom eingenommen wird. Doch ist das Wasser der Donau meistens gelb, und der Strom nicht so gewaltig und unpasant4 als der Rhein. Die Berge dieses Thals sind von ziemlicher Höhe, nicht schroff und ununterbrochen mit Laub- und Tannenwaldungen bedeckt. Dadurch ist der Karakter heiterer, – auch sieht man auf den Bergen weniger Ruinen, als ganz erhaltene und bewohnte Schlösser, öfters die Sitze von Pfleggerichten. – Bei Sonnenuntergang kamen wir in Passau an; es war ein prächtiger Anblick: die Stadt liegt auf der Landspitze zwischen der Donau und dem Inn, welche sich dort vereinigen, und vor ihr zwischen den sich weiter ausdehnenden Bergen eine breite Wasserfläche bilden; auf dem jenseitigen Ufer des Inn, der sich mit seinem wilden schneeigen Wasser in die ruhigere dunkel gefärbte Donau ergießt, liegt eine Kirche auf der Höhe des Berges; die Felsen auf dem diesseitigen Ufer der Donau sind mit den Festungswerken der Citadelle gekrönt. – In Passau landend betrat ich wieder das alte Bayernland; die Stadt selbst ist öd, schlecht gebaut, ohne Merkwürdigkeiten; dort gab ich den in Linz geschriebenen Brief5 auf die Post. – Am andren Morgen ging es mit dem Dampfboot weiter; die Gesellschaft bestand jetzt nur aus dem Wiener Kaufmann, dem Herrn von Göthe und mir; letzteren lernte ich nun näher kennen: er hat sich der Musik gewidmet, in Wien zu seiner Ausbildung ein halbes Jahr gelebt, und ein französisches Lustspiel in Musik gesetzt, welche Operette aber vom Wiener Theater nicht acceptirt worden ist: von seiner Mutter scheint er weibisch und zu einem würdigen Mitglied der vornehmen ästhetischen Gesellschaft in Weimar erzogen worden zu sein. – Um 5 Uhr Nachmittags kamen wir in Straubing mit dem Dampfboot an, wo dasselbe übernachtet, so daß es erst am Mittag des dritten Tags in Regensburg anlangt: auch muß es 3 Stunden vor Regensburg landen, und die Passagiere werden mittelst Stellwagen bis zur Stadt transpotirt. Die Bayern haben, wie sie pflegen, auch das Dampfschiffarthsunternehmen mit großem Geschrey und noch größerer Ungeschicklichkeit ausgeführt: schlechte Dampfboote, mit schlechten Dampfmaschinen werden von ungeschickter Mannschaft geführt: sich im Besitze aller Kenntnisse und jedes Talent glaubend, stellen sie anstatt erfahrener Ausländer fast nur junge und unerfahrene Inländer an. So konnte es nicht ausbleiben, daß schon sehr viele Unfälle vorgekommen, das Unternehmen allen Credit verlorn und die Aktionaire noch keinen Heller Zinsen erhalten haben. Um den Banqueroute6 nun zu vervollständigen, beginnen sie daneben noch eine Maschinenbauanstalt, weil sie die Maschinen zu den Dampfbooten selbst bauen wollen. – Dies ist ein Beispiel von vielen Unternehmungen in Baiern derselben Art; ganz anders ist die Dampfschiffarth in Oestreich eingerichtet worden; herrliche Dampfboote, geschickte Bemannung, meistens Dalmatiner, gute Disciplin auf den Schiffen, und eine eifrige gewandte Direktion. Daher auch reichlicher Vortheil.
