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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Berlin, 6. Februar 1841

Lieber Gervin!

Dein Mißmuth über unsre politischen Zustände in Preußen scheint leider recht zu behalten, und diese Stimmung nimmt immer mehr überhand. Was hatten die ersten schönen Reden nicht für einen Hall auflodernder Begeisterung entzündet, welcher sich selbst die bedenklichen nicht entziehen konnten! man vergaß sogar das kalte Wasser, das schon im Anfang in Königsberg hineingegossen worden, da die Aussicht auf eine Constitution von vorne herein abgeschnitten wurde; man wollte das nicht verstehen, bis der spätere ausdrücklich nachgetragene Commentar es deutlich genug machte. Nach den Reden erwartete man nun aber doch Handlungen. In den Reden selbst war ohnehin nur die Form der Öffentlichkeit das Neue, Überraschende und Begeisternde; der Inhalt vom gerechten Reiche und dergleichen verstand sich ja ohnehin als verdammte Schuldigkeit von selbst. Da die Handlungen ausblieben, so wurde man ungeduldig; schlimme Gerüchte gingen auf wie böse Geschwüre und in der Langeweile unterhielt man sich mit Postillen und Satiren. So geht's jetzt noch fort und man weiß nicht, was draus werden soll. Der üble Humor zeigt sich wo er die Gelegenheit findet, so im Theater als das langweilige frömmelnde Stück, Athalie von Racine, dem Publicum als erbauliche Sonntagsunterhaltung geboten wurde. Es war auch ziemlich plump und handgreiflich; dergleichen faux pas haben wir übrigens schon mehrere aufzuweisen. Hernach, wenn die öffentliche Meinung laut wird, möchte man sie gern zurückthun; man hat aber nicht den geringsten Tact die Allgemeine Meinung vorher zu beurtheilen. So lahm und erbärmlich kann es aber doch nicht fortgehen, denke ich mir; man wird doch endlich sehen, wo es hinauswill, ob man sich in eine entschiedene Opposition gegen den Zeitgeist und seine Forderungen setzten wird; die letztern werden auch gerade ungeduldig und lassen nicht mehr lange mit sich capitulieren. Die Frömmigkeit ist jetzt auch ein erbärmliches Palliativ um den Geist, der sich regt, in Ruhe und Positivität zu lullen, und doch scheint das Mittel als Nothanker gebraucht werden zu sollen. Ich möchte, daß das Donner Wetter drein schläge!

Unsre deutschen Angelegenheiten stellen sich mir nicht ganz so schlecht vor wie Dir. Die Franzosen haben uns sogar einen Anflug Patriotismus erregt; nicht bloß in dem matten Rheinland, (das wahrlich nicht seine 1000 Thaler werth war), mehr in der Art, wie dieses aufgenommen wurde, in dem gemeinschaftlichen Rüsten gegen den Erbfeind, in dem Hinweisen auf Elsaß als Deutsches Land undsofort, wovon unsre Zeitungen voll sind. Dergleichen ist doch lange nicht da gewesen und immer ein erfreuliches Zeichen für die Zukunft. –

