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Malchen Jagemann, geb. Nägele, an Karl Hegel, Heidelberg, 30. März 1841

Mein lieber Freund!

Wenn Sie sich noch manchmal der Abende erinnern, die wir theils heiter und fröhlich, theils ernst und stille, mit einander verlebten, so freut es Sie vielleicht, einen jungen Mann kennen zu lernen, der fast täglich mit uns war, und Ihnen gern und viel von uns erzählen wird. Herr Siemerling hat mehrere Jahre hier studiert3, und kehrt nun nach seinem Vaterlande zurück, um sich einem Ersten Wirkungskreise zu widmen. Ich erzählte ihm so viel von unseren lieben Freunden in Berlin und der Name Karl Hegel, wurde dabei so häufig genannt, daß er mich dringend bat, ihn, Ihnen zu empfehlen, und ich kann es auch mit guten Gewißen thun, da er ein verständiger, guter und bescheidener junger Mann ist, dem das Leben stets immer eine ernste Seite gezeigt hat. Ihr lieber Brief an die Mutter, überzeugte mich vollkommen, daß Sie noch der alte Jugendfreund sind, den ich oft, wenn ich das liebe Stammblättlein lese, in Gedanken zu mir sprechen laße. Mein altes Herz, würden Sie gewiß auch wiederfinden, sonst Sie aber auch Nichts, an die, Ihnen bekannte, Jugendgespielin erinnern. Mein Leben ist sehr ernst, meine Kinder mein höchstes und einzigstes Glück. Meiner lieben, lieben Mutter Hegel, sagen Sie doch, guter Karl, meine herzlichsten, innigsten Grüße. Ich denke so viel an sie, und sehne mich so oft nach ihrer schönen, klaren Seele, die so wohlthuend stets auf mein stürmisches, rastloses Gemüth wirkte. Sie würde Freude haben an meinem vernünftigen, ernsten, und doch ganz kindlichen Hugo, der mit seinen großen braunen Augen schon ganz klug in die Welt schaut, und an der Seite seines Vaters, auf die Berge steigt. Spaß würde sie haben, die liebende Mutter, an der kleinen, stets munteren Anna, in deren blauen Äugelchen, schon ein ganzer Zukunftshimmel liegt, eine Traumwelt von Geheimnißen, und nebenbei stets der kleine Schelm, den sie nirgends verbergen kann. Halten Sie diese Schilderung dem Mutterherzen gut, was Ihnen gern ein freundliches Bild, Kinderseelchen entwerfen möchte …4 Die Fehler, als dunkler Hintergrund, fehlen freilich nicht.

Wie würde ich mich herzlich freuen, wenn Sie mir recht bald eine freie Minute schenkten, und ein paar freundliche Worte senden würden? Sollte sich im nächsten Semester ein junger Mann, Graf Lukner5 aus Holstein, bei Ihnen einführen, so sehen Sie ihn gütig, als von uns geschickt an. Er war bei den Eltern ein halbes Kind im Hause, und uns allen lieb und werth, durch sein weiches Gemüth, was er sich und Allen die ihn kennen, unverdorben und rein erhalten hat. Auch ihn verfolgten trübe Schicksale, und ein warmes, freundliches Wort, trägt bei ihm die schönsten Früchte. Er ist ganz fremd in Berlin, und wir baten ihn, Sie aufzusuchen, dann hat er doch in der weiten, großen Residenz, ein Herz, und das ist viel, wenn man es im Leben findet. Meines grüßt Sie bestens, und empfiehlt sich der theuren Mutter angelegentlichst. Auch Ihrem Bruder schreiben Sie einen freundlichen Gruß von mir. Leben Sie wohl, lieber, guter Karl! Darf ich Sie nicht erinnern, das Nekarthal mal heimzusuchen? Leben Sie recht wohl, und denken Sie zuweilen mit alter Lieb‘ und Freundschaft, an Ihre

treuergebene, ferne Malchen Jagemann