In Straubing, einem recht altbayerischen Pfaffennest, war am Sonntag7, da ich ankam, gerade landwirthschaftliches Fest: doch nahm ich einen Einspänner und fuhr nach Menghofen, wo ich um 9 Uhr Abends eintraf: ich traf die Familie beim Abendessen; den alten Vater Niethammer, ganz rüstig und gesund, wie ich ihn vor fünf Jahren verlassen8; auch Döderlein mit 4 Kindern, jedoch krank an der Brust leidend, und recht gedrückt und verkommen. Meine Freude des Wiedersehens wurde aber sehr getrübt, durch die traurige Nachricht, daß vor zwei Tagen das jüngste, noch nicht einjährige Kind gestorben und am folgenden Tage bestattet werden sollte. So kam ich also zum Begräbniß; die Frau war angegriffen und lag im Bett: die übrigen 7 Kinder aber alle prächtig, besonders unser Pathe, der kleine Max ein Engelskind: ich habe nirgends eine solche Reihe so schöner Kinder gesehen, und alle begabt und sehr wohl erzogen. – Mit den Döderleinschen befanden sich 11 Kinder am Tisch: im Sommer hält sich meist auch die Schwiegermutter, Frau von Tröltsch aus Augsburg bei ihnen auf, eine rüstige, lebendige, liebe Frau. Leider traf ich nicht die Laura Führer, da sie nach Bamberg verreist war. – Das Majorat von Niethammer besteht hauptsächlich aus 2 Gütern, Menghofen und Dunzenberg, welche ½ Stunde von einander entfernt liegen: die Landschaft ist hügelicht, mit vielen Ortschaften besetzt und sehr fruchtbar. Menghofen liegt an der Landstraße freier; Dunzenberg etwas entlegener, stiller, anmuthiger, auch ist das Schloß größer und der Garten reicher und angenehmer; doch ist es nicht eingerichtet und wird nur vom Gerichtshalter bewohnt. – Von Niethammers wurde ich sehr freundlich aufgenommen, auch habe ich Julius gegen mich unverändert gefunden; leider treibt ihn sein Ehrgeiz hinauf, und es schmeichelt ihm als großer Herr und bei Hof aufzutreten; dort wird er doch nur als Emporkömmling mit Geringschätzung angesehen, und man ist nur freundlich gegen ihn, weil man ihn gebraucht. Zum Glück fühlt er dies nicht; dabei vergißt er aber keineswegs seine alten Freunde und ist unverändert ihnen zugethan. Der alte Niethammer ist noch immer leidenschaftlich interessirt bei den kirchlichen Verhältnissen; nur befindet er sich mit seinen Ansichten in großem Widerspruch mit der gegenwärtigen Zeit und die Kirche wird in ihrer Verfassung, Stellung und Formen nicht mehr die Gewalt, Auszeichnungen und Prärogativen erhalten können, die sie früher im Staat und dem Staate gegenüber besessen hat. – Meinem kleinen Pathen habe ich wieder nichts mitgebracht, was mir schwer aufs Herz fiel. –
Am Montag9 Nachmittag um 5 Uhr wurde das Kind begraben, und zwar sehr feierlich nach katholischem Ritus, da der Ortsgeistliche katholisch und sich in der ganzen Umgegend kein protestantischer Geistlicher sich befindet. Alle katholischen Geistlichen der Umgegend wohnten dem Begräbniß bei: Am andren Vormittag wurde ein feierliches Todtenamt gehalten, und zum Mittag waren sämmtliche Geistliche, 16 an der Zahl, eingeladen: sie gefielen mir in ihrem Aussehen und Benehmen sehr wohl, im Ganzen ohne pfäffisches Wesen, einfach und menschlich: theilweise etwas roh. Ihre Unterhaltung dreht sich sehr viel um Bier und Kartenspiel. Nach Tisch wurden Engel geschoben10, Billard und Tarok gespielt. –
Am Mittwoch11 Morgen nahm ich nach dem Frühstück Abschied, vom alten Vater wohl auf immer12, denn es mögen eine Reihe von Jahren vergehen, daß ich in dies Land wieder kommen werde. In einem Einspänner mit einem drolligen Schneider als Kutscher fuhr ich nach der Walhalla oder Donaustauf, wo ich um 3 Uhr Nachmittags anlangte. Ich sah die Walhalla zum erstenmal; sie liegt hart an der Donau an dem Gebirge, welches sich vom Einfluß des Regens die Donau hinab zieht: sie steht auf der Höhe in der Mitte zwischen zwei vorspringenden Bergen; auf dem zur rechten Hand liegt eine Ruine, das alte Schloß des Städtchens Donaustauf, welches sich am Fuße des Berges ausbreitet. Man verfolgt hinauf und hinunter die Windungen der Donau; rechts erkennt man genau Regensburg mit seinem Dom, und links