Die Entschiedenheit, mit der Du meinen Vorschlag2 aufgenommen hast, wird mich natürlich nur um so mehr veranlaßen, ihn nach Kräften zu betreiben. Allein es ist bis jetzt nichts weiter als ein Plan von meiner Seite, deßen weiter Wann und Wie noch im Schoße der Götter liegt. Stelle Dir die Sache daher nicht zu sicher und zu nahe vor, damit Warten oder gar Mißlingen Dich nicht wieder bangt. Wenn sich bis Ostern3 nichts entscheiden sollte, so hast Du nur Eins zu thun. Du mußt Dich in Berlin habilitiren, und mit aller Energie an Deiner florentinischen Geschichte4 arbeiten. Ohne besondere Umstände ist der schriftstellerische Name das einzige Mittel, schnell dem Privatdocententhume zu entkommen; gerade in der Historie sind die guten Docenten und Autoren eine seltene und sehr gesuchte Waare. – Kannst Du nicht sofort beides, so laß über das Schreiben einstweilen das Habilitiren anstehen, – beßer als umgekehrt. So viel im Allgemeinen; nun zu unserer Sache. |
Einige Umstände sind uns nicht günstig. Einmal beengt mich meine Stellung zu meinem Collegen Türk, der mir persönlich nahe steht, und daher von mir nicht erwarten wird, daß ich ihm einen Stellvertreter herbeiziehe. Allein das bewegt mich doch nicht, weil Türk als Docent nichts leistet, und das Intereße der Universität und meines besonderen Fachs nothwendig die Thätigkeit eines Historikers erheischen. Schlimmer ist, daß der Referent in den Universitätssachen beim Ministerium, auf den ich rechnen konnte, gerade jetzt sein Referat abgegeben hat, und mir daher gegenwärtig diese Stütze fehlt. Der einzige, durch den ich nun wirken kann, ist der Vice-Kanzler von Both, ein Mann von lebhaftem Intereße für die Universität und von entscheidendem Einfluß, auch mir sehr geneigt und vertrauend, leider aber zuweilen eitel und schwankend, so daß nicht immer ganz fest auf ihn zu bauen ist.
Indeßen ich habe es mit aller Feinheit und Energie begonnen, ihn für Deine Berufung zu verarbeiten, und so weit ich es übersehen kann, habe ich ihn ganz dafür gewonnen. Nur habe ich sofort eine Diversion machen müßen, und auf den Fall, daß man die Profeßur der Philosophie mit einem Philosophen vom Fach besetzen will, die Übertragung einer außerordentlichen Profeßur der Ge- | schichte, natürlich mit anständigem Gehalt, an Dich in Vorschlag gebracht. Both zieht nun Erkundigungen in Berlin über Dich ein, und zwar bei Schulze, – ob direct oder indirect, habe ich nicht herausbringen können. Jedenfalls muß nun Schulze sofort an Both schreiben, damit die Sache wo möglich bis Ostern arrangirt wird. Er muß Deinen Charakter, Deine Leistungen als Oberlehrer, dann Deine philologischen Studien und vor Allem natürlich Deine Befähigung zum Historiker hervorheben, und seine persönliche Neigung zu Dir so stellen, daß Both sieht, daß er durch eine Verwendung für Dich sich ihm verpflichtet. Die Hauptsache bleibt immer, daß Both sich von Deiner Tüchtigkeit auch von dieser Seite her überzeugt; doch wird es auch gut seyn, daß Schulze die Sache so faßt, als ob der erste Gedanke von der Berufung eines Historikers von Both ausgegangen ist; wenigstens wird meiner beßer nur insofern gedacht, als ich die Nachricht von dem Plane gegeben habe. –
Hat übrigens Both sich directe an Schulze gewandt, was ich fast glaube, so macht sich die Sache ja von selbst. –
Ist Both entschieden für Dich gewonnen, so daß er Anträge bei der Regierung5 macht, so hoffe ich, daß sie durchgehen. Hinderlich wird freilich für jenen oben supponirten Fall seyn, daß die Regierung vor einiger Zeit es officiell aus- | gesprochen hat, nur in ganz besonderen Fällen außerordentliche Profeßoren creiren zu wollen. Aber ein solcher Fall liegt ja vor, und dann ist die Consequenz der hohen Regierung nicht eben sehr fruchtbar.
