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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Berlin, 1. Juni 1840

Lieber Gervin!

Wie lange bin ich ohne Nachrichten von Dir, Du Theuerster! Es geht Dir doch wohl? arbeitest Du zu viel? aber wo bleibt denn Dein 4ter Theil1? oder baust Du jetzt Dein Haus, daß Du nicht schreiben kannst? Mache nur, daß Haus2 und Buch bald fertig werden, denn ich habe für neue Arbeit gesorgt. Du weißt, die hiesige Vossische Buchhandlung hat den Lessing in 12 Bänden neu herausgegeben, und Lachmann hat die Ausgabe von der philologischen und kritischen Seite besorgt. Nun ist er aber nicht im Stande, über Lessing etwas Ordentliches zu schreiben. Das sagte mir neulich der Buchhändler und ich erwiderte, ich wüßte wohl Einen, der es könnte und das bist Du. Ein paar Tage darauf kam der Buchhändler (3) zu mir, und bat mich, ich möchte Dir Darum schreiben, ob Du geneigt seist, etwas über Lessing, Biographie und Charakteristik, etwa 30 Bogen zu schreiben; Bedingungen solltest Du machen, sie würden angenommen werden. Ich versprach es und thue es hiermit. Zwar weiß ich, daß Du ganz andere Pläne im Kopfe hast, von Alters her, ich weiß aber auch, daß Du in dieser Arbeit, wozu Du alle Studien ja aber gemachtest, etwas Vorzügliches leisten kannst; und das ist gewiß, das Andere aber ist ungewiß. Bedenke die Sache reiflich und antworte dann bald?

Über die Universität Heidelberg wird ja recht rüstig geschrieben. Das muß die kleine Welt in Bewegung setzen! Neulich stand ein Langes und Breites in den Hallische Jahrbüchern und heute sah sich wieder eine lange Beurtheilung in den litterarischen Unterhaltungsblättern. Deine Hand habe ich nirgends drin gefunden. Aber Wer schreibt denn die Sachen in Heidelberg? Ist Dein Freund Röder4 wohl dabei? Von wem rühren denn die Blätter über Katholiken und Protestanten her? Die habe ich nicht gesehen wohl aber gerühmt gefunden. Hast Du da die Hand drin? Einige junge Kräfte sind wohl hinzugekommen, und ein paar wohlfeile Philosophen. Das habe ich aus beiden Arbeiten ersehen.

Der Schluß des zweiten Artikels ist nicht übel, wo die Meinung5 steht, daß die Professuren in Heidelberg nicht mögen erblich werden. Ein Paar Professorssöhne habt ihr schon, drei andre sind hier, um sich zu Heidelberger Docenten zu cultiviren. Am Ende machen sie Dich auch noch zum Heidelberger Professor, wenn Du’s recht wohlfeil thust, und hier wäre wenigstens ein doppelter Gewinn für die Fonds und für die Universität, und für Dich ein einfacher, – oder keiner, je nachdem!

Heute haben wir hier eine ächt volksth ümliche Feier gehabt, ich meine die 100jährige Thronbesteigung Friedrich’s und die Grundsteinlegung zum Denkmal. Daß sie volksthümlich war – für Dich und Deine Frau wäre sie so stark preußisch gewesen –, konnte man an der Menge selbst wahrnehmen, die sich nicht bloß neugierig und schaulustig zeigte, wie bei andren Feierlichkeiten. Die Gewerke zogen auf, die Stadt und Bürgerschaft spielten dabei eine wesentliche Rolle, ließen sich’s was kosten. Der alte König ist nahe am Sterben, eine eigene Erwartung der kommenden Dinge geht überall durch: Der Kronprinz tritt überall auf. Alles beweist, daß wir am Vorabend großer Veränderungen sind. Altenstein ist todt; das allein gibt sehr den Geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten, die neben militärischen hier die wichtigsten sind, eine andere Gestalt. Man weiß nicht, was das Alles für eine Richtung nehmen wird!

Ich bin jetzt stark durch mein Schulwesen in Anspruch genommen, 19 Stunden wöchentlich, gemischt, Latein, Französisch, Deutsch, Mathematik. Was Einen, das Vielerlei zerstreut und matt macht, kann ich Dir nicht sagen. Ich habe schon zu Ostern6 die Arbeit der Philosophie der Geschichte zu Ende gebracht; sie ist indessen noch nicht ganz gedrückt, auch außerdem bin ich mit Correcturen von meines Vaters Werken fortwährend beschäftigt. Ein par Tage habe ich mir nun ganz rein gehalten, da gehe ich hinaus zu meiner Mutter, welche eine Sommerwohnung vor dem Thore bezogen hat, wo ich meine Italiänischen Bücher habe; dort mache ich allen Schulwirrwarr und Schuldunst ab und nehme die Florentinischen Statuten vor und den Dante dazu. Das ist mein Sontag! Ein eigener Genuß so einen Sontag zu haben, welchen nur wir Arbeitsleute im Geschäfte kennen. Und nun vollends die Ferien, die sind ganz göttlich, da kann man wieder ganz in seinem esse7 schwelgen und genießen. Du kannst Dir vorstellen, daß meine Arbeit auf diese Weise langsam genug vorrückt; ich weiß selbst die ganzen derselben mir noch nicht recht genau abzustecken, dabei geht mir Alles langsam von der Hand.

Dönniges grüßt Dich und Deine Frau bestens. Er wollte Dir und Schlossern’n längst den zweiten Theil seiner acta zuschicken. Sein erster Band Heinrich VII., welcher weiter nichts als eine gelehrte und trockene Kritik der Quellen enthält, ist im Druck. Er liest jetzt Historische Politik privatim und und eine Geschichte der französischen Revolution publice.

Von Beseler habe ich lange nichts gehört. Freilich durch meine Schuld. Er hat mir aber auch einen ledernen Brief8 geschrieben und darin genannt, ich berlinere9, und zwar weil ich ihm Universitätsgeschichten erzählte, von denen er doch wissen wollte! Mir scheint, Beseler philistert, und ich – schulmeistere.

Jetzt grüße mir noch die liebe Victorie herzlichst, und schreibe mir dann auch etwas von ihr, und von Ida, ihrer Freundin, nicht wahr? Seht Ihr auch wohl Köster, meinen Freund? Der will bald nach Berlin kommen. O kämt Ihr doch auch einmal!

Dein getreuer Carl Hegel