in der Ferne Straubing. Vor einem liegt eine ebene Landschaft, der Punkt ist schön, bedeutend und für das Gebäude sehr glücklich gewählt. Hinter der Walhalla erheben sich höhere Waldgebirge. – Der Unterbau ist fast vollendet; die äußeren und inneren Säulen sind bereits errichtet und werden gegenwärtig cannelirt13: auch den inneren Saal hat man schon großentheils mit farbigem Marmor belegt, und an den Wänden die Postamente befestigt: der Fußboden im Innern wird ebenfalls aus farbigem Marmor zusammengesetzt; die Außenwände, die äußeren Säulen und der Fußboden in der Säulenhalle bestehen aus unpolirtem weißen Marmor. – Wenn auch das Unternehmen von Eitelkeit und Narrheit ausgegangen ist, so ist doch die Ausführung großartig: man muß darüber lachen und es zugleich bewundern. – Gegenwärtig ist es noch im Innern mit Gerüsten verstellt und das Ganze mit einem Bretterdach überbaut, so daß man wenig vom Gebäude sehen kann.14 – Für Bayern ist der gewählte Ort bedeutend und karakteristisch, und würde er einen Tempel bayerischer Berühmtheiten dort erbauen, so könnte man es sich gefallen lassen; aber unter allen deutschen Landschaften verdient er nicht gewählt zu werden und muß der Rhein unbedingt vor der Donau den Vorzug gewinnen. –
Gestern Mittag habe ich den alten braven Siegmund hier überrascht; er wohnt seit 14 Tagen mit seiner Familie hier und bleibt auch noch einige Zeit draußen. Ihm geht es sehr wohl; er ist doch ein braver tüchtiger rechtschaffener Mann, den man mit Freuden in seiner Familie sieht; die gute Mari immer geschäftig und heiter, habe ich gealtert gefunden, und mit zunehmendem Alter wird sie ihrer Mutter immer ähnlicher. Georg befindet sich auf einer Fußreise nach Frankfurt und Wetzlar; die übrigen Kinder, auch Christoph, sind alle hier und recht wohl; bis auf Gottlieb, gesunde und gute Kinder, besonders ist die kleine Louise gar lieb. Die Susette hat sich auch mehr ausgewachsen und auf dem Land von ihrem Angegriffenseyn ziemlich erholt.16 – In Simmelsdorf ist Alles unverändert geblieben: gestern Nachmittag machten wir einen Spaziergang über den Berg nach Osternohe, wo wir die Pfarrersleute besuchten: die Gegend ist nicht großartig, aber anmuthig, still friedlich; der grüne Grund mit Buschwerk durchzogen, welche den Lauf der Bäche bezeichnen. – Gestern Abend kam eine Sendung von der Stadt17, mit Zeitungen und Briefen; auch für mich fand sich einer darunter, aber nicht von Dir, sondern von der Fanny couvertirt, 95 rt18 in Kassenanweisungen und ein Brief von Hotho. Wahrscheinlich hast Du keine Zeit zum Schreiben gehabt und gedacht, daß mir Fanny Alles mündlich erzählen würde. Diese hält sich jetzt in Heimendorf auf, wo ich sie morgen besuchen werde. – Siegmund hat für Dich ein Kapital von 60 fl19 auf dem Stadelmannschen Gut ausstehen, worüber er Dir die Obligation im vorigen Jahr übergeben; wie Dir wohl bekannt, sind die 60 fl kapitalisirte Zinsen von 400 fl. Kapital, welche Dir Dein Vater als Schatzgeld geschenkt. Der Stadelmann muß die 60 fl. von Lichtmeß20 1834 Dir mit 4 % verzinsen, und Du hast auch pro Allerheiligen21 1835, 1836 und 1837 die Zinsen mit 7 fl 12 kr22 erhalten. Er ist indeß gestorben, seine Söhne wollen das Gut theilen; es müssen neue Obligationen ausgestellt werden; nun will Siegmund mir die 60 fl Kapital mit den außständigen Zinsen auszahlen, denn es kann nicht Dein Wille sein, dies kleine Kapital hier in Nürnberg stehen zu lassen. Siegmund übernimmt dann die 60 fl auf die Hypothek der Familie, so daß nur seine Obligation ausgestellt werden muß. Die Zinsen pro Allerheiligen 1838 und bis zum 20. September 1839, welche noch rückständig sind, betragen 4 fl 33 kr; davon gehen 18 kr als Stempelgebühren ab, so daß ich auf Dein Ansuchen von Siegmund 64 fl 15 kr erhalte, welche Du mir zu berechnen hast. – Siegmund läßt Dich nun bitten, ohne Verzug ihm die Obligation, die Du über diese Hypothek in Händen hast, zu schicken, da er ihrer ohnehin bei der Auseinandersetzung mit den Erben bedarf; die Schuld ist hypothecirt23 auf das Stadelmannsche No 1 zu Kasberg.
