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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Heidelberg, 18. Dezember 1839

Endlich, lieber Erich, kommt die Reihe meiner Beschäftigungen auch wieder ans Berichtschreiben und die Reihe meiner Correspondenzgläubiger an Dich. Ich habe aber bisher wirklich mancherlei Abhaltungen gehabt, und darunter eine die Dich zumeist interessieren wird. Wir haben hier ein Grundstück, einen Weinberg gekauft, auf dem wir ein Haus bauen wollen.1 Was sagst Du nun dazu? Es liegt jenseits der Brücke bei Neuenheim; Du erinnerst Dich vielleicht in der Gegend einer alten hohen Terrasse, auf diese wird die neue Villa Victoria2 hinauf kommen, die ohne allen Streit den schönsten Punkt im ganzen Heidelberger Thal einnimmt. Oben führt der Besitz bis zum Philosophenweg, grade an den schönsten Punkt, der Ebene und Thal zugleich beherrscht. Vielleicht hab ich Dir gar früher schon – doch was fällt mir ein! es ist derselbe Punkt von dem Herr Schunck sprach in Rom; Du wirst Dich erinnern! Ich kündigte mich ihm damals als einen Rivalen an, denn ich hatte längst ein Auge darauf. Er wie Du habt das gewiß damals für Scherz gehalten; Du siehst nun wie wenig mit mir zu spaßen ist-. – Ich müßte etwas dieser Art ergreifen um nicht gar zu trübselig hier zu sitzen. Denn es gelingt uns mit den Menschen hier schlecht; es will uns nicht gefallen. Ich suche dann in der Natur Entschädigung. Ich werde dort, wenn wir erst fertig sind, wie ein alter Epicuräer hausen und es ist Gefahr daß ich dem Quietismus verfalle, nachdem ich noch täglich über ihn schimpfte. Resignirt bin ich auch, wie Du merkst. Ich baue mein Haus auf die Erbärmlichkeit des deutschen Volks oder die deutschen Zustände; und ich denke da wird’s fest und ruhig drauf stehen.

Wir haben sehr wenig Umgang hier. Schlossers sind recht gut, aber sie haben gar zu viel Bekanntschaft; Boisserées3 sind nicht gekommen, weil er nicht von seinem Bruder loskonnte; Ida sehen wir häufiger; doch ist da was was dazwischen steht, dem ich noch keinen Namen geben will.

Dein Schulamt möge Dir der Herr erleichtern. Du bist eben verwöhnt. Wenn Du von der Pike auf gedient hättest wie ich so würde Dirs besser gefallen. Mir war es ein Fest und eine Freude! wie glücklich war ich als ich in mein Schulamt einzog, ja noch mehr, wie unglücklich als ich es nach 1½ Jahren verließ! Es soll mich wundern, wenn es Dir gefallen wird. Wer weiß ob ich nicht ein rechter Esel war, daß ich den Egoismus damals so wenig hörte, als Du Lust hattest hier zu dociren. Hätte ich die Verhältnisse damals gewußt, wie ich jetzt sie weiß, so hätte ich Dir fast mit gutem Gewissen rathen dürfen. Es scheint sie werden hier keinen Philosophen her rufen; sie begünstigen philosophische Dozenten, und ich glaube wer sich jetzt darunter Bahn zu machen wüßte, der hätte Aussicht. Zudem hättest Du an den jetzt mächtigen Theologen wohl eine Stütze, da Rothe zu euerer Schule4 gehört.

Daß die Florentinischen Sachen dabei ruhen sollen ist mir am wenigsten recht. Aushalten wirst Du es Deinem trübseligen Tone nach nicht bei der Schule; und es wäre wohl gut Du exhibirtest Dich bald mit etwas für eine Universitätsprofessur.5 Ich sehe jeden Tag mehr wie man bei euch Glück mit Büchern macht. Da haben sie einen Professor Sell nach Bonn gerufen an Bethmann’s Stelle, blos weil er ein breites Buch über einen schmalen Gegenstand in historischer Manier geschrieben hat. Es ist mein sehr guter Freund und ich gönne ihm sein Glück von Herzen, aber eurer Curatoren Weisheit beneide ich auch nicht.

Was Deine Recension6 bringen wird, will ich erwarten. Sie ist doch nicht schon gedruckt gewesen? sonst hätte ich sie übersehen, denn ich lese leider Gottes gar nichts mehr von literarischen Zeitungen, und von politischen wenig genug. Vielleicht kriegen wir Krieg. Denn im Puncte der Historik oder der Philosophie der Geschichte bin ich eigentlich am geneigtesten später zu arbeiten, falls das quietistische Prinzip oben bleibt; und ich sehe dann nicht wie ich an Deines Vaters Buch wahrscheinlich an Deiner Recension vorbei könnte. Berühre nur nicht die lyrischen Fragen, in denen Du reine Rückschritte gemacht hast, ehe der 4te Band7 ad vocem8 Klopstock da ist. –

Ich bin am 4ten Band zu ⅔ fertig. Eine neue Ausgabe des 1ten Bands soll dazwischen kommen; sie kann nur flüchtig überarbeitet werden. Gibt’s Gott so folgt im nächsten Jahre noch Band 5 und das Handbuch dazu. O wäre ich diese Last los! Du schreibst: „Den B9 könnte ich als 4ten günstigen Umstand, der meiner Literatur-Geschichte zu Statten gekommen, hinzufügen.“ Was heißt das? zu was hinzufügen? wie so zu Statten kommen?

Wenn ich so unseren Bücherzuständen zu sehe, so wird mir zuweilen ganz schwindelichst zu Muthe. Es muß nothwendig ein politischer Sturm kommen, der diese literarische Flut ein bischen dämmt. Mir sitzt etwas in den Hühneraugen, die eine eigne Seh- und Weissagekraft und Witterungsgabe haben, als ob wir ehestens eine Explosion wieder zu erleben hätten. Voriges Jahrhundert gabs alle 10 Jahre eine Reform irgendwo, in diesem 1820/30 eine Revolution; sie könnte 1840 wieder kommen.10 Daß ich Wünsche meinen Ahnungen unterschöbe, kann ich nicht sagen, denn ich wünsche jetzt gar nichts in Politique11; es müßten pure Täuschungen sein.

Dönniges grüße schön. Ich schreib ihm auf seinen alta12.

Meine Frau erwiedert Deine Grüße von Herzen. Vermissest Du den Römischen Winter nicht? Bis jetzt gings wohl an hier; aber heute scheint sichs zu ändern. – Treulich Dein

Gervin.

P. S. Schlosser war in Rom bis Herbst – und hat sehr jugendlich und schön aufgefaßt, selbst Kunstsachen. Er spricht jetzt stets von Raphael u. s. w.