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Georg Beseler an Karl Hegel, Rostock, 31. Januar 1841

Lieber Hegel!

Du hast mir offen geschrieben, laß mich auch offen in der Antwort seyn, ich denke dann werden diese unter Freunden so lästigen Explicationen beendigt seyn. – Meine Schwiegermutter schrieb mir, Du hättest ihr darüber sehr frappirt geschienen, daß Du von ihr erst zufällig die Geburt meines Töchterleins2 erfahren. Ich meinte, dieß, in Verbindung mit dem Vorwurf der Berlinerei3, habe Dich verletzt; daher mein Sylvesterbrief4. Den ersten Punkt hast Du beseitigt; den zweiten will ich jetzt abthun. Was Du Berlinerei definirst, habe ich Dir nie im Ernst vorwerfen wollen und können; allein ich fürchtete bei Dir eine Hinneigung zu einer gewißen behaglichen Abschließung in selbstgewählten wißenschaftlichen Kreisen, ohne lebendige Theilnahme an dem Thatsächlichen der Gegenwart, und davor wollte ich Dich warnen. Aus Deinem muthigen Entschluß, der Schule den Rücken zu kehren, sehe ich freilich, daß meine Furcht unbegründet gewesen ist; durch eine frühere Antwort von Dir würde sich das ja sofort herausgestellt haben. Aber Du schwiegst, nicht wegen zu vieler Arbeiten, den Grund laße ich nicht zu; auch nicht wegen übler Stimmung, denn sie war in Umständen begründet, worüber Du gerade mit Deinen Freunden hättest Rath halten sollen. Nein, Du schwiegst, weil Du glaubtest, „mir nichts Intereßantes geschrieben zu haben, mir nichts Intereßantes bieten zu können“ – also aus Empfindlichkeit. Du fühltest Dich gekränkt, und anstatt dem Freunde vor die Brust zu springen, und Dich mit ihm ins Klare zu setzen, schmolltest Du, zogst Dich zurück, schwiegst wenig treu ein Jahr lang. Lieber Hegel, laß das nicht wieder kommen. Uns sind keine so langen Tage zugemeßen, daß wir leichtsinnig ein Jahr dem freundschaftlichen Verkehr entziehen dürfen. Wir sind uns zu nahe gewesen, als daß wir nicht Alles thun sollten, um uns in dauernder geistiger Beziehung zu halten; auch die Freundschaft hat Rücksichten zu nehmen, die scheinbar äußerlich, doch zum Wesen gehören, weil ihre Vernachläßigung die festen Bande, wenn nicht zerreißen, so doch lösen kann – doch genug davon. Ich hoffe die ganze Sache ist spurlos beseitigt. Schreib mir bald und oft; von Dir, von Berlin ist mir Alles intereßant. Ich sehe eine bedeutende Zeit sich nahen. Mein liebster Wunsch wäre, in Berlin zu seyn, – natürlich in voller Unabhängigkeit meiner Persönlichkeit. Deswegen nehme ich mich zusammen, schriftstellere; gebe mich aber auch, wie ich bin, damit ich, wenn ich hingerufen würde, sagen könnte: Ihr habt mich so gewollt. Deswegen werde ich aber auch wohl schwerlich gerufen. Dir wird bald etwas von mir zukommen, was Dir das Letzere recht klar machen wird.

Ich beschäftige mich viel mit Deiner jetzigen Lage; es wäre gut, wenn Dir das Privatdocententhum erspart werden könnte; ich hätte es auf die Länge kaum ertragen. Hier an der Universität ist eine Profeßur der Philosophie verkannt5, die anderweitig vertreten ist; dagegen liegt die Geschichte im Argen, und Dahlmann, den man entschieden haben will, kann bei den Rücksichten, welche die Regierung6 nimmt, nicht gerufen werden, so lange der König von Hannover7 lebt, der sich ihm auf Befragung entschieden feindlich gezeigt hat. Ich wünsche nun, daß man Dir die Professur der Philosophie über- trage mit der Auflage, vorzugsweise Historische Collegien zu lesen. Hättest Du Lust dazu? Die Sache ist freilich noch im weiten Felde; ich kann sie nicht durch den Senat, sondern nur durch die Regierung betreiben. Allein die erste Einleitung habe ich schon getroffen, und bin wenigstens nicht ohne Hoffnung auf den Erfolg. Sehr viel werth wäre es, wenn Du Johannes Schulze bestimmen könntest, Deinetwegen, wenn auch ganz im Allgemeinen, empfehlend an den Vice-Kanzler von Both hier selbst zu schreiben. Das würde meinem Bemühen sehr förderlich seyn; denn Both ist es zunächst, den ich fest haben muß; dann laße ich meine Schweriner Minen springen, und für Both ist Schulze eine Auctorität. Dieß Alles jedoch im engsten Vertrauen; antworte mir bald, was Du von diesem Plan hältst.

Mir geht es sehr gut mit Frau und Kind; es ist doch ein süßes Glück, Familie. Ostern8 reise ich nach Holstein, wo meine Frau noch gar nicht gewesen ist. So kommen wir fürs Erste nicht nach Berlin. – Wir haben uns hier schon recht eingewohnt, und manche liebe Freunde und Verwandten. Daß das Oberappellationsgericht aus einer Landtstadt hierhergekommen, ist sehr gut9; dadurch haben wir einen bedeutenden Zuwachs an unabhängigen und gebildeten Männern erhalten, die sich mit aller Frische einem neuen geistigen und geselligen Leben hingeben. – Auch von Gervinus Lehre laufen ja gute Nachrichten ein; wann wird derselbe Ort uns einmal vereinen?

Daß es Deinem Bruder wohlgeht, freut mich sehr; grüße ihn herzlich von mir, und empfiehl mich und meine Frau Deiner Mutter.

Mit alter Liebe
Dein GBeseler.

P. S. Deines Vaters Werk10 habe ich erst vor einigen Tagen erhalten; ich danke Dir herzlich dafür