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Karl Rosenkranz an Karl Hegel, Königsberg in Preußen, 14. April 1840

Mein lieber Herr Doctor,

Beikommend erlaube ich mir, Ihnen eine Aristophanisirende Komödie2 zu überreichen, welche ich diesen Winter gedichtet habe, als mich der Nothstand der Philosophie zwischen Staat und Kirche, so wie der innere Verfall derselben durch den Egoismus der Philosophirenden zu schmerzlich erfaßte. Nehmen Sie das Ironische mit ironischem d. h. heiterem Sinn.

Ein anderes Werk über Hegel werden Sie durch den Buchhandel zugesendet erhalten.

Ich höre – Göschel correspondirt mit einem hiesigen pietistischen Superintendenten Wald – daß Ihre theure Mutter so kränklich ist. Möchte sie sich doch von den geistlichen Herren in Ansehung Hegels keine Scrupel machen lassen! Es ist unverantwortlich von den- selben, ein Frauengemüth so zu beängsten. Aber solche Marterei zu erzeugen heißen sie Seelsorge. Ich kenne das.

Sagen Sie Ihrer lieben Mutter, sie solle guten Muths sein. Ich will Hegels Leben schreiben und über seine Christlichkeit, wie man jetzt zu sagen beliebt, daß die Herren merken sollen, wie tief sie unter ihm stehen, wie viel sie in der Erkenntniß des Glaubens und in der rechten Führung eines christlichen Wandels (wie nämlich Christus wandelte, der auch in die Häuser der Zöllner und Pharisäer ging und nicht wie die Pietisten schlich) von Hegel lernen können. Das Herz kehrt sich mir bei sol- chen Geschichten um.

Sie erwähnen in einem Brief, daß von Hegel alle Programme von Nürnberg da wären. Soll das heißen: die Gymnasialreden, die in den Vermischten Schriften gedruckt stehen, oder meinen Sie noch Anderes?

Zutrauen müssen Sie zu mir haben, sonst kann ich bei meiner Arbeit nicht mit rechter Freudigkeit sein. Ich werde mich bestreben, dies Zutrauen zu verdienen und durch die That zu rechtfertigen. Was Sie für mich von Kopieren entbehren können, übermachen Sie mir. Ich erbiete mich, dieselben bis zum 1sten Juni alle zurückzusenden –

Mit herzlichen Grüßen an Ihre verehrte Mutter

Ihr
ergebenster
Karl Rosenkranz