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Karl Hegel an Karoline Schultze, Berlin, 24. November 1839

Hochgeehrtes Fräulein!

Darf ich es wagen, mich mit einer Empfehlung an Sie zu wenden? Aber wenn diese Empfehlung Ihnen eine junge Dame zuführen wird, an welcher Sie gewiß einen angenehmen Umgang, vielleicht einen Freund finden werden; so nehme ich kein Bedenken.

Vor einigen Wochen erhielt ich einen Brief aus Florenz1, von meinem genauen Freunde; Doctor Gaye aus Holstein, worin er mir voll ängstlicher Besorgniß schrieb, daß seine geliebte Schwester sich schon seit einiger Zeit in Berlin aufhalte und daselbst, dem Anschein nach, krank und verlassen sein müsse: ich möchte mich ihm annehmen. Ich war sogleich entschlossen, Alles für sie zu thun, was in meinen Kräften läge, und war der Unterstützung meiner Mutter dabei gewiß. Nun mußte ich aber leider erfahren, daß sich Frläulein Gaye in Potsdam, einlogirt habe, um dort englische Stunden zu geben, welche sie hier in Berlin nicht gefunden hatte. Ich fuhr damals mit meiner Mutter nach Potsdam hinüber, um sie dort aufzusuchen; als ich das letzte Mal das Vergnügen hatte, Sie zu sehen. Fräulein Gaye traf ich nicht, denn sie war eben nach Berlin hinübergegangen. Hier nun fand ich sie endlich und hörte von ihr selbst, daß sie allerdings nervenleidend gewesen, daß es ihr aber jetzt besser gehe. In Potsdam habe sie nun auch mehrere englische Stunden, durch Vermittelung unseres Professors Trendelenburg, gefunden.

Ich hoffe nun, daß diese Stunden selbst ihr Gelegenheit geben werden mit einigen Familien näher bekannt zu werden, und wünschte auch, sie möchte Sie, verehrtes Fräulein, kennen lernen. Nach dem, was ich ihr von Ihnen sagte, schien sie diese Bekanntschaft sehr zu wünschen; schüchtern aber und zurückhaltend, wie sie ist, hätte sie es nicht gewagt, ohne weitere Einführung zu Ihnen zu kommen. Wenn mich nun meine Schulstunden und häuslichen Arbeiten nicht so gar fesselten, so hätte ich mir wohl das Vergnügen gemacht, sie Ihnen persönlich zuzuführen. Da mir dies aber nicht vergönnt ist, so erlaube ich mir, die junge Dame hiermit brieflich an Sie zu adressiren. Sie hat Holstein schon im Frühjahr2 verlassen, weil ihr dort die liebsten Freundinnen gestorben sind, und ihre Verhältnisse nicht mehr angenehm waren. An dem Bruder in Florenz hatte sie ihre Stütze; der aber ist dort schon so lange mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten gefesselt, daß sie ihn fast wie verloren hat. So ist sie allein in der Welt und auf sich selbst angewiesen.

Sie, mein werthes Fräulein, sind ja eben in ähnlicher Lage, und wenn die Charaktere sich ebenso entsprechend und gleichgestimmt wären; so möchte meine oben angesprochene Hoffnung vielleicht in Erfüllung gehen. Gewiß aber wird Ihr gütiges Herz meiner Freundin kein Mitgefühl nicht versagen, welches allein schon hinreichend sein wird, ihr Trost zu gewähren: und Ihr Beispiel wird ihr auch die Kraft geben oder erhalten, welche bei solchem Schicksal und in solcher Lage nöthig ist. –

Meine Mutter grüßt Sie tausend Mal, und ich schließe mit den besten Wünschen für Ihr Wohlbefinden und mit der Versicherung meiner aufrichtigsten Hochachtung und Ergebenheit
Carl Hegel.