Lieber Gervin, ich habe die Schule satt und aufgekündigt. Ich halte es in diesem einförmigen Train von ledernem Pedantism nicht länger aus. Erfreuliche Resultate sind dabei nicht zu gewinnen; von einem näheren Verhältniß zu den Schülern, Einfluß auf deren Charakter und dergleichen ist ohnehin in unsrer Stadt, wo man den Hausgenossen nicht kennt und den Freund wegen der Entfernung nur alle Vierteljahre sieht, nicht die Rede. Dieses Schulamt könnte ich nur als Nahrungszweig1 betrachten, dazu ist mir aber jetzt das Opfer auch zu groß, und so lange ich noch ein freier Mensch bin, d. h. unverheirathet und mit einem kleinen Vermögen versehen, bin ich nicht gesonnen, meine Zeit und besten Kräfte zu verkaufen. Das wäre nur meine letzte Zuflucht. Jetzt fühle ich noch Muth mich anderweitig zu versuchen. Also zu Weihnachten habe ich mich schnell entschlossen und gleich aufgesetzt für Ostern2. Ich behalte dann nur 6 Stunden, um vorläufig nicht ohne äußere Thätigkeit zu sein und etwas Geld zu verdienen, und gehe auf den Docenten los. Für die Historiker sind die Aussichten beim Eichhorn’schen Ministerium nicht ungünstig. Dönniges ist nicht ohne Hoffnung auf eine außerordentliche Professur hier oder in Breslau. Dem Papencordt ist sie in Bonn fast sicher. Diese Leute haben freilich gute Connexionen und wissen sie gut zu benutzen, aber hier zu Lande ist nichts ohne dieses. Meine Actien in dieser Beziehung sind sehr gesunken. Philosophie und meines Vaters Name gilt nichts im neuen Ministerium und Schulze vermag wenig. Ich mußte fast lachen, wie ich in Deinem Briefe fand, daß ich Dahlmann’s Berufung aufs neue einleiten sollte. Ich kam mir fast wie ein Geheimer Rath vor und vergaß, daß ich bloß ein kleines Doctorlein bin, das nur hier3 und da etwas erhorcht und dann ein Samenkörnlein fallen läßt, das vielleicht nie aufgeht. Aber Dahlmann geht jetzt wieder nicht nach Bern. Das ist doch sonderbar, und gewiß nicht am wenigsten hart für den festen und entschlossenen Mann, daß er hier sogar unentschlüssig sein muß. Was hat er wohl jetzt wieder für Aussichten? Von einem Meklenburger hörte ich, daß Dahlmann von einigen Meklenburgischen Gutsbesitzern eingeladen worden ihr Sachwalter zu werden, wofür ihm Landgut und Gehalt angeboten werde. Derselbe billigte es, daß Dahlmann nicht darauf eingegangen. – Denke nur (aber verrathe es Niemandem), daß Beseler den Plan hat, mir eine Professur in Rostock zu verschaffen. Das wäre über alle Maßen herrlich, wenn ich die bekäme! Es soll eine Professur der Philosophie sein, bei der ich historische Vorlesungen halten würde. Wieder mit4 Beseler vereinigt zu werden, einen kleinen, aber sichren Wirkungskreis zu finden, eine gesicherte Existenz zu erhalten – ich würde es für ein überschwengliches Glück halten, wenn ich dazu mit einem Male käme. Gewiß theilst du am allermeisten unsre Freude darüber, wenn es gelänge. Ich glaube nicht, daß es nöthig ist, Beseler zu ermuntern, sonst würde ich Dich darum bitten. Meinen Geist, meiner Thätigkeit würden Flügel geschenkt werden, wenn ich in den Universitätsberuf so mit einem Mal versetzt würde. Die Schulpraxis, ich sehe es wohl ein, war mir durchaus als Vorbereitung dazu nöthig; aber nun müßte ich mich auch nicht lange mehr mit der Vorbereitung eines leidigen Docententhums quälen und mich durch die Hemmungen einer eifersüchtigen Concurrenz und einer scheelsichtigen Facultät hindurchschlagen.

Meine Arbeiten sind sehr langsam vorwärtsgegangen. Die Grippe hat mich einige Zeit (mehrere Male) ganz davon entfernt; die Schulstunden unterbrechen die besten Momente und den Zusammenhang und lähmen die Kräfte. Ich beschäftige mich jetzt lediglich mit dem früheren Mittelalter der toscanischen Städte und ihrer Entwicklung zur Freiheit bis zur Mitte des 13ten Jahrhunderts; ich habe es dabei mit fast lauter Urkunden zu thun und ist eine verflucht trockene Geschichte mit weniger Ausbeute. Gott stehe meiner armen Seele bei! Grüße Deine liebe Victorie herzlich. Möchte es mit Deiner Gesundheit doch wieder gut stehen! Bitte, laß mich bald von Dir hören.

Dein
getreuer Hegel

P. S. Grüße Ida. Sage Niemandem von Beseler’s Plan.