Die Zeugniße, welche Du vom Examen und von der Schulpraxis hast, sende mir nur immerhin zu.6 Ich kann doch vielleicht zur rechten Stunde einen wirksamen Gebrauch davon machen.
So viel für diesmal; ereignet sich etwas Neues in der Sache, so schreibe ich Dir sofort. So viel Du kannst, mußt Du Schulze zum Schweigen zu vermögen suchen; vor Allem aber zur baldigen Correspondenz mit Both. Gott gebe einen guten Ausgang.
Stets Dein getreuer GBeseler.
P. S. Wenn Du davon erfährst, so scheibe mir auch, ob und wie Schulze an Both geschrieben hat. – Die Philosophie der Geschichte7 habe ich nebst Deiner Dißertation8tuo nomine an Both geschenkt – es machte sich gerade so; gelegentlich kannst Du mir ein anderes Exemplar zukommen laßen, wenn Du noch eins hast. –
1Ort und Datum auf der letzten Briefseite, linksbündig, vor dem P. S. 2Vgl. dazu Brief 18410131_01. 311./12. April 1841. 4Hier liegt ein konkreter Bezug vor auf die von Karl Hegel 1847 in zwei Bänden veröffentlichte „Geschichte der Städteverfassung von Italien seit der Zeit der römischen Herrschaft bis zum Ausgang des zwölften Jahrhunderts“, deren „Keimzelle“ die Hegelsche Studienreise nach Italien in den Jahren 1838/39 gewesen war und die aufgrund ihrer Bedeutung zu späterer Zeit auch noch in italienischer Sprache veröffentlicht wurde (vgl. dazu
Hegel, Storia della costituzione). Zur Entstehungsgeschichte und Rezeption dieser Publikation vgl.
Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, besonders S. 74-87, sowie S. 113-150.5Hier gemeint ist die großherzogliche Regierung Mecklenburg-Schwerins. 6Zu Hegels akademischen Prüfungen in Texten und Zeugnissen vgl. zunächst
Karl Hegel – Historiker im 19. Jahrhundert, , besonders S. 66-74.7Vgl. dazu die von Karl Hegel erarbeitete Edition von „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ seines Vaters, die im Jahr 1840 veröffentlicht wurde. Zu dieser ersten Hegelschen Editionstätigkeit vgl.
Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, S. 44-46.8Karl Hegel war 1837 in Berlin mit seiner Arbeit über „De Aristotele et Alexandro“ promoviert worden. Vgl. dazu
Hegel, De Aristotele.
Beseler, Georg Karl ChristophGeorg Beseler11851019318091888Beseler, Georg (1809–1888), Jurist und preußischer Politiker, war in der Heidelberger Studienzeit neben Georg Gottfried Gervinus (1805–1871) einer der beiden engsten Freunde Karl Hegels (1813–1901). Er wurde ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an den Universitäten Rostock, Greifswald und Berlin.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
Privatbesitz
.
Privatbesitz1000
Hegel
, Karl: Storia della costituzione dei municipi italiani dal dominio romano fino al cadere del secolo XII. Con appendice intorno alle citta’ francesi e tedeschi, Milano 1861 (= Übersetzung von Fr.
Conti
, ND Whitefish, Montana 2009).
Hegel
, Storia della costituzione
1861
Kreis
, Marion: Karl Hegel. Geschichtswissenschaftliche Bedeutung und wissenschaftsgeschichtlicher Standort (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 84), Göttingen, Bristol, CT, USA 2012.
Kreis
, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung
2012
Neuhaus
, Helmut: Karl Hegel – Historiker im 19. Jahrhundert. Unter Mitarbeit von Katja Dotzler, Christoph Hübner, Thomas Joswiak, Marion Kreis, Bruno Kuntke, Jörg Sandreuther und Christian Schöffel (= Erlanger Studien zur Geschichte, Bd. 7/Katalog zur Ausstellung des Instituts für Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg vom 20. November bis 16. Dezember 2001), Erlangen, Jena 2001.
