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Johann Wilhelm Gaye an Karl Hegel, Florenz, 30. November 1839

Liebster Freund.

Ich hätte Ihnen für Ihren freundlichen Brief1 schon längst von Herzen gedankt, wäre es nicht mein Wunsch gewesen Ihnen zugleich die Vollendung des ersten Bandes2 anzeigen zu können. Sie werden den innigen Dank für Ihre Bemühungen um meine Schwester3, auch wenn er etwas spät kommt, als nicht weniger herzlich gemeint aufnehmen. Sie begreifen wie besorgt ich sein mußte sie in Berlin und noch dazu krank zu wissen. Ihr Brief benahm mir eine großen Theil dieser Sorge, welche ich in der Art nur für Andre kenne; ich muß nun der Zukunft zunächst das Uebrige anvertrauen. Daß Marie sich in meine Lage nicht versetzen kann, überrascht mich so wenig, als ich es erwarte; ich kann nur darauf rechnen, daß sich dies beim Wiedersehen ausgleichen wird. Billig wird sie dies doch nicht beurtheilen können; Sie begreifen was es heißt viele Jahre lang auf bloß italienische Gesellschaft beschränkt gewesen zu sein. Bei mir ist dies ein factum, über das ich nicht weiter klägte, und wofür ich auch keine Sympathie in Anspruch nehme; ich kann es natürlich aber auch nicht deswegen ändern, weil die Meinigen dies etwa mißbilligen. Sie sind aber so gütig, daß ich es mir erlaube Ihnen meine Schwester nochmals bestens zu empfehlen.

Den Archivisten Rey habe ich sogleich aufgesucht; sein Gesicht verklärte sich bei Ihrem Namen, er bat mich Ihnen nebst dem besten Dank seine cordiali saluti4 zu senden. Mir scheint nach dem, was Sie für meine Briefsammlung zu versuchen die Güte gehabt haben, das Beste die Suche bis auf meine Rückkehr zu verschieben; vielleicht gelingt es mir hier einen Verleger zu finden; doch würde ich, schon um dort bekannter zu werden, in allen Fällen Deutschland vorziehen.

Wie sehr es mich freut Sie in einer Ihnen zusagenden Thätigkeit zu wissen, bin ich doch um die florentinische Verfassung seitdem etwas besorgt gewesen. Daß Sie die Philosophie der Geschichte5 weiter herausgeben, wird allen geistreichen Verehrern Ihres Vaters doppelt lieb sein; Sie werden es zunächst unendlich besser machen als Gans, dem gewiß die zu solchen Arbeiten erforderliche Liebe und Herzenstreue gefehlt hat, und dann die Pietät ein so schönes Denkmal zu setzen. Sie durften, meine ich, dies unter keiner Bedingung von der Hand weisen. Ich rechne darauf, und die in Italien lebenden Deutschen thun es mit mir, daß Sie uns dann die florentinischen Sachen später geben werden. In Bezug darauf bemerke ich Ihnen, wofern Sie dies nicht schon wissen sollten, daß in dem 1. Band der Firenze antica e moderna ein recht netter Aufsatz: Dei Governi della Città di Firenze6 von Follini ist, der die zwei ersten Bände dieses Werks besorgt hat. Neues ist nicht darin, das Alte aber übersichtlich zusammengestellt; der Literatur wegen wird diese Notiz Sie vielleicht interessiren. Auch finde ich in dem zweiten Theil von Libri’s Histoire des Sciences Mathematiques en Italie, worin Seite 259 bemerkt wird, daß L. Arétino sein Werk de republica Florentinarum7 griechisch schrieb: cet ouvrage se trouve dans le manuscrit latin N. 5897 de la bibliothèque royale8 (Paris); woraus freilich nicht klar wird, ob griechisch oder lateinisch.

Ihren Aufsatz über die Italiener9 würde ich sehr gerne lesen, doch weiß ich dazu keinen Rath; über Reumonts Novelle bin ich ganz mit Ihnen einverstanden, man kann nichts 10 lesen. Sie ist übrigens aus dem Italienischen übersetzt, (von Guevonizzi), nur noch sehr gemildert. Ich habe ihm neulich meine Meinung darüber geschrieben; er beruft sich dagegen auf das Urtheil 11 Damen. Er befindet sich in Rom; Graf Schaffgotsch ist mit Sack und Pack auf der Reise nach Deutschland; der Palast ist für den jungen Winter wieder vermiethet. Ihre Bekannten grüßen herzlichst; Papencordt ist längst wieder in Rom, Schulz reist in Umbrien und will bis Siena; bei diesem Wetter! Urlichs ist mit seiner englischen Familie12 hier; er war mal bei mir, da ich aber sehr wenig ausgehe, werden wir uns nur selten sehen. Wir haben auch sehr wenig gemeinschaftliche Interessen; dazu macht er auf mich den Eindruck, den er auf alle zu machen pflegt. Crawfords sind noch nicht aus Genua zurück, wohin sie, wie ich Ihnen wohl geschrieben habe, vor einigen Wochen gingen um ihre Mutter sterben zu sehen. Doch werden sie kürzlich erwartet; sie erkundigen sich stets mit der herzlichsten Theilnahme nach Ihnen. Vieusseux grüßt; er druckt Reumonts Tabellen zur florentinische Geschichte13; Capponi ist aus Genf zurück, für seine Augen soll leider wenig Hoffnung sein.

Ich führe ein sehr stilles Leben, und bin Abends durchaus an das Haus gebannt. Ich weiß nicht ob Sie merkten, daß ich während des Sommers oft an einem Husten litt, der mir das Sprechen erschwerte und die Lust zur Mittheilung nahm. Es war später ärger und bedenklich, ich befragte einen Arzt, der die Sache italienisch leicht nahm, und auf die Brust was curiren wollte, obwol ich fühlte, daß die durchaus gesund sei. Später gab ich mich bei einem anderen, der in Deutschland studirt hat, in die Cur, und es ergab sich eine Irritation in der Luftröhre, die auf jeden Fall zu heben war. Durch dies und sorgfältige Lebensart bin ich jetzt so gut als hergestellt; Wein und Kaffee hab ich ganz aufgegeben, lebe still zu Hause, und vermeide Abend- und Morgenlüfte. Ich arbeite desto mehr, und bin erstlich für die Beschreibung von Florenz mit der Topographie beschäftigt.

Der erste Band gegen 40 Bogen stark ist erschienen; möge er Ihnen gefallen. Sie werden mich verpflichten, wenn Sie ihn anzeigen. Sie haben über die Sachen sehr viel Urtheil als jeder in Deutschland, es kommt hier auf Quellenstudium an, das Sie gemacht haben. Ich würde Sie dann bitten es bald zu thun, damit Molini durch den Verkauf, welcher ihm aus dem Bekanntwerden des Werks erwachsen könnte, bei guter Laune bleibt. Das Werk verkauft sich und wird sich verkaufen, aber freilich nicht plötzlich; die Italiener wollen aber sogleich baares Geld sehen. Gut ausgestattet ist es, 45 Facsimiles sind beigegeben worden; der Prinz Christian von Dänemark 14 Dedication annehmen wollen.15

Virginia grüßt, und war über Ihren Gruß sichtlich erfreut16; sie ist recht wohl auf, und kommt Abends zuweilen mir einen Besuch zu machen. Ich bin im Ganzen zufrieden; Signor Ridolfo ist mir etwas unangenehm. Doch ist das Zimmer wohnlich und warm und das ist die Hauptsache.

Gedenken Sie freundlichst Ihres