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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Berlin, 15. März 1841

Lieber Gervin!

Schade um Deine Programme! habe ich bei mir gedacht, als ich die 4 Fragen gelesen. Ich sage Dir, lieber Freund, eine solche Wirkung hättest Du auch nimmermehr hervorgebracht! nicht, weil Du dazu nicht so gut oder besser wie einer das Geschick hättest, aber weil Du unsere Gegenwart (ich meine die in Preußen) zu wenig kennst und in die Vergangenheit der letzten 30 Jahre zu wenig eingeweiht bist. Jetzt sieh zu, was Du noch für eine Nachlese dazu bringst; aber warte noch eine Weile damit, bis der erste Eindruck vorüber ist, sonst kommt’s nicht auf. Das ist nun Alles wieder Deine Schuld; warum bist Du auch nicht den Winter zu uns gekommen? statt dessen vertrödelst Du darin Tage in Wiesbaden und wo sonst. Es kommt freilich gar nicht drauf an, wer’s gesagt hat, wenn’s nur überhaupt gesagt wird, und das ist jetzt treffend und vortrefflich geschehen. Dazu gehörte aber ein Eingeweihter. Die Wirkung war auch hier schlagartig, zündend wie der Blitz; eine Woche lang war von nichts Anderem die Rede, man riß sich um die Broschüre, man fragte einander nur: hast Du die 4 Fragen gelesen? Getheilte Meinungen habe ich darüber nicht gehört, weil ich mit keinem Servilen zusammenkomme, und dergleichen Leute scheinen auch überhaupt stille geblieben zu sein, weil die Wahrheit und unantastbarn Autoritäten sie auf’s Maul geschlagen haben. Doch hat Savigny in der letzten Anspielung auf eine Bibelstelle nur Vergleichung des Königs mit Rehabeam gefunden und das im Sprechzimmer geäußert, und Böckh dies für eine perfide Auslegung öffentlich erklärt. – In dessen ist es hier nach der momentanen Aufregung wieder stille geworden und von unsern Märkischen Ständen erwartet man nichts. In Königsberg muß die politische Bewegung sehr stark sein, wie ich aus Briefen von dort erfahren, und dort ist man gleich zu einer Adresse an die Landstände geschritten, welche Du in der Allgemeinen Zeitung wirst gelesen haben. Der Verfasser der 4 Fragen, der Jacoby ist auch dort und Hausarzt von Schön. Die Vermuthung fiel hier sehr bald auf ihn, ehe er sich noch selbst in dem Schreiben an den König dazu bekannte. Er schreibt darin, er habe dem Publikum gegenüber die Anonymität vorgezogen, weil sein unbekannter Mann dem Gewicht der Sache nichts hinzugefügt hätte, seinem Könige gegenüber aber wolle er sie gern ablegen, und sich mit diesem Bekenntniß und im Bewußtsein der Wahrheit (so ungefähr) in seinen Schutz begeben. Die letzte Wendung ist sehr klug auf den ritterlichen Sinn des Königs berechnet, der zwar manches Ähnliche, wie Du sagst, mit dem bayerischen hat, aber mit persönlicher Liebenswürdigkeit ebenso viel wieder gut macht, als der andre durch persönliche Widerlichkeit noch mehr verdirbt. – Die Schrift kam hier grade ein paar Tage vor der Bekanntmachung der königlichen Propositionen der Concessionen an. Der Eindruck, den die letztere sonst wohl gemacht hätten, wurde dadurch sehr geschwächt. In der That ist nicht viel drauf zu geben, selbst nicht, wenn die permanenten Ausschüsse zusammenberufen wurden zur Begutachtung allgemeiner Landesangelegenheiten, (was noch gar nicht zunächst in Aussicht gestellt ist), – so lange nämlich das ganze Wahlverfahren und Vertretung bei den Provinzialständen nicht ganz umgestaltet wird, da jetzt fast bloß der Grundbesitz representirt ist. Was die damaligen Provinzialstände zu Tage fördern, das wollen wir nun sehen; wenn sie jetzt nicht alle mit der Sprache herausgehen, bei der Berathung insbesondre über die Ausschüsse und die Wahl, so wird immermehr was Gescheites aus ihnen. Meine Erwartung im Allgemeinen ist aber die, daß bei der deutlichen Unentschiedenheit von Oben und dem entschiedenen Auftreten der öffentlichen Meinung, die letzere bald den Sieg davon tragen wird, – wenn sie so fortfährt. Und das wollen wir zu Gotte hoffen!