Ich bin oben bei der Walhalla stehen geblieben; mit meinem Einspänner fuhr ich am Abend nach Regensburg und logierte dort recht gut im goldenen Kreuz. In dieser Stadt war ich schon früher; mit neuem Interesse sah ich aber den Dom, der inzwischen ganz hergestellt worden ist: wenigstens im Innern, denn am Portal wird noch gearbeitet; beide Thürme sind nicht ausgebaut24 und die Facade ist in späterer Zeit flüchtig und in schlechtem Styl ausgeführt worden. In reinem edlen Styl, einfach und würdig ist aber das Innere: das Schiff und die beiden Nebenschiffe weit, und mit breiten Bogen, mit großen Fenstern: der Chor in gehöriger Länge, nicht zu tief, mit einem einfachen Dreieck geschlossen, hell erleuchtet. Die Pfeiler stehen ganz rein, unentstellt da; alle Unbemalten von denselben, Beichtstühle, geschmacklose Zierrathen späterer Zeit sind hinausgeworfen worden. Die alten Glasmalereien hat man reparirt und in den leeren Fenstern außer dem Hauptschiff neue Glasgemälde eingesetzt. Die etwas älteren modernen, die, glaub ich, von Jeannot Schwarz herrühren, haben grelle unangenehme Farben; ganz anders sind die neuesten behandelt, die in der schönsten tiefsten wohlthuendsten Farbe sowohl architektonische Verzierungen, als ausgeführtes Gemälde darstellen: diese Art der Glasmalerei hat eine große Vollendung erreicht. Unter den Denkmälern der Kirche ist eine erzene Tafel25 von Peter Vischer zum Gedächtniß einer Tucherin merkwürdig: Christus mit den Aposteln wird von Frauen in mittelaltriger Kleidung, die aus einem Gebäude heraustreten, begrüßt; der Styl in den Figuren, die Architektur und die an den Seiten befindlichen Arabesken zeigt durchaus die Kenntniß italienischer Kunst zur Zeit Peter Vischers. – Ich wohnte im Dom der Hauptmesse bei, welche mit Chorgesang und Orchester begleitet wurde; die Musik war von einem guten klassischen Meister, die Ausführung vortrefflich. – Als ich bei meiner Rückkehr im Gasthaus eintraf, begegnete mir der Rentmeister von Schanzenbach aus München; unser beider Ueberraschung war groß: er ist im Beginn einer Reise nach Wien. – In Baiern begegne ich überall alten Bekannten; so traf ich auf der Walhalla mit Professor Schmidtlein aus Erlangen zusammen, der früher in München angestellt war. Mit Schanzenbach besuchte ich noch einmal den Dom, alsdann die Schiffswerften, wo jetzt anstatt eines eisernen in Ermangelung von Geld ein neues hölzernes Dampfboot gebaut wird, und die dabei befindliche, in der Errichtung begriffene Machinenbauanstalt. –
Am Mittag trafen Bennoit und Louise mit dem Dampfboot nach der Verabredung26 in Regensburg ein; nach Tisch fuhr ich mit ihrem Wagen per Extrapost bis Amberg, wo wir übernachteten: Am andern Morgen ging es mit den eigenen Pferden Bennoits weiter und um 2 Uhr kamen wir über Sulzbach in Henfenfeld an. Mit Jubel und Geschrei empfingen uns die Kinder: Siegmund ist gewachsen und magerer geworden; Johannes, ein dicker guter Stöpsel leidet noch ein wenig an den Augen; das kleine Mädele auch dick mit rothen Pausbacken. Ich habe die Kinder zu wenig kennen gelernt; doch könnten sie, wie mir scheint, etwas gesitteter sein. – In dem oberen freundlichen Gastzimmer übernachtete ich, brach am andern Vormittag, von der lieben Louise Abschied nehmend, auf und wanderte zu Fuß über Reichenschwann und Schnaittach nach Simmelsdorf.
