Königsberg den 31sten August 1840.
Mein theuerster Herr Doctor,
Ich beantworte Ihren lieben Brief vom 10. August erst heute, weil ich nunmehr sehe, daß ich wohl nicht nach Berlin kommen werde. Wegen des jetzigen Trubels in der Stadt (ich bin glücklicherweise noch vor dem Thor) sind vom Senat schon wieder bis zum 12ten September Ferien gegeben, dann sollen wir aber noch bis zum 3ten October lesen. Dann könnte ich kommen, aber ich bin von meiner Facultät zum Decan gewählt und muß am 12ten October dies Amt antreten. Ich habe nun auch schon gedacht, daß es besser ist, wenn ich im nächsten Jahr mit der Arbeit selbst komme und sie mit Ihnen, Freund Hotho und Ihrer Mutter durchgehe. Dann werden wir am bestimmtesten wissen können, was Sie und ich noch davon desideriren. Ich habe mir die besten Stunden des kommenden Winters für die Arbeit ausgemacht, die viel schwerer, verwickelter, noch viel mehr Seiten aus- und eingreifend wird, als ich dachte.
Ich schreibe zunächst wegen einer Brutalität des Dr. Ruge. Weil ich mich nicht unbedingt zu ihm schlagen, vermeintlich seine Christologie und Politik nicht so ohne Weiteres zur meinigen machen kann und will, greift er mich schon seit der Komödie auf das Schnödeste an und hat dies auch mit der Propädeutik gethan. Ich habe daher selbst eine Anzeige derselben geschrieben, welche Sie wohl zum Druck: in die Duncker’sche Literarische
Zeitung oder, wohin Sie es sonst für gut achten (Sie können sie auch unbedingt in meinem Namen an die Brockhaus’schen Blätter schicken, doch ohne meinen Namen zu unterzeichnen) befördern. Honorar verlange ich nicht dafür.
Je schneller, je besser, denn diese Manier ist zu empörend. Woran ich Tage und halbe Nächte mit Enthusiasmus zugebracht, das muß ich mit dem Hohnlächeln des gelangweilten süffisanten Unverstandes verworfen sehen! Ach, wie oft habe ich mir schon das Begeistertsein abgewöhnen wollen! Und doch kann ich, was ich etwa vermag, nur mit gänzlicher Hingebung an die Sache, mit der zärtlichsten Liebe vollbringen.
Sie wollen mir zur Biographie abermals einen großen Schatz von Papieren überliefern und wissen, wie dankbar ich im Voraus dafür bin. No. 1–15, was Sie den engeren Ausschuß nennen, nehme ich unbedingt an. Die Vorlesungshefte von
Tübingen, die Berliner Collegienhefte glaube ich entbehren zu können. Von den Berliner Collectaneen bitte ich nur um das Politische, Staatswissenschaftliche, | theologisch=Philosophische. Können Sie den ersten Entwurf der Religionsphilosophie ohne sonderliche Beschwerde übermachen, so wird auch er mir sehr willkommen sein.
Wegen der Art der Überschickung halte ich die Post für die sicherste und wohlfeilste. Sie müssen nur die Kiste (am besten eine Kiste mit einem Schuber und um diese ein dünn mit Stroh ausgelegter Packleinenwandüberzug) nicht noch besonders verwerthen. Voriges Jahr verbrannte ein Frachtwagen mit Literatur von Leipzig hieher, wodurch wir in einen vierteljährigen Rückstand geriethen. Mit der Post ist so etwas nicht leicht zu besorgen; und diese Papiere sind doch alle unersetzlich, weshalb ich auch die mir schon überlieferten immer unter meinem Bett im Kasten habe; eine Assecuranz hilft nichts für sie. Das Pfund kostet per post von Berlin bis hieher 3 sgr. Silbergroschen, also 20 Pfund, und viel schwerer wird die Kiste gewiß nicht sein, 2 Thaler. Das vorigemal habe ich für den Packen noch 1 Thaler 10 sgr. Spesen und Bringelohn zahlen müssen, was bei der Post Alles wegfällt. Übrigens bin ich zur Übernahme der Kosten sehr gern bereit. Weil ich für meine Studien sehr viel Geld ausgebe, müssen Sie nur nicht glauben, daß ich es nicht gern thäte. Für die Geschichte der Kantschen Philosophie habe ich weit über 200 Thaler ausgegeben.
