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Karl Rosenkranz an Karl Hegel, Königsberg in Preußen, 11. Januar 1840

Hochgeehrtester Herr und Freund,

Eine größere Freude, als Ihr Brief2 mir gemacht hat, konnte mir gerade jetzt kaum gemacht werden. Ich habe auf alle Nachfragen über das mir zu meinem größeren Zweck zu Gebote stehenden Material mich wieder still verhalten, weil mir die Propädeutik3 in den letzten Monaten genug zu schaffen machte und es noch thut und ich eine Vermischung der Arbeiten nicht liebe. Dazu kam, daß ich ganz unerwartet, abgesehen von meinen vielen Amtsgeschäften, in eine Arbeit über den gegenwärtigen Zustand der Philosophie und der Philosophen, in besonderer Rücksicht auf den granitnen Urfels Hegel, hineingerissen wurde, von welcher Sie, so Gott will, bis zum Mai noch hören werden. Ja, eigentlich sind es zwei solcher Arbeiten. Doch genug hiervon und vor Allem meinen herzlichsten Dank. Wir werden uns noch oft schreiben müssen, ich als der Desiderirende, Sie als der Kundige, Gebende; z. B. wenn ich fragte, mit was für einer Dissertation hat Hegel in Tübingen promovirt?

Ich schicke hier einen Theil der Propädeutik, damit der Druck anfangen kann4 und will Ihrem Urtheil nicht vorgreifen. Sobald der erste Druckprobebogen in meinen Händen ist, soll das übrige Manuskript nachfolgen. Ich hatte sogleich das Ganze zu liefern gehofft, aber tausenderlei hat es mir unmöglich gemacht.

Die Schriften, die mir zu Gebot stehen, haben mich durch ihren Reichthum überrascht. Ich hatte so viel nicht erwartet.5

  • A. Ich scheide das Lateinische Tagebuch, das Stammbuch, die Briefe von Ihrer Frau Mutter, die petulanten6 Distichen aus der Nürnberger Periode und den Briefwechsel seit der Heidelberger Periode vorerst aus.
  • B. Ferner, um mich nicht zu überstürzen, scheide ich die Auszüge, die Hegel als Student gemacht hat, so wie den Niethhammerschen Briefwechsel noch aus.
  • C.

    Aber 1) die Reise in das Berner Oberland
    2) den Briefwechsel mit Schelling den ein fundamentales Verhältniß von äußerster Wichtigkeit in sich begreift und von welchem, bei der Vergänglichkeit des Papiers, eine Abschrift, meiner Meinung nach, von Ihnen zurückzubehalten wäre, die Sie von einem dummen, unphilosophischen aber zuverlässigen Schreiber, wo möglich in Ihrem Hause unter Aufsicht, müssen machen lassen
    3) die mathematischen Papiere [Hotho betrachte ich als einen Ihrer Familie innigst Befreundeten. Ich selbst liebe ihn so sehr, daß ich ihm rückhaltlos Alles aus meiner Seele sage. So müssen Sie denn, was ich aus unvollkommenen Relationen meines seligen, in die Philosophie doch nur relativ eingedrungenen Schwagers gegen Hotho erwähnt habe, nicht festhalten, nicht als ein Skandalon nehmen, sondern als eine höchst unvollkommene Reminiscenz, für welche auch nur jede nähere Anschauung fehlt. Ich bedarf aber dieser Papiere, um das Verhältniß Hegels zur Mathematik, einem so beliebten Streitpunct, gründlicher noch, als aus seinen Schriften, fassen zu können zb. z. B. ist es sehr wichtig, zu wissen, welche Mathematiken er studirt und wie er sie excerpirt hat. Der Herr Professor Jacobi, Hegels Schüler, wird mir, wo meine Kenntniß der Mathematik nicht mehr ausreicht, zu Hülfe kommen und bittet mit mir um Mittheilung dieser Partie des Nachlasses.]4) Die Bamberger Zeitung, 2 Jahrgänge. [Sie meinen, da dürft‘ ich nur so hinein sehen, aber Sie irren sich. Sie wissen nicht, was man aus solchen Papieren herauslesen kann, wie es darauf ankommt, den Geist Hegel’s über den politischen Gewässern der Nachrichten schweben zu sehen. Der Brief hierüber an Knebel, Hegels Äußerung über unsere gegenwärtige Geschichte an Zellmann7 usf. machen mich höchst gespannt darauf. Man sieht unter Anderem daraus auch, daß der philosophische Mensch Alles kann. Hegels Formenvirtuosität ist ungeheuer. Sein Geschick, die Gegenwart zu fassen, zu handhaben, unendlich. Und welche Epoche gerade! Auch wird die Zeitung mich den banalen Ton mehr treffen lassen.]

Diese 4 Puncte bitte ich auf meine Kosten per Post an mich zu senden. Ich kann sie nicht früh genug kennen lernen. Wollen Sie von den verschiedenen losen Papieren eine anfangende numerirte Beilage machen, so soll es mir angenehm sein. Das Normativ muß für die Biographie geschafft werden; am einfachsten durch Niethhammer; jetzt kann ich es, da Hegel den Inhalt selbst wenigstens andeutet, entbehren. Auch die Programme bitte ich mir später aus.

Nach Benutzung dieser Papiere werde ich an die sub B genannten gehen und die sub A nur in Ihrer Behausung oder wenigstens nur in Berlin studiren, da ich Discretion vor Allem liebe. Hegels universelles Wirken ist reich genug, als daß man auf Absonderlichkeiten usf. großen Nachdruck zu legen hätte.

Was die Religionslehre anbetrifft, die in der Propädeutik vorkommt, so habe ich ein Blatt gefunden, welches den Entwurf zu einem Vortrag über die christliche Religion, insbesondere über die Christologie enthält. Von ihr, so wie von manchen andern Dingen, werde ich in der Vorrede handeln. – Vielleicht fände ich unter den gedruckten Papieren Hegel’s, von denen Sie sprechen, manche Andeutung, die hülfreich für dies und jenes wäre. – Das wissenschaftlich Vollendetste der Propädeutik ist die Logik; denken Sie 1809! Da war Hegel schon mit ihr im Grunde fertig.

Mit dem herzlichsten Empfehl an Ihre theure Mutter und an meinen geliebten Hotho und seine von mir höchstverehrte einzige Frau und in Zuversicht, etwas von Ihnen über die Propädeutik zu hören,

Ihr Karl Rosenkranz.

Nehmen Sie nicht übel, daß ich, theils die Gelegenheit benutzend, theils um das leichte Paket etwas gewichtiger zu machen, auf Dunckers Kosten an meinen Schwiegervater eine Kleinigkeit (Operntexte) beigeschlossen habe.

Dem Drucker wegen gehöriger Aufbewahrung meines Manuskriptes der Propädeutik Sorge zu empfehlen, bitte ich; es steckt viel Zeit und Mühe darin. Die Correctur zu überwachen, hatte Hotho sich erboten. Vielleicht achten Sie dieselbe.

Wann und wie ich nach Berlin kommen werde, weiß ich noch nicht. Ich habe noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, die Professur in Heidelberg zu bekommen, was wohl, mitten inne zwischen Stuttgart und Frankfurt a. M. der geeignetste Ort für Hegels Biographie wäre. Wie ich hier für Kant, würde ich dort für ihn leben und schaffen.

Das Buch von Kopp8, Hölderlin’s Werke, St. Clairs Cevennenkrieg9, so wie eine Reihe Bücher über Schwaben, dem Stammlande Hegels, besitze ich schon.