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Johann Wilhelm Gaye an Karl Hegel, Florenz, 1. Oktober 1839

Liebster Freund.

Ich hoffe Sie haben meinen letzten Brief1 erhalten, und denken so hübsch bald daran mir zu antworten, daß diese Zeilen Ihnen aufhellen werden. Sie haben auch einen ganz besonderen, mir selber unerwarteten Grund. Ich glaube Ihnen erzählt zu haben, daß eine Schwester von mir nach Dresden gehen wollte; mir deucht ich fragte Sie ob Sie dort sehr bekannt wären. Seit Monaten hatte ich von dem genannten Vorhaben nicht das Mindeste gehört; ich glaubte die Schwester in Dresden, eingelebt, zufrieden. Nur das Schweigen beunruhigte mich sehr. Da erhalte ich nun am verwichenen Sonnabend2 einen Brief, der mir, um Ihnen die Wahrheit zu gestehen, wie eine Last auf dem Herzen liegt, als eine von den Lasten, die man thatkräftig sich nicht selber fortschaffen kann. Sie schreibt aus Berlin, wo sie sich seit Monaten (May) aufhält, Privatstunden im Englischen zu geben wünscht, in diesem Plan von Trendelnburg freundlichst unterstützt wird, und – dies schließe ich aus der ihr ungewöhnlichen Stimmung des Briefes – nicht unbedeutend krank gewesen, oder noch sein muß.

Mir ist dies so schmerzlich als räthselhaft. Ich war immer der Meinung sie sollte bis zu meiner Rückkehr wenigstens, ruhig in Holstein verbleiben, wo sie ein ruhiges, freilich stilles Leben führen konnte. Sie hätte ja auch da durch ihre durchaus vollkommene Kenntniß des Englischen, durch erste einschlagende Geschiklichkeiten, durch ihre Liebe zur Sache und edlen Charakter sich einen hübschen Wirkungskreis erwerben können. Doch scheint sie der Heimath sich absichtlich entfremden zu wollen; vielleicht, mehr als sie selber wissen mag, aus dem Grunde, weil in einem ihr befreundeten Hause ihre Jugendbekannten so gut als gänzlich in voriegem Jahre ausgestorben sind. Wie sie aber in Berlin ihren Plan ausführen kann, begreife ich nicht; Trendelnburg mag den besten Willen haben, doch kennen Sie ihn, und wissen besser als ich ob er ihr in dieser Beziehung von Nutzen sein kann. Ich habe ihr deshalb heute geschrieben, und vorgeschlagen, da ihr Thätigkeit und Gesellschaft noththun, in einem  Institut eine Stelle zu suchen, oder nach Holstein zurückzugehen. Ich würde das Erstere vorziehen um sie zu bethäthigen und der Einsamkeit zu entziehen; mir scheint das vor allem dazu wünschenswerth.

Sie nun, liebster Freund, können mir den freundlichsten Liebesdienst thun, wenn Sie die Güte hätten mal zu ihr zu gehen. Es wird sie freuen nur einen zu sehen und zu sprechen der mich kennt, mich in der letzten Zeit gesehen hat.3 Sie sind so gut, so ruhig und könnten ihr rathen, wenigstens mir mal über ihr jetziges Wohlbefinden zu schreiben. Sie würden mich aufs innigste verpflichten, wenn Sie die Güte hätten sie Ihrer Frau Mutter vorzustellen.

Sie stellen sich, weitgereist wie Sie sind, leicht vor, wie nahe mir die Sorge um meine geliebte Schwester sein muß, und wie die Ferne mir alles in noch trüberem Licht erscheinen lässt. Ich habe Ihnen obige Bitte deshalb mit aller Offenheit gethan; alles was Sie in Bezug auf dieselbe thun werden, kann auf den herzlichsten Dank von meiner Seite zählen. –

Ich schreibe meiner Schwester, daß ich Ihnen schreibe; ihre Adresse ist Madame Hambert, Grünstraße Nummer 16.

Crawford grüßt Sie aufs Beste4; Herr L.5 ist gestern nach Pisa gereist, um der Versammlung der Naturforscher6 beizuwohnen. Sie erkundigen sich stets nach Ihrer Geschichte von Florenz wie sie es nennen. Reumont, Jahn, Papencordt empfehlen sich Ihnen. Jahn reist in diesen Tagen; nach Mitte Novembers denkt er in Berlin zu sein; er hat für meine Beschreibung von Florenz die Antiken übernommen. Papencordt arbeitet ein wenig auf den Riformacioni7, ist aber fast fertig; die Ausbeute ist wol unbedeutend gewesen. Seine Arbeiten scheinen mir einen sehr kleinen Zuschnitt zu haben. Ottfried Müller, Schöll, Feuerbach (8) sind hier; ich habe noch keinen von ihnen gesehen. –

Mein erster Band9 naht sich dem Ende; es werden einige 30 Bogen; der zweite Appendix, welchen ich neulich nicht nennen wollte, ist Regesta Florentina internam reipublicae historiam ab anno 1225 – 1500; theils Documente, theils Auszüge aus Documenten d. Riformacioni, vorzüglich, wie sich versteht, in Bezug auf Topografie von Florenz und Reichsgeschichte. Die Facsimiles zum ersten Band sind Theile gedruckt und mit höchster Genauigkeit gemacht. Molini interessirt sich für die Sache und macht sich Ehre. Ich ziehe morgen in ihr Logis; der Signora Virginia habe ich, ohne daß Sie mir es aufgetragen, Grüße von Ihnen gebracht. Sie erkundigte sich mit solchem Antheil, daß ich nicht wohl anders konnte.

Leben Sie wohl, liebster treuer 10 Sie in Liebe Ihres