Karl Hegel – Historiker im 19. Jahrhundert2001
Hegel
, Karl: De Aristotele et Alexandro Magno. Dissertatio inauguralis, Berlin 1837.
Hegel
, De Aristotele
1837
Türk, Karl Friedrich Johann ImmanuelKarl Türk11743810318001887Türk, Karl Friedrich Johann Immanuel (1800–1887), im etwa 100 Kilometer südwestlich von Rostock und etwa 40 Kilometer südöstlich von Schwerin gelegenen Muchow geborener Jurist, Historiker und Politiker, der von 1818 bis 1822 an den Universitäten Breslau, Bonn und Rostock studierte, dort 1822 zum Dr. phil. promoviert wurde und sich im Jahre 1824 dort auch habilitierte. Von 1826 bis 1836 war er an der Rostocker Juristischen Fakultät außerordentlicher Professor der Rechtswissenschaft, von 1836 bis 1852 an der dortigen Philosophischen Fakultät ordentlicher Professor der Geschichtswissenschaft. Eintretend für eine deutsche Republik, war er von 1847 bis 1849 Redakteur der „Mecklenburgischen Blätter“ und wurde in der 1848er-Revolution in Rostock zum wichtigsten Vertreter der „Demokraten“, als welcher er ab 1850 auch der Abgeordnetenkammer des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin angehörte. Im Jahre 1852 wurde er aus dem Universitätsdienst entlassen und infolge des Rostocker Hochverratsprozesses 1856 als Mittäter zu einer einjährigen Festungshaft verurteilt.
Both, Carl FriedrichUniversitätsvizekanzler Carl Friedrich Both11626738017891875Both, Carl Friedrich (1789–1875), in der mecklenburgischen Hansestadt Demmin geborener Jurist und Historiker, der nach seinem Geschichts- und Literaturstudium an der Universität Heidelberg und seinem Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Rostock in den Justiz- und Verwaltungsdienst des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin ging. Von 1820 bis 1848 war er Regierungsbevollmächtigter für die Universität Rostock, von 1836 bis 1870 ihr Vizekanzler.
Schulze, JohannesJohannes Schulze11886028317861869Schulze, Johannes (1786–1869), in Mecklenburg geborener evangelischer Theologe, Philologe, Gymnasiallehrer und Bildungspolitiker, ab 1818 Beamter – zuletzt Wirklicher Geheimer Oberregierungs- und Vortragender Rat – im preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten mit Zuständigkeiten für das höhere Schulwesen, die Universitäten, Akademien, Bibliotheken und öffentlichen Sammlungen.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Docent, DozentLehrender.
Universität RostockIm Jahre 1419 gegründet, war sie die erste Universität im Norden des Heiligen Römischen Reiches und die älteste im gesamten Ostseeraum.
MinisteriumSeit dem 19. Jahrhundert gebräuchlicher Begriff für die höchste Verwaltungsbehörde eines Landes mit einem bestimmten, ihr zugewiesenen Aufgabenbereich im Sinne von Ressort sowie Dienststelle; darüber hinaus auch die Gesamtheit der Minister, Ministerrat und Regierung bedeutend.
Professur, ProfeßurLehramt an einer Universität oder Hochschule.
PhilosophieWissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Ergründung, Deutung und dem Verständnis der Welt und der menschlichen Existenz auseinandersetzt.
Philosophie der GeschichteEdition Karl Hegels (1813-1901) aus dem väterlichen Werk unter dem Titel: „Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“, 1840 in Berlin bei Dunker und Humblot erschienen; auch: Edition durch den Berliner Rechtsphilosophen, Juristen und Historiker Eduard Gans (1797-1839) bereits 1837 in Berlin unter dem Titel: „Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ (= Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe durch den Verein von Freunden des Verewigten, Bd. 9); überdies: Geschichtsphilosophie.
tuo nomineAus dem Lateinischen: „in Deinem Namen“, „für Deine Person“.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis