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Karl Rosenkranz an Karl Hegel, Königsberg in Preußen, 3. Mai 1840

Endlich, verehrter Freund, schicke ich Ihnen beikommend den ersten Band der Biographie Hegel’s, die Lehrjahre.

Es werden noch zwei Bände folgen, die Wanderjahre bis inclusive Heidelberg, und die Meisterjahre, die Schilderung seiner Wirksamkeit in Berlin.

Da Sie meinten, es würde mit dem reichhaltigen Stoff, der zu besonderem Abdruck sich eignet, schwierig aussehen, so habe ich die Maxime angenommen, alle wichtigeren Fragmente in die Biographie selbst genetisch aufzunehmen. Über das jedesmalige Warum habe ich mich stets innerhalb der Arbeit selbst gerechtfertigt.

Wenn Duncker irgend verdrießlich thun sollte, drei Bände drucken zu müssen, so kann ich dieselben, wie Alles, hier unter den vortheilhaftesten Bedingungen für Sie befördern. Aber wenn es Ernst würde, möchte er sich wohl bedanken, den Verlag wegzugeben.

In dem, was ich nun schicke, darf nichts mehr geändert werden. Ich habe mit dem größten Fleiß und der heiligsten Liebe Alles sorgfältig erwogen und ich bin am Ende verantwortlich, weshalb ich mir von Niemand in meine Arbeit will eingreifen lassen. Nur zwei Fälle muß ich ausnehmen

a) die Censur, quod Dii avortant!

b) Sie, Ihre Mutter, der Geist der Familie.

Allein ich hoffe, daß von beiden Seiten her keine Einwendungen kömmen werden. Manches wird Sie in seiner Neuheit vielleicht frappiren, allein Sie müssen bedenken, daß ich den folgenden Zusammenhang vor Augen haben muß, für welchen mein Ausdruck gerade so und nicht anders nothwendig ist. Ich muß mir daher jedes Schärfen oder Mildern verbitten und würde wenigstens nur gründlich motivirten Änderungsvorschlägen Folge geben können. Doch, wie gesagt, wird dazu kein Anlaß sein.

Die Darstellung von Hegel’s ursprünglichem System habe ich noch verspart, theils, weil sie für die Jenenser Epoche sich in der That mehr eignet, theils weil ich glaube, daß ich noch tiefer darin eindringen muß, um einer treffenden Darstellung fähig zu sein. Die Sache ist schwer genug. Ich muß auch äußerlich sehr in die Literatur der damaligen Zeit eingehen, um Alles in das rechte Licht zu setzen. Ich muß zeigen, wie Hegel das leistete, was Wagner, Klein, Ast, Krause, Sinclair und Andere anstrebten. Ich muß die ganze Jenenser Confusion schildern.

Mein Triumph würde es übrigens sein, wenn man meinte, daß dieser erste Band mir unmöglich in seinem einfachen Gange und in seinem Fragmentenmosaik habe viel Mühe machen können, während ich mich jetzt, nachdem er geschlossen ist, momentan ganz erschöpft fühle. Diese Abspannung ist auch der Grund, weshalb ich die Vorrede, die etwa 1½ Druckbogen enthalten wird, noch nicht schicke, zumal während des Drucks noch allerlei vorkommen könnte, was darin Berücksichtigung nöthig machte.

Mögen Ihre verehrte Mutter, mögen Sie und Emanuel, mögen Hotho, Marheineke und Varnhagen, mögen der Geheim Rat Schulze, mögen Henning, Michelet und Hegels getreue Landsleute mit mir zufrieden sein! Das ist mein innigster Wunsch, mein schönster Dank.

Sie haben wohl die Güte, mir vom Empfang des Manuscripts sofort Nachricht zu ertheilen. Mit herzlichem Gruß

Ihr
Karl Rosenkranz

P. S. Meine Kritik der Straußischen Glaubenslehre ist seit 6 Wochen in Berlin, aber wie in einen Brunnen gefallen. Ich höre kein Wort davon.