Die Rostocker Geschichte1 ist jetzt noch in der Schwebe und ungewiß. Bis zu Ostern2 erwarte ich die Entscheidung. Beseler hat sich mir als ein treuer und eifriger Freund bewährt, dem ich es für mein ganzes Leben danken werde, wenn sein Plan gelänge. Es kommt jetzt hauptsächlich darauf an, ob die meklenburgische Regierung die Ernennung eines außerordentlichen Professors genehmigt und in solchem Falle würde ich dann vorgeschlagen werden. – Wird mir diese Aussicht nicht erfüllt, so weiß ich noch nicht, wohin mich mein Geschick treiben wird. Ranke wehrt sich hier mit Händen und Füßen, mit seinem ganzen Einflusse bei der Facultät und beim Minister gegen neue Docenten der Geschichte und deren Beförderung hieselbst. Dönniges hat viel davon erfahren, und wenn er jetzt die Professur erlangt, worauf er losstürmt, (von guten Connexionen unterstützt), so wird er schwerlich hier bleiben dürfen, Codex nur für Staatswissenschaften. Papencordt hat eine gute, fleißige Schrift über Cola Rienzo herausgegeben und darauf, vom Minister selbst begünstigt, durch diesen eine außerordentliche Professur in Bonn erhalten. Das setzt unsern Dönniges in Feuer! dem Ranke, der, beiläufig gesagt, eine erbärmliche Seele ist, sucht er dadurch aus dem Wege zu gehen, daß er sich bloß auf politische Vorlesungen wirft.

Eine gelehrte historische Arbeit über die Entwicklung der toscanischen Städte zur freien Verfassung, welche mir unsäglich viel Mühe macht, weil ich sie nur aus Urkunden zusammenarbeiten kann, hoffe ich bis zum Sommer zu Ende zu bringen. Diese bloß untersuchende Abhandlung will ich von der florentinischen Verfassungsgeschichte abtrennen, um diese hernach nur in der Mitte, wo sie am interessantesten und bedeutendsten ist, anzugreifen. Ich schreibe Dir ein ander Mal mehr darüber.

Daß für Dahlmann hier keine Hoffnung ist, wird mir immer gewisser. Dönniges will aus guter Quelle wissen, der König habe früher, als Dahlmann vom Ministerium vorgeschlagen wurde, eigenhändig drunter geschrieben: Ich bin nicht geneigt, Dahlmann in meinen Staaten anzustellen. Jetzt sind sie hier in großer Verlegenheit, um einen Mann für Staatswissenschaften; Hermann in München hat einen Ruf abgelehnt. An Dahlmann hat man aber nicht wieder gedacht. Auch in Breslau können sie denselben Lehrstuhl nicht besetzen). Dagegen hat man jetzt ein Auge auf Beseler, dessen Schrift3 von Homeyer aufs glänzendste begutachtet worden ist; die Sterne scheinen ihm hier sehr günstig, und ich habe schon quasi Anfrage an ihn zu richten gehabt, worauf ich die Antwort erwarte.

Deine freundliche Einladung nach Heidelberg habe ich deswegen nicht beantwortet, weil ich nicht glaubte, daß Du sie ernstlich meinst. Wie gerne würde ich freilich zu Dir kommen! aber wie kann ich jetzt daran denken, wo ich Zeit und Geld mehr als je zu Rathe halten und all mein Thun auf einen nächsten bestimmten Zweck concentriren muß? Auch Beseler hat mich schon oft eingeladen und jetzt habe ich’s ihm versprochen, im Sommer zu ihm zu kommen. Das geht schon an! nach Rostock komme ich in 24 oder wenig mehr Stunden, die ganze Geschichte ist in 8 Tagen abgemacht und kostet nicht viel. Daneben habe ich die Hoffnung, daß ich mir den Ort ansehen würde für einen längeren künftigen Aufenthalt. Übrigens, wenn Du einladen willst, so nimm erst mal selber eine Einladung an.

Also in Becher’s Wohnung seid Ihr gezogen; das ist ja allerliebst! aber warum sagst Du dann, in Iden’s Stuben? ich verstehe Dich nicht:

Im Hörnchen! Erinnerst Du dich noch Deines Witzes über das Waldhorn und mich, als wir einst mit Beseler und Hermann und Baumstark vorbeigingen? Du konntest dich vor Lachen nicht lassen. Ich verstand das nicht.

Nun Lebwohl, mein lieber Gervin und grüße Deine liebe Frau herzlichst von

Deinem Hegel

Notabene Schelling kommt her4; das ist eine specielle Liebhaberei des Königs wegen seines Christenthums und auch bloß vom König ohne das Ministerium berufen worden. Jacob Grimm hat für das nächste Semester Vorlesungen über die deutschen Rechtsalterthümer angekündigt. Auch Strauß5 wird erwartet. Von der Halle’schen Petition weißt Du. Hier wird ihn ein Ständchen und vivat empfangen.