28 Juni 1840 Sonntags früh an der
sonnenbeglänzten Lagune
Kaum ein halbes Stündchen bleibt mir bis zur Abfahrt des Dampfschiffs nach Chioggia – dieß aber will ich benutzen zum Dank für die lieben Zeichen Ihres Andenkens. Ihr Empfohlener fand mich als Rekonvaleszenten – ich konnte daher nur wie jener todtkranke Mohrenkönig aus der Tragbahre, die … dirigiren, soweit überhaupt meine Hülfe angemessen seyn konnte für einen so eifrigen …
Heut nun werd‘ ich einen Tag mit ihm zusammenseyn – es ist mein erster Ausflug, ja Ausgang aus dem Hause nach vierzehntägiger Haft. Es rollte mir anfenclich in die Kehle, recht ernstlich, hatte schon so fest zugeschnürt, daß ich nicht mehr essen, kaum Eiswasser (im Munde zerrinnende Stücke Eis – ein trefflich Mittel! –) es verschlucken konnte mit großem Schwung – Alles das die Sache einer Stunde, indem ich eine Stunde wohl | noch wie ein Fisch um Wasser – … nicht eigentlich, sondern alles Ernstes geschwommen hatte. Da mag es auch gekommen seyn; bin vielleicht, ohne etwas zu denken, etwas erhitzt hinein gesprungen. Nun, jetzt ists vorüber und gestern hat mir schon ein Stück Fleisch (– der erste Bissen Fleisch nach vierzehntägigem Casteiendienst – eine Wollust! – der Mensch ist doch halb Wolfsnatur –) trefflich zugesagt.
Faul bin ich nicht gewesen diese Zeit über, besonders die lezten Tage nicht. Mein „Besuch auf Montenegro“
… von den schönsten nachfolgenden Dalmatinerbriefen, wird Ihnen Kunde geben. Nach spätestens vierzehn Tagen geht es nun endlich ab zum Druck. Hab recht con amore dran gewirthschaftet und tüchtige Massen historischen Stoffes aufgearbeitet – versteht sich, in nuce, nicht breit, mehr einwebend und einschmelzend.
Gott segne Ihre Florentiner Studien und Arbeiten! Hoffe doch noch in Italien was davon zu sehen. Favarger hat Auftrag mir alsbald es zukommen zu lassen. Da aber kürzlich ein drollig Mißverständniß geschehen ist – schickte mir der urkomische Kauz … den Erfolg des Anfangs bei Duncker gestellten Wunsches, die | Philosophie der Geschichte, bearbeitet von Gans. „Die hab ich unter den sämmtlichen Werken – die wollt‘ ich nicht – Schaffen Sie mir, … Librajo hommo non di Trieste holtanto, ma di tutta l’Italia, die von Dr. Carl Hegel, dem Sohn des Philosophen bearbeitete Geschichte, Nota Bene etwa solche bereits erschienen … und somit retour die Sendung (der unter uns gesagt, doch gar zu viel Gänsefett beigegeben ist – ich hoffe von Ihnen … von Seinem Fleische, Geist von seinem Geiste) und von neuem Trostschreiben des … zweifelhaft über so baldigen Erfolg Gewünschte.
Wie mir es, oder vielmehr uns mit dem Opp minor des großen Florentiners gegangen, wird … der Mohrenkönig, der kranke, hat Alles gethan, was er von seinem Lager aus vermochte – aber wenn sie nicht in Venedig vorhanden sind – was anfangen? – Ich fürchtete das gleich – Es ist unglaublich mit dem hiesigen … – Was nicht in Venedig erschienen, das ist in Venedig kaum zu haben – …
| Uebrigens leb‘ auch ich seit einiger Zeit viel in Gemeinschaft mit Dante, dem erlauchten Sänger. Hab‘ eine treffliche Ausgabe der Divina Comedia mir angeschafft von Nicolo Tommaseo drei Bände, Einer erschienen – äußerst zweckmäßig und verständig die Anmerkungen; kein Zuviel und über nichts Wesentliches Auskunft versagend.
…
Ist Manuel im Wittgensteinschen, so ist er nahe meines Waldeck, vielleicht besucht er Arolsen oder …
Allein die Zeit drängt mehr als billig – doch das „mehr als billig“ …
Adios theurer Hegel! Unwandelbar Ihr getreuer Heinrich Stintzing.
