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Nanny Schunck an Karl Hegel, Manchester, 3. Februar 1840

Es war gewiß recht schön von Ihnen lieber Doktor Hegel zu hören1, und mich so freundlich aus der Heimath zu begrüßen; und durch Ihre Worte mich so lebhaft in jenes Zauberland zu versetzen, als sollten wir auch gegenwärtig in unserm neuhen Landen in Ihrer Nähe, die herrliche Stunden wieder verleben, die uns damals zu Theil wurde. – Mit einer Art Begeisterung gedenke ich dieser Zeit zurück, vielleicht mit größerer Innigkeit, und einem Zug von Wehmuth, bey der Betrachtung da aber diese Zeit nie wiederkehrt, sie ist uns entflohn, und die Stunden des freundlichen Umgangs mit Ihnen, in diesem unvergeßlichen Lande, wo Literatur und Kunst wetteifern, die tiefsten Empfindungen des menschlichen Gemüths zu erwecken, lassen sich nie wieder erkämpfen! Doch freundlich werden sie in dem Gedächtniß gelangen, noch oft werden Sie von uns erwähnt, mit dem Wunsche könnten wir Sie, in unserm zweyten Vaterlande begrüßen! Ihre Mittheilungen die Rück Reiße betreffend intereßirten mich sehr, nur hätte ich gern vernommen, ob Ihr Weg Sie über das schöne Nürnberg, und die von allen Reißenden hoch geschätzte Kaiserstadt geführt hat? Auch schweigen Sie über Professor Gervinus, und seine Gemahlin, noch oft gedachte ich ihrer zurück, besonders bey Beschauung der magischen Girondola2, wo der leidende Ausdruck seiner Gesichtszüge, das Mitgefühl für ihn erregte, und der unentschiedene Plan ihrer künftigen Verhältnisse, wohl manche Sorge seiner lebhaften jugendlichen Gattin gewünscht hat? Im Augenblick vergegenwärtige ich mir Sie in der Nähe Ihrer vortrefflichen Frau Mutter, und theurer Freunde; versetzt in den Bereich eines sehr thätigen Wirkungskreis‘, wo trotz aller Beschäftigung wie bej uns, die Rückerinnerung an Italiens‘ Zauber3, manche genußreiche Stunde erzeugen wird. Unser Weg führte uns von Genua, abermals nach Mailand, dann Lindau, Heidelberg, Frankfurt, und im Monat August 4 wir die lang verlassene Heimath, deren Anblick ein Gefühl von Dankbarkeit, begleitet von einer Stimmung der Trauer, anmerkte. In Erwiederung Ihrer theilnehmenden Fragen nach meinem Mann, muß ich beteuern daß seine geistige Heiterkeit nicht so lange angehalten hat, als ich mir selbst, in der letzten Zeit unsers Aufenthalts in Deutschland, wo er ganz hergestellt zu seyn schien, schmeichelte; was ich indeß den entfernten Kindern nicht mittheile, weshalb Eduard Ihnen nur von dem Erfreulichen, was uns seit unsrer Trennung begegnete, erzählen konnte; Juliet hingegen ist das frische Leben selbst, und trotz allem ihrer kleinen Tochter entwickelt sie sich sehr liebenswürdig; von Theodor empfange ich von Zeit zu Zeit Anschriften, wiewohl ich noch kürzlich eine sehr ausführliche und beruhigende Mittheilung ihn betreffend, von seinem jüngern 5 empfing, macht es mir doch mitunter Sorge, stellt schnell mir unsre Herz brechende Abschied Stunde vor Augen, wo Theodor vermutlich mehr ergriffen war, als ich nur ahnen konnte, und wiewohl er pflichtmäßig seine Stelle versieht, liegt er keinem 6 im Herzen, und was Ihnen, und selbst mir räthselhaft dünkt, ist seine anhaltende Abneigung für Italien; er hat sich inzwischen ganz auf das Studium der Sprache gelegt, und soll sie auch endlich ganz hübsch und geläufig sprechen. Eduard, Ueberbringer dieser Zeilen, sieht nun seinem baldigen Abschied von Berlin entgegen, gewiß mit schwerem Herzen, indem er sich mit der treuesten Anhänglichkeit und Liebe vor seine verwandte Hausgenossen geschlossen hat; dennoch, wiewohl ich selbst, die höchste Achtung für Dr. Beneke empfinde, wird er gewiß wohlthuig auf Eduard wirken, aus diesem gewohnten Kreis zu treten; es mag doch wohl dazu beytragen zum Einseitigen zu stimmen, wenn man nur mit einigen Personen von besonderer Denkungsart umgeht. – Sie fragen mich wegen Ihrer Freundin Ida? Dr. Weber ist gewiß ein ganz vorzüglicher und vortrefflicher Mann, und doch, ein ganz anderer Mann als ich je geglaubt hätte, den Ida wählen würde; wären wir noch in dem traulichen Feuer, im „7 wie damals, ich ließe mich wohl verleiten, Ihnen ein wenig über Ida vor zu plaudern, auch über den guten Herrn Köster; doch nun ist es anders, und ich verliere dem Papier nicht, doch dies kann ich Sie versichern, Ida ist äußerst glücklich, und dabei eine sehr zärtliche Gattin. –

Hier in unsern jetzigen Verhältnissen ist alles ziemlich beym alten geblieben; wo man den größten Theil seines Lebens zugebracht hat, fügt es sich wieder gut hinein, das längst Erlebte und Gewesene wird sogleich wieder das 8 mit dem Unterschied, daß manches in älteren Jahren seinen Reitz verliert, und dann die leere Hülle an die entfernten Kinder erinnern! Bey solchen Hüllen, muß ich inzwischen ein Blatt umdrehen, und in Gedanken schnell nach Italien reißen, und dabey ein wenig an Sie lieber Dr. Hegel denken, in der zwischen Zeit Sie bitten ein gleiches zu thun, bis uns vielleicht ein günstiges Geschick auf diesem Erdboden zusammen kommen läßt. Mein guter Mann und Juliet verdingen mit mir ihnen herzlichste Grüße für Sie.

Mit inniger Achtung die Ihrige freundschaftlich
Nanny Schunck.

P. S. Es wird Sie freuen zu hören, daß ich mit Juliets Erziehen äußerst zufrieden bin.