Gestern, an meinem Geburtstag28 kam ich in Nürnberg an und fand als Bescheerung Euren lieben Brief29 vor. Mit Bedauern habe ich daraus gesehen, daß Du, liebe Mutter, meiner Gesundheit wegen ängstlich besorgt bist, indem Du nicht streng meinen Worten vertraust, sondern zwischen den Zeilen liest. Du weißt ja aber, daß ich Dir Alles unumwunden zu schreiben versprochen habe; also darfst Du auch nicht Ungesagtes hinzufügen. Keineswegs kannst Du mir Leichtsinn vorwerfen, denn nur überängstliche Sorgfalt hat mich so lange in Linz zurückgehalten und ich bin erst abgereist, als Louise30 sich auch dafür ausgesprochen. Ich bin auch ganz vollkommen wiederhergestellt, und so frisch und tapfer, als weiser; Ihr habt daher nichts zu besorgen, daß die physischen Vortheile der Reise verloren gegangen.
Doch wenn ich jetzt auch leiblich wohl bin, so ist mein Herz um so schmerzlicher berührt; es thut mir weh, mich von allen den lieben Leuten so rasch wieder loszureißen; die Freude des Wiedersehens wird sofort durch den bevorstehenden Abschied getrübt. – Am Montag31 Morgen fuhr ich mit Siegmund bis Lauf; hier suchte ich einen Universitätsfreund, den praktischen Arzt Dr. Beck (nicht den alten Schäfer), einen gescheuten, sehr wackern Mann auf, mit dem ich in München zusammengelebt, und der sich dort als Arzt niedergelassen. Er führte mich auf die Höhe von Heimendorf, wo wir uns wieder trennten, und ich eilte in das Schloß, um die liebe Fanny zu umarmen. Ich habe mich dieses Wiedersehens nicht freuen können, sowohl weil ich sie am andern Tag wieder verlaßen, als weil ich das arme Mädchen im Herzen tief beklagen mußte. Ich kenne die Ursachen nicht, welche sie zurückzuschicken, Dich bewogen haben (vielleicht hat ihre Gesellschaft Dir nicht mehr zugesagt; dieser Grund würde triftig sein, ist mir aber nicht glaublich, und sollte er bestehen, so könnte ich nur dazu stillschweigen. Der Kostenaufwand, den sie Dir verursacht, kann nicht groß sein). Sie war glücklich bei Dir; liebt und verehrt Dich unendlich; für ihren Geist und ihr Gemüth hat sie reichliche Nahrung dort gefunden. Es war ihr seit langen Jahren zum erstenmal wieder wohl und bei dieser innern Befriedigung mußten auch ihr Körper, besonders ihre Nerven erstarken und bei längerem Aufenthalt würde sie, glaub ich, ihre leibliche Gesundheit wieder gewonnen haben. Ihre praktische Beschäftigung fand sie in der Sorge für Dich, Deinen Haushalt und in der Theilnahme an Deinen Anstalten. Was findest Du an dieser Äußerung unvollkommen oder ungenügend? Sie war glücklich und uns wäre sie als Mitglied der Familie ein großes Gut gewesen, denn ich liebe sie wie eine Schwester und eine Schwester, denk ich, ist ein unschätzbares Gut. – Wir haben dieses Gut verloren – ich will nicht hoffen, daß Du Heirathsbesorgnisse gehabt hast –; was Du an ihr verloren hast, weiß ich nicht. Sie selbst aber, wenn sie auch in die alten Verhältnisse sich wieder finden und darin beruhigt leben sollte, so wird sie doch darin nicht glücklich sein. Sie ist ein zartes Gewächs, für mildere Zonen, ein schöneres Klima bestimmt; da sie dahin versetzt wurde, ist sie gediehen und hat sich schön entwickelt. Sie hat dort frei aufgeathmet und ist der ihr entsprechenden Luft bewußt geworden. Nun aber ihr wieder entrissen, wird sie nie die Sehnsucht dahin verlieren, wird sie in dem rauhen Land verkümmern und verwelken. Schon aus allgemein menschlichem Mitgefühl muß man die Verkümmerung diese Gemüths beklagen und ich möchte sie nicht zu verantworten haben. In ihrer Familie wird sie wohl ihre Pflicht thun, für ihre jüngeren Geschwister sorgen; sie wird aber immer allein und verlassen stehen, denn an ihrer Stiefmutter, dieser karakterlosen Person, dieser albernen langweiligen Schwätzerin wird sie nie einen Halt haben, und wenn ihr Herz keine Liebe für sie empfindet, so kann ich durchaus keinen