Stieglitz, Heinrich Wilhelm AugustHeinrich Stieglitzhttps://www.deutsche-biographie.de/sfz81412.html#adbcontent119396289 11939628918011849Stieglitz, Heinrich Wilhelm August (1801–1849), im waldeckschen Arolsen geborener Kaufmannssohn, deutscher Philologe und Dichter, der nach Studien in Göttingen, Leipzig und Berlin Lehrer, Bibliothekar und Privatgelehrter wurde. Nach dem Selbstmord seiner Frau Charlotte Stieglitz, geb. Willhöfft (1806–1834), lebte er weitgehend mittellos bis zu seinem Lebensende in Venedig.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Venedig45.4371908,12.3345898Im Nordosten der Apenninen-Halbinsel am Adriatischen Meer gelegen. Die Stadt wurde 1830 Freihafen und kam 1866 an das neu gegründete Königreich Italien.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Favarger, H. F.1261592840Favarger, H. F., Buchhändler in Triest.
Gans, EduardEduard Gans11868947917971839Gans, Eduard (1797–1839), Jurist und Rechtsphilosoph, wurde 1826 außerordentlicher, 1828 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin.
Dante AlighieriDante
https://www.deutsche-biographie.de/pnd118523708.html
11852370812651321Dante Alighieri (1265–1321), in Florenz geborener italienischer Dichter und Philosoph.
Tommaseo, Niccolò11880251818021874Tommaseo, Niccolò (1802–1874), an der kroatischen Adriaküste in Dalmatien geborener Lexikograph des Italienischen, Schriftsteller und Politiker in Venedig, dessen Werk zu Dantes „Divina Commedia“ im Jahre 1837 erschien.
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Chioggia45.218894,12.2785805Etwa 30 Kilometer südlich von Venedig gelegene alte Hafen- und Bischofsstadt an der Adria, am Südende der Lagune von Venedig.
MontenegroEtwa 900 Kilometer südöstlich von Venedig gelegene Gegend um den „Schwarzen Berg“ an der südöstlichen Adriaküste, ab dem 15. Jahrhundert Fürstbistum und bis 1878 formaler Teil des Osmanischen Reiches.
DalmatienRegion an der Ostküste der mittelmeerischen Adria, ab 1815 zum Kaiserreich Österreich gehörend.
Florenz43.7698712,11.2555757Hauptstadt im Zentrum des Großherzogtums Toskana im Norden der Apenninen-Halbinsel circa 300 Kilometer nördlich von Rom gelegen.
ItalienDie in der Form eines Stiefels als Apeninnen-Halbinsel ins Mittelmeer hineinreichende Landschaft von den Alpen bis Sizilien war politisch bis ins 19. Jahrhundert vom Nebeneinander einer Vielzahl von Staaten und von Fremdherrschaft geprägt. Im Zuge der italienischen Nationalbewegung (Risorgimento) kam es erst 1861 zur Gründung des Königreiches Italien als eines Nationalstaates mit König Viktor Emanuel II. (1820-1878) an der Spitze.
Wittgenstein50.9303607,8.397719271534601Etwa 70 Kilometer südlich von Arnsberg im Wittgensteiner Land gelegenes Schloß oberhalb der Stadt Laasphe. Das ehemals gräfliche, dann fürstliche Gebiet fiel 1815 vom Großherzogtum Hessen-Darmstadt an das Königreich Preußen.
WaldeckEtwa 80 Kilometer östlich von Arnsberg gelegene ehemalige Grafschaft, dann Fürstentum des Heiligen Römischen Reiches sowie nach 1806 des Deutschen Bundes. Hauptort ist die Residenzstadt Arolsen.
Arolsen51.3816043,9.0147661Ehemalige Residenzstadt der Grafen und Fürsten von Waldeck, etwa 40 Kilometer nordwestlich von Kassel und etwa 80 Kilometer östlich von Arnsberg gelegen.
Duncker &HumblotEine mit ihrer Berliner Gründung ins Jahr 1798 zurückgehende Verlagsbuchhandlung, die im Jahre 1809 von den befreundeten Buchhändlern Karl Friedrich Wilhelm Duncker (1781-1869) und Peter Humblot (1779-1828) gekauft wurde. Ihre Nachfolger wurden Friedrich Wilhelm Carl Geibel (1806-1884) und sein Sohn Carl Stephan Franz Geibel (1842-1910), die den Verlag und die Buchhandlung Duncker & Humblot im Jahre 1866 von Berlin nach Leipzig verlegten. Die Firma wurde zu einem der großen, noch heute bestehenden Wissenschaftsverlage im deutschsprachigen Raum. Der Historiker Leopold Ranke (1795-1886) publizierte ab 1827 ausschließlich in diesem Verlag, in dem auch die erste Gesamtausgabe der Werke des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) in 19, teilweise aus mehreren Teilen bestehenden Bänden erschien: Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, Berlin, Leipzig 1832-1887.