Können Sie mir die Kiste recht bald schicken, so, daß ich, unzerstreut durch andere Arbeit, noch die 4 Wochen Michaelisferien, mit der Aufnahme ihres Inhaltes recht intensiv verbringen kann, die neuen Vorstellungen zu fassen und wirken zu lassen, so werden Sie mir eine große Freude bereiten. Zurück schicke ich meiner Meinung nach im Frühjahr alle Sachen auf einmal und könnten dieselben wohl alle der Königlichen
Bibliothek für künftige Zeiten einverleibt werden. Wegen der Propädeutik und meiner apologetischen Anzeige derselben lassen Sie mich auch wohl bald ein Wort wissen. Mit dem herzlichsten Empfehl an Ihre verehrte Mutter Ihr ergebenster
Rosenkranz, Johann Karl FriedrichKarl Rosenkranz11860272118051879 Rosenkranz, Johann Karl Friedrich (1805–1879), in Magdeburg geborener Philosoph und Sohn des Steuerbeamten Johann Heinrich Rosenkranz (1757–1830) und seiner Ehefrau Marie-Katharine Rosenkranz, geb. Gruson (1770–1824). Er war von 1831 bis 1833 außerordentlicher Professor an der Universität Halle, von 1833 bis 1874 ordentliche Professor an der Universität Königsberg und Verfasser der ersten Biographie Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770–1831).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Königsberg54.70464845,20.456566646621738Residenzstadt des Herzogtums, dann Königreichs Preußen, am Pregel gelegen, seit 1824 Sitz der Oberpräsidenten der Provinz Preußen.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Butzlaff, Joachim (Hrsg.): Karl Rosenkranz. Briefe 1827 bis 1850 (= Quellen und Studien zur Philosophie, Bd. 37), Berlin 1994
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Butzlaff, Joachim (Hrsg.): Karl Rosenkranz. Briefe 1827 bis 1850 (= Quellen und Studien zur Philosophie, Bd. 37), Berlin 1994.
1994
Schumm, K[arl]: Briefe von Karl Rosenkranz über seine Hegel-Biographie, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 11 (1933), S. 29-42
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Schumm, K[arl]: Briefe von Karl Rosenkranz über seine Hegel-Biographie, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 11 (1933), S. 29-42.
1933
Ruge
, Arnold: Nachgelassene Briefe 1832-1880, in Zusammenarbeit mit Juliane Brenscheidt, Gabriele Czypionka und Katja Stiegel hrsg. von Hans-Martin Sass (= Arnold Ruge, Werke und Briefe, Bd. 12), Amsterdam, Aalen 2013.
Ruge
, Nachgelassene Briefe
2013
Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s philosophische Propädeutik
, hrsg. von Karl Rosenkranz (= Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, Bd. 18), Berlin 1840.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s philosophische Propädeutik
1840
Hotho, Heinrich GustavHeinrich Gustav Hotho11915495118021873Hotho, Heinrich Gustav (1802–1873), in Berlin geborener hugenottischer Fabrikantensohn, Kunsthistoriker und Philosoph, der von 1821 bis 1824 an den Universitäten Berlin und Breslau studierte und sich 1827 in Berlin habilitierte. Zunächst Privatdozent, wurde er 1828 außerordentlicher Professor der Kunstgeschichte an der Berliner Universität, 1832 Mitarbeiter in der Gemäldegalerie und 1859 Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts.
Ruge, Arnold11860402318021880Ruge, Arnold (1802–1880), auf der Insel Rügen geborener Philosoph und politischer Schriftsteller, der zu den Junghegelianern zählte; von 1832 bis 1836 war er Privatdozent an der Universität Halle, 1848/49 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung auf der Seite der demokratischen Linken.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Tübingen48.5236164,9.0535531Stadt am Neckar im Königreich Württemberg mit 1477 gegründeter Universität, etwa 40 Kilometer südlich von Stuttgart gelegen.
Leipzig51.3406321,12.3747329Am Zusammenfluß von Weißer Elster, Pleiße und Parthe gelegene Universitäts- und Messestadt in Sachsen.
Literarische ZeitungIm Verlag Duncker &Humblot erschienene Zeitschrift, zunächst von dem Redakteur und Verleger Karl Büchner (1806-1837) „in Verbindung mit mehreren Gelehrten“ ab 1834 herausgegeben, nach seinem frühen Tod u. a. von Karl Friedrich Büchner, Karl Brandes (1810-1867) und Karl Heinrich Brandes (1811-1859).
Blätter für literarische UnterhaltungEine von 1826 bis 1898 in Leipzig erscheinende Literaturzeitschrift, die nach Friedrich Kotzebues (1761-1819) Tod in das Eigentum des Verlegers Friedrich Arnold Brockhaus (1772-1823) überging. Die auch „Brockhaus’sche Blätter“ genannte Zeitschrift ist aus Kotzebues „Literarischem Wochenblatt“ hervorgegangen.
MichaelisferienHerbstferien. Michaelis, der Festtag des Erzengels Michael, ist der 29. September.
Königliche Bibliothek (Berlin)Der preußische König Friedrich II., der Große (1812-1786), ließ in den Jahren von 1775 bis 1780 am Platz gegenüber von St.-Hedwigs-Kathedrale, Königlichem Opernhaus und Königlichem Palais in Berlin das erste nur zur Aufbewahrung von Büchern bestimmte Bibliotheksgebäude errichten, in dem die umfangreiche Literatur auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte.
Jahrbücher für wissenschaftliche KritikAuch unter der Bezeichnung „Berliner Jahrbücher“ bekannte, von der „Societaet für wissenschaftliche Kritik“ getragene wissenschaftliche Zeitschrift, deren Gründung im Jahre 1827 auf den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) und den Rechtswissenschaftler Eduard Gans (1797-1839) zurückging. Ihr Redakteur war der Philosoph und Staatswissenschaftler Leopold Dorotheus Henning (1791-1866). Die Zeitschrift mit einem wichtigen Rezensionsteil erschien bis 1846.