Vorwurf ihr daraus machen. – Ihre Angehörigen sagten, daß sie frischer und um 6 Jahr jünger von Berlin zurückgekehrt sey; das glaub ich gern, fürchte aber, daß diese Jugendfrische bald wieder verschwinden möchte. Sie klagte auch, daß ihr Befinden sich bereits verschlechtert habe. – Die jüngeren Schwestern habe ich zu wenig kennen gelernt, sie haben mir aber gerade nicht sehr gefallen. – Auch der Bruder Carl war in Heimendorf; obgleich er ganz wacker, scheint er mir wenig zur Fanny zu passen und seine sehr bedenkliche Gesundheit macht ihr unendlichen Kummer. – Ich war weit entfernt, ihr meine oben angegebene Theilnahme auszusprechen; wir haben fast nur von Berliner Verhältnissen gesprochen, waren aber beide traurig gestimmt. –
Ich blieb den Tag über dort, übernachtete auch und feierte den Morgen meines Geburtstages mit ihr; um 9½ Uhr am Vormittag brach ich von ihnen allen begleitet auf, nahm Abschied von ihnen und wanderte zu Fuß nach Nürnberg. Oft sah ich zurück nach dem Moritzberg, wo ich Heimendorf freundlich liegen sah, und gedachte des unglücklichen Mädchens und ihres Schmerzes – ich muß weinen, indem ich dies schreibe und schäme mich dieser Thränen nicht. –
In das alte liebe Nürnberg zog ich um 1 Uhr ein, ging zuerst in den Garten, welchen jetzt die Tuchers gekauft und wo die Sophie gegenwärtig wohnt; da ich erfuhr, daß sie zum Pfarrer Loe gereist und erst am Abend wieder kommen würde, so kehrte ich in den Bayerischen Hof ein und logierte also in Nürnberg zum erstenmale im Gasthaus. Als Fremder, außer der Familie hier zu leben gefällt mir recht wohl. – Am Nachmittag ging ich in die Moritzkapelle und auf die Burg, fand aber unter vielem Schund nur wenig gute Bilder. Besah mir dann den Eisenbahnhof, die Rosenau und ging mit dem alten Forstmann Grundherr, einem alten würdigen deutschen Forstmann um die Stadt wieder nach dem Garten, wo die Sophie noch nicht angekommen war. Sehr ermüdet kam ich am Abend in den Gasthof und legte mich nach 8 Uhr ins Bett, indem ich dachte, wie Ihr jetzt im Freundeskreise mein Geburtsfest feiern würdet. –
Das alte Nürnberg gefällt mir doch sehr wohl: die Stadt trägt das Gepräge des zufriedenen Wohlstandes, der wackeren Bürgerlichkeit und einer ehrenvollen schönen Vorzeit, deren segensreiche Folgen auch jetzt noch fortdauern. Stadt und wohlangebaute Umgebung zeigt den wackern Sinn und Fleiß, der sich von den Voreltern auf die Enkel vererbt hat. Bloß in den Straßen herumzugehen, ist ein Genuß und gibt eine behagliche Stimmung. –
Die Sophie habe ich heute morgen gesprochen und werde heut Mittag bei ihr essen: sie ist eine rechte alte Jungfer, erträglich, wenn man sie in ihrer Weise gehen läßt. – Die Wißschen32 sind von ihrer Reise noch nicht zurück. –
Morgen Mittag fahre ich nach Neustadt an der Aisch zum Deininger, von dort nach Schweinfurt, und dann ohne Aufenthalt nach Arnsberg, wo ich am 4ten oder 5ten Oktober anzukommen gedenke. Ich werde froh sein, wenn ich wieder in meinem Neste bin.
Zu der Anstellung33, Deinen glücklichen Aussichten und dem ersten Auftreten als Schriftsteller34 sage ich Dir, lieber Karl, meinen herzlichsten Glückwunsch. Da ich in Arnsberg die Berliner Jahrbücher nicht zu Gesichte bekomme, so wirst Du wohl so gut sein, mir bei Gelegenheit, vielleicht auch durch den Buchhändler Deine Recensionen zukommen zu lassen.
Ich hoffe, daß Duncker, wenn er ruhig und energisch behandelt wird, sich in den gehörigen Schranken verhalten werde. Will er keine 2te Auflagen machen35, so verzichtet er auf sein Recht und wir können mit andern Buchhändlern darüber contrahiren.
Die Seehandlungsobligationen habe ich nicht nöthig zu kündigen, da ich noch Staatsschuldscheine besitze. Auch hat die Mutter noch 100 rt in Staatsschuldscheinen von mir.
Nun lebt wohl, schreibt bald wieder, grüßt die Freunde und gedenkt oft Eures